166 Referendarteil: Strafrecht RA 03/2017 LÖSUNG Begründetheit der Revision I. Prozessvoraussetzungen und Verfahrenshindernisse Etwaige Verfahrenshindernisse sind nicht ersichtlich. II. Verfahrensrüge 1. In Betracht kommt ein Verstoß des LG gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 20 III GG, Art. 6 I 1 EMRK) i.V.m. § 257c StPO, weil der A vor der Verständigung über eine Bewährungsstrafe kein Hinweis bezüglich der konkret in Betracht kommende Bewährungsauflage nach § 56 b I 1 StGB erteilt worden ist. Die Verständigung im Strafverfahren ist nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn durch eine vorherige Belehrung sichergestellt ist, dass der Angeklagte vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung informiert ist. Nur in diesem Fall ist gewährleistet, dass er autonom darüber entscheiden kann, ob er von seiner Freiheit, die Aussage zu verweigern, Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung einlässt (BVerfG, Urteil vom 19.03.2013, 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11). Diese Grundsätze erfordern es, dass das Gericht vor einer Verständigung offenlegt, dass es die Verhängung einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe allein nicht für ausreichend hält, sondern zur Verwirklichung der Genugtuungsfunktion des Strafverfahrens Bewährungsauflagen in Betracht zieht. Denn nur wenn der Angeklagte über den gesamten Umfang der Rechtsfolgenerwartung bei der Verständigung informiert ist, kann er autonom eine Entscheidung über seine Mitwirkung treffen (BGH, Beschluss vom 29.01.2014, 4 StR 254/13 und Beschluss vom 07.10.2014, 1 StR 426/14 ; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 04.10.2013, 1 Ws 106/13). „[10] Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Angeklagter vor einer Verständigung gemäß § 257c StPO, deren Gegenstand die Verhängung einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe ist, auf konkret in Betracht kommende Bewährungsauflagen hingewiesen werden, die nach § 56b I StGB der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen und deren Erteilung Voraussetzung für die in Aussicht gestellte Strafaussetzung ist. Nur durch einen solchen vorherigen Hinweis kann sichergestellt werden, dass der Angeklagte vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung informiert ist und er deshalb autonom darüber entscheiden kann, ob er von seiner Freiheit, die Aussage zu verweigern, Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung einlässt. [11] Danach ist es erforderlich, dass das Gericht vor einer Verständigung offenlegt, dass es die Verhängung einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe allein nicht für ausreichend hält, sondern zur Verwirklichung der Genugtuungsfunktion des Strafverfahrens Bewährungsauflagen in Betracht zieht, die Bestandteil der Rechtsfolgenerwartung sind und gemäß § 56b I StGB - anders als Bewährungsweisungen gemäß § 56c I StGB - als Genugtuung für begangenes Unrecht eine strafähnliche Sanktion darstellen. Erst die Kenntnis des Umstandes, dass ihm neben der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe weitere Maßnahmen mit Vergeltungscharakter drohen, die - wie hier in Form von Zahlungsauflagen - eine erhebliche Belastung darstellen können, versetzt den Angeklagten in die Lage, von seiner Entscheidungsfreiheit, ob er auf das Angebot des Gerichts eingehen möchte, auf einer hinreichenden tatsächlichen Grundlage Gebrauch zu machen. Jura Intensiv [12] Diesen Anforderungen hat das Landgericht nicht entsprochen, weil der gesamte Umfang der Rechtsfolgenerwartung vor dem Zustandekommen der Verständigung nicht offengelegt wurde. Die Angeklagte wurde vielmehr erstmals am letzten Tag der Hauptverhandlung vom Gericht überhaupt darauf hingewiesen, dass eine Bewährungsauflage angeordnet werden könne, die dann auch im Bewährungsbeschluss - wie dargestellt - festgesetzt wurde. [13] Hinzu kommt, dass die Verhängung von Bewährungsauflagen gemäß § 56b StGB im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht. Dass der Bewährungsbeschluss Auflagen enthalten werde, musste sich der Angeklagten daher nicht als selbstverständlich aufdrängen. Dies gilt umso mehr, Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 03/2017 Referendarteil: Strafrecht 167 als das Landgericht bei einem Mitangeklagten, der - wie die Angeklagte - ebenfalls zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, von der Verhängung einer Bewährungsauflage abgesehen hat“. 2. Beruhen „[14] Auf dem dargelegten Rechtsfehler beruht das Urteil des Landgerichts. [15] Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich die Angeklagte nicht auf die Verständigung eingelassen hätte, wenn sie vor deren Zustandekommen darauf hingewiesen worden wäre, dass zur Genugtuung für das begangene Unrecht die Erteilung einer Bewährungsauflage gemäß § 56b StGB in Betracht kommt“. Vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 19.03.2013, 2 BvR 2628/10; BGH, Beschluss vom 29.01.2014, 4 StR 254/13 Mithin macht die A zu Recht einen Verfahrensfehler beim Zustandekommen der Verständigung geltend, weil ihr vor Abschluss der Vereinbarung kein Hinweis auf die Anordnung einer Bewährungsauflage nach § 56b I StGB erteilt worden ist. III. Sachrüge Eine Verletzung materiellen Rechts ist nicht ersichtlich. IV. Ergebnis: Die Revision hat Erfolg. FAZIT Der Angeklagte ist zusammen mit der Bekanntgabe des Verständigungsvorschlags über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung von der Absprache zu belehren (vgl. § 257c V StPO). Diese Belehrung dient dem Schutz des Angeklagten, dem klar sein soll, dass und unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Folgen das Gericht von der Strafrahmenzusage abweichen kann. Jura Intensiv Der 1. Strafsenat des BGH hat mit der vorliegenden Entscheidung die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Hinweispflichten der Gerichte bei Verständigungen bestätigt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung legt dabei besonderen Wert darauf, dass dem Angeklagten auch und gerade im Rahmen einer Verständigung die Möglichkeit zur autonomen Entscheidung verbleibt. Das Gesetz trägt diesem Gedanken in § 257c IV und V StPO Rechnung. Ließe man im Falle der Verständigung die überraschende Verhängung von Geldauflagen im Bewährungsbeschluss zu, eröffnete man dem Gericht gleichsam eine Hintertür, sich letztlich doch von der Absprache zu lösen. Die Problematik wird umso deutlicher, wenn man sie aus der Perspektive des Angeklagten betrachtet, der im Normalfall nicht zwischen den aus einer „echten“ Strafe und den aus einer Auflage erwachsenden Belastungen differenzieren wird. Aus Verteidigersicht ist es daher wichtig, etwaige Bewährungsauflagen oder auch Bewährungsweisungen in einem Verständigungsgespräch mit dem Gericht und der Staatsanwaltschaft frühzeitig abzustimmen. Darüber hinaus sollte im Protokoll festgehalten werden, dass – für den Fall einer bewährungsfähigen Freiheitsstrafe – das Gericht keine Bewährungsauflagen oder Bewährungsweisungen erteilen wird oder welche konkret in Betracht kommen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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