124 Zivilrecht RA 03/2022 Die Glaubhaftmachung erfolgt gem. §§ 936, 920 II, 294 ZPO mittels Freibeweis. Hierzu sind alle Strengbeweismittel zugelassen, können aber auch durch eine eidesstattliche Versicherung ersetzt werden, d.h., ein Zeuge schreibt z.B. anstelle einer Vernehmung seine Aussage auf und versichert die Richtigkeit an Eides Statt. Jedoch muss mittels schlüssigem Vortrag die Tatsachenlage hinreichend überzeugungskräftig dargelegt werden. Dies gelingt beim Verfügungsanspruch regelmäßig. Schwieriger ist die Glaubhaftmachung der besonderen Dringlichkeit, denn die Leistungsverfügung durchbricht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache. Die für die Analogie des § 861 BGB nötige vergleichbare Interessenlage fehlt bereits. Denn Daten können nicht die Körperlichkeit von Sachen im Sinne des § 90 BGB aufweisen, da sie sich anders als körperliche Gegenstände durch ihre Nicht- Rivalität, Nicht-Exklusivität und Nicht-Abnutzbarkeit auszeichnen, d.h. dass sie von einer Vielzahl von Nutzern verwendet werden können, ohne dass die Nutzung des jeweils anderen dadurch beeinträchtigt wird, dass sie ohne besonderen finanziellen Aufwand beliebig kopierbar sind und keiner Abnutzung oder Alterung unterliegen (OLG Brandenburg, Urteil vom 06.11.2019, 4 U 123/19). Im Falle eines Anspruchs aus § 861 BGB steht die verbotene Eigenmacht im Sinne des § 858 I BGB fest. Diese genügt stets als hinreichender Verfügungsgrund, ohne dass eine weitere besondere Dringlichkeit glaubhaft gemacht werden muss. Vorliegend wurde nicht der Besitz an einer Sache entzogen und auch nicht der Besitz an einer Sache gestört, sodass keine verbotene Eigenmacht vorlag. Deshalb musste K die besondere Dringlichkeit glaubhaft machen, was misslang. K muss nun den langen Klageweg gehen. Die §§ 861, 862 BGB stützen die Leistungsverfügung und gelten zu Recht als die Könige der einstweiligen Verfügung. [26] Die Verfügungskläger begehren mit der (Wieder-)Einräumung von Administratorenrechten die Regelung eines Zustandes im Hinblick auf ein streitiges Rechtsverhältnis (hier die Frage, wer das Recht zum Betrieb und zur Unterhaltung dieser Seiten hat. Nach dem Vortrag der Verfügungskläger erscheint der Kammer zumindest möglich, dass die begehrte Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig ist; die abschließende Prüfung des Vorliegen eines Verfügungsgrundes bleibt der Begründetheitsprüfung (....) vorbehalten. Der Antrag ist zulässig. II. Begründetheit des Antrags Der Antrag auf die begehrte Leistungsverfügung ist begründet, wenn K sowohl einen Verfügungsanspruch als auch einen Verfügungsgrund gem. §§ 936, 920 II, 294 ZPO glaubhaft gemacht hat. 1. Verfügungsanspruch [30] Den Verfügungsklägern kann vorliegend sowohl ein vertraglicher als auch ein deliktischer Verfügungsanspruch zustehen. Ein solcher aus dem Recht der Besitzschutzvorschriften gemäß § 858 ff. BGB kommt dagegen nicht in Betracht. Nach § 861 Abs. 1 BGB kann die Wiedereinräumung von Besitz verlangt werden, wenn derselbe durch verbotene Eigenmacht entzogen worden ist. Hier wurde den Verfügungsklägern durch den – unterstellten – Entzug von Administratorenrechten durch die Verfügungsbeklagten kein Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen. Das Administratorenrecht an einer Facebook-Seite ist jedoch kein Besitz an dieser Seite im Sinne der §§ 854 ff. BGB (weder in direkter noch in analoger Anwendung). [34] An den lediglich virtuell vorhandenen Facebook-Seiten kann Besitz zunächst nicht bestehen. § 854 BGB geht vom Sachbesitz aus, so dass grundsätzlich nur Sachen im Sinne des § 90 BGB Gegenstand des Besitzes sein können. Keinen Besitz gibt es dagegen an unkörperlichen Gegenständen wie etwa Computerprogrammen, Daten und virtuellen Gegenständen. 2. Verfügungsgrund [39] Grundsätzlich denkbar ist dagegen, dass den Verfügungsklägern gegen die Verfügungsbeklagten Ansprüche auf (Wieder)Einräumung der Administratorenrechte an den benannten Facebook-Seiten (...) aus dem zwischen den Parteien geschlossenen notariellen Kaufvertrag oder aus den §§ 823 ff. BGB – Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb – zustehen könnten. Letztlich kann insoweit eine Entscheidung jedoch dahinstehen, da es jedenfalls an dem ebenfalls erforderlichen Verfügungsgrund fehlt. [41] Unterstellt, derartige Ansprüche seien gegeben, sind die Voraussetzungen eines Verfügungsgrundes nicht hinreichend glaubhaft gemacht. [42] Diese Glaubhaftmachung war hier erforderlich. Sie ist nur dann entbehrlich, wenn einem Kläger ein Verfügungsanspruch aus § 861 Abs. 1 BGB zusteht, weil sich der Verfügungsgrund bereits aus der verbotenen Eigenmacht ergibt und eine besondere Dringlichkeit darüber hinaus nicht erforderlich ist. Die hiesigen Verfügungskläger haben gegen die Verfügungsbeklagten indes keinen Anspruch aus § 861 Abs. 1 BGB. Jura Intensiv B. Ergebnis Mangels Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrundes ist der Antrag auf einstweilige Leistungsverfügung analog § 940 ZPO unbegründet. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 03/2022 Zivilrecht 125 Problem: Analoge Anwendung des § 902 BGB auf den Anspruch aus § 888 I BGB Einordnung: Sachenrecht, Vormerkung BGH, Urteil vom 14.01.2022 V ZR 245/20 (leicht abgewandelt) EINLEITUNG BGH-Entscheidungen aus dem Gebiet des Sachenrechts nutzen Prüfungsämter gerne als Vorlagen für Prüfungsaufgaben. Dies liegt zum einen an der Bewertung des Rechtsgebiets als anspruchsvoll und zum anderen an der relativen Seltenheit geeigneter Fälle in der Rechtsprechung, vor allem im Vergleich zum Schuldrecht. Die letzte große BGH-Entscheidung zu § 888 I BGB vom 04.12.2015, V ZR 202/14, finden Sie in der RA 09/2016, 449 ff. Auch sie ist nach wie vor examensrelevant und könnte mit der vorliegenden kombiniert werden, um einen ansprechenden Examensfall zu bilden. SACHVERHALT Zugunsten des K wurde am 12.02.1999 aufgrund einer vom Verkäufer erteilten Eintragungsbewilligung eine Auflassungsvormerkung zur Sicherung eines aus dem notariellen Kaufvertrag vom 20.10.1998 stammenden Anspruchs auf lastenfreie Übertragung des Eigentums in ein Wohnungsgrundbuch eingetragen. Am 19.07.2001 wurde zugunsten der B eine Zwangshypothek (§ 867 ZPO) in das Grundbuch eingetragen. Diese sichert bestehende Ansprüche gegen den damaligen Eigentümer, den Rechtsvorgänger des K. Am 05.03.2002 wurde K als Eigentümer der Wohnung in das Grundbuch eingetragen. Gestützt auf die Behauptung, er habe die Zwangssicherungshypothek erst bemerkt, als er seinerseits die Wohnung im Jahr 2018 verkauft habe, verlangt K von B die Zustimmung zur Löschung der Zwangssicherungshypothek. B beruft sich auf Verjährung. Zu Recht? LÖSUNG Jura Intensiv A. Anspruch des K gegen B auf Löschung der Zwangshypothek aus § 894 BGB K könnte einen Anspruch gegen B auf Löschung der Zwangshypothek aus § 894 BGB haben. Dies setzt die Unrichtigkeit des Grundbuchs voraus. Dies ist der Fall, wenn die formelle Rechtslage von der materiellen Rechtslage abweicht. Nach der formellen Rechtslage ergibt sich aus dem Grundbuch das Bestehen einer Hypothek der B. Nach der materiellen Rechtslage kommt es darauf an, ob die ursprünglich zu Recht eingetragene Hypothek noch besteht. Eine Zwangshypothek im Sinne des § 867 ZPO ist eine Sicherungshypothek. Eine solche hängt in ihrer Entstehung, in ihrem Fortbestand und bei jeder Übertragung gem. § 1184 BGB stets vom Bestand der Forderung ab, welche sie sichert. Hier besteht die Forderung gegen den Rechtsvorgänger des K nach wie vor. Gem. § 216 I BGB kommt es auch nicht darauf an, ob die zu sichernde Forderung mittlerweile verjährt wäre. Folglich weicht die formelle Rechtslage nicht von der materiellen Rechtslage ab, weshalb ein Anspruch aus § 894 BGB ausscheidet. LEITSATZ DER REDAKTION 1. Der aus § 888 Abs. 1 BGB folgende Zustimmungsanspruch des Vormerkungsberechtigten ist in entsprechender Anwendung von § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB unverjährbar. (Rn.19) 2. Ist allerdings der durch die Vormerkung gesicherte schuldrechtliche Anspruch verjährt, kann der vormerkungswidrig Eingetragene im Grundsatz die dem Schuldner zustehende Einrede der Verjährung gegen den gesicherten Anspruch erheben und die Zustimmung aus diesem Grund verweigern. (Rn.25) Der BGH wies den Fall zum OLG Dresden zurück, weil die Frage, ob K tatsächlich ein Anspruch auf Auflassung aus dem genannten Kaufvertrag zusteht, noch ungeklärt ist. Um dennoch zum Kernproblem des Falles, der Verjährung des Anspruchs aus § 888 BGB vorzudringen, gehen wir hier von einem solchen Anspruch aus. Der Anspruch aus § 894 BGB ist gem. § 898 BGB unverjährbar. Die Eintragung einer Zwangshypothek kann beantragt werden, wenn der Gläubiger einen Vollstreckungstitel erlangt hat. Ein Titel ist eine öffentliche Urkunde, aus der die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann, z.B. ein Endurteil. Sie ist eine Sicherungshypothek im Sinne des § 1184 BGB. Beachte bei langen Zeiträumen stets § 216 I BGB, wenn Sicherungsrechte bestehen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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