120 Zivilrecht RA 03/2019 Aufgrund des Unfalls entfiel der Grund zum Ortswechsel und damit der als Eigenbedarfsgrund geltend gemachte Nutzungswunsch. Der Eigenbedarf beruhte bei Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr auf dem hinreichend verdichteten Nutzungswunsch. Die Verfolgung des Räumungsanspruchs war damit rechtsmissbräuchlich. [6] Gemessen daran sind die Voraussetzungen des § 242 BGB erfüllt. Der geltend gemachte Kündigungsgrund ist - zumindest für unabsehbare Zeit - im Juni 2016 entfallen, nachdem K bei einem Arbeitsunfall schwer verletzt wurde und in der Folge nicht nur seit dem 08.06.2016 bis einschließlich zum 31.03.2018 dauerhaft krankgeschrieben war, sondern auch ihren Beruf als Stuntwoman aufgeben musste. Sie war zudem gehindert, wie beabsichtigt, ihre Ausbildung als Rettungssanitäterin bis Ende 2016 abzuschließen und im Anschluss daran eine Festanstellung in Berlin anzutreten. Sie hat erst am 01.04.2018 - mehr als zwei Jahre nach Ausspruch der Kündigung und 14 Monate nach Ablauf der Kündigungsfrist - ihre Ausbildung als Rettungssanitäterin fortgesetzt. Noch im März 2018 ist der K ärztlich bescheinigt worden, dass sie nach ihrem Arbeitsunfall im Jahre 2016 an einer posttraumatischem Belastungsstörung leide und ihre Zukunft „unklar“ sei. [7] Damit aber beruhte der von K geltend Eigenbedarf, auch wenn er zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs tatsächlich bestanden haben sollte, bei Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr auf einem hinreichend verdichteten Nutzungswunsch. Ein solcher ist - in Abgrenzung zu einer gem. § 573 II Nr. 2 BGB unzureichenden Kündigung auf Vorrat - nur zu bejahen, wenn ein konkretes Interesse des Vermieters an der alsbaldigen Eigennutzung der Mietsache vorliegt und dieses in einem absehbaren und zeitlich engen Zusammenhang mit der kündigungsbedingten Beendigung des Mietverhältnisses steht. Daran jedoch fehlte es, nachdem die weitere private und berufliche Zukunft der Klägerin aufgrund ihres Unfalls und der damit im Zusammenhang stehenden physischen und psychischen Folgebeeinträchtigungen seit Juni 2016 bis weit über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus auf unabsehbare Zeit ungewiss geworden ist.“ K handelt damit rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 242 BGB, wenn sie den auf eine Eigenbedarfskündigung gestützten Räumungsanspruch weiterverfolgt, obwohl ihr zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs noch hinreichend verdichteter Eigennutzungswunsch im Moment des Ablaufs der Kündigungsfrist nicht mehr von der konkreten Absicht zur alsbaldigen Umsetzung getragen ist. B. Ergebnis K hat daher gegen B keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gem. §§ 546 I, 549 BGB. FAZIT Entfällt der Eigenbedarfsgrund vor Ausspruch der Kündigung, so ist die Kündigung unumstritten als unwirksam anzusehen. Fällt der Grund jedoch erst nach Ausspruch der Kündigung weg, so ist zu differenzieren: Ist der Grund der Kündigung nach Ablauf der Kündigungsfrist entfallen, so ist die Kündigung nach der neueren Rspr. des BGH als wirksam anzusehen. Fällt der Eigenbedarfsgrund hingegen vor Ablauf der Kündigungsfrist weg, kann ein Festhalten an der Kündigung u.U. rechtsmissbräuchlich sein. So war es im vorliegenden Fall, da der geltend gemachte Eigenbedarf nicht mehr auf einem hinreichend verdichteten Nutzungswunsch beruhte. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 03/2019 Zivilrecht 121 Problem: Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gem. § 826 BGB Einordnung: Deliktsrecht OLG Köln, Urteil vom 03.01.2019 18 U 70/18 EINLEITUNG Vorliegend begehrt der Kläger aufgrund des „Diesel-Abgasskandals“ Rückabwicklung seines Kaufvertrags wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung der Volkswagen AG gem. § 826 BGB. SACHVERHALT (LEICHT ABGEWANDELT) Der Kläger erwirbt beim Gebrauchtwagenhändler (H) für 18.000 € einen Audi A4. Die beklagte Volkswagen AG (B) ist Entwicklerin und Herstellerin des in dem Fahrzeug verbauten Dieselmotors EA189 Eu5. Das Fahrzeug wird als der Schadstoffklasse Euro 5 zugehörig verkauft. In den Motor dieses Pkw setzt B eine Software ein, die zwei unterschiedliche Betriebsmodi zur Steuerung der Abgasrückführung kennt. Im Modus 1 kommt es zu einer höheren Abgasrückführung und somit zu einem geringeren Ausstoß von Stickoxiden als in Modus 0. Der Modus 1 ist allerdings nur beim Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) aktiv. Im normalen Straßenverkehr wird der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Motor nur im Betriebsmodus 0 betrieben. Ab September 2015 wird die Verwendung dieser Software mit zwei Betriebsmodi zur Fahrzeugsteuerung bekannt. Später ordnet das Kraftfahrtbundesamt den Rückruf derjenigen Fahrzeuge an, die mit der oben genannten Software ausgerüstet worden waren. Es gibt der B auf, Maßnahmen zu entwickeln und nach Freigabe zu ergreifen, um die betroffenen Fahrzeuge in einen ordnungsgemäßen Zustand zu versetzen. Im Rahmen der nach der Entwicklung der notwendigen Software und ihrer Freigabe durch das Kraftfahrtbundesamt schließlich folgenden Rückrufaktion bietet B den Kunden und darunter auch dem K an, sein Fahrzeug bzw. die hier installierte Software zur Motorsteuerung kostenfrei einem Software-Update zu unterziehen, das nach Aufspielen auf die betroffenen Fahrzeuge dazu führen solle, dass auch im normalen Betrieb die öffentlich-rechtlichen Grenzwerte eingehalten würden. Nach der Installation des Updates würde der Motor des das Fahrzeugs durchgängig in einem angepassten Modus 1 betrieben. K lässt die Installation des Updates allerdings zunächst nicht durchführen. Erst am 05.07.2018 wird das Fahrzeug mit einem Software-Update versehen. K erklärt, er hätte das Fahrzeug nicht gekauft, wenn er davon gewusst hätte, dass das Abgasrückführungssystem über zwei Betriebsmodi verfügt und die Euro 5-Grenzwerte nur im Prüfmodus eingehalten werden. Die angebotene Nachbesserung durch ein Software-Update sei ungeeignet, den Mangel zu beheben. Zudem seien schädliche Auswirkungen auf den Motor zu befürchten. K macht daher einen auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichteten Schadensersatzanspruch gem. § 826 BGB geltend. Zu Recht? LEITSATZ (DER REDAKTION) 1. Ein Käufer, der unwissentlich ein vom VW-Abgasskandal betroffenes Fahrzeug erwirbt, erleidet einen Schaden i.S.d. § 826 BGB. Lebensnah betrachtet würde nämlich kein durchschnittlich informierter und wirtschaftlich vernünftig denkender Verbraucher ein Fahrzeug erwerben, das mit einer Software ausgestattet ist, die insbesondere den Stickoxidausstoß reduziert, sobald das Fahrzeug auf einem Prüfstand einen Emissionstest absolviert. 2. Indem die Volkswagen AG Fahrzeuge mit Dieselmotoren in Verkehr gebracht hat, die die einschlägigen Emissionsgrenzwerte softwaregesteuert nur einhalten, wenn sie auf einem Prüfstand einen Emissionstest absolvieren, kann sie die – pflichtwidrig darüber nicht aufgeklärten – Fahrzeugkäufer i.S.d. § 826 BGB sittenwidrig vorsätzlich geschädigt haben. Voraussetzung dafür ist, ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Volkswagen AG (§ 31 BGB) den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat. Davon kann auszugehen sein, wenn die Volkswagen AG sich trotz einer sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht dazu erklärt, welches ihrer Organe Kenntnis von der den Schadstoffausstoß optimierenden Software hatte und das Inverkehrbringen der mit dieser Software versehenen Motoren veranlasst hat. Prüfungsvermerk: Die von B vorgenommene Optimierung der Motorsteuerungssoftware ist gesetzeswidrig, da sie gegen Art. 5 II 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verstößt. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
RA 03/2019 Referendarteil: Strafrec
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