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RA Digital - 03/2022

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130 Referendarteil:

130 Referendarteil: Zivilrecht RA 03/2022 Aktuelle Anträge sind hervorzuheben. Dies erfolgt stets durch Einrücken, Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 313 Rn 19. In Zivilrechtsklasuren eher selten, aber hier erforderlich: Ausführungen zur Zulässigkeit der Klageart BGH, Urteil vom 15.01.2008, VI ZR 53/07; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 256 Rn 14 Die Entscheidung hat materiellrechtlich zwei Schwerpunkte. Der erste bezieht sich auf die Frage, ob die zur Betriebsschließung führende Gefahr aus dem Betrieb stammen muss (mangelhafte Hygiene, Infektionsgeschehen im Betrieb etc.) oder ob jede infektionsbasierte Schließung – wie hier über eine (naturgemäß) nicht auf den Einzelfall bezogene Rechtsverordnung – grundsätzlich ausreicht. Feststellung des Bewertungsmaßstabes: Laiensphäre und damit maßgeblich auch der Wortlaut der jeweiligen Bedingung Die Versicherungsbedingungen sind umfangreich und können auch zu Prüfungszwecken abgeändert werden. Nehmen Sie das Ergebnis hier hin. Wichtig ist, dass Sie diese Differenzierung in einer Klausur, vorgetragen von der wohl beklagten Versicherung, erkennen. Kurzform: Wortlaut und Sinn und Zweck der Versicherung sprechen gegen eine solche Einschränkung. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. B vertritt die Rechtsauffassung, dass die Klage bereits aufgrund der Möglichkeit zur Bezifferung des Zahlungsanspruches unzulässig sei, außerdem liege kein Versicherungsfall vor, da erstens der hier relevante Erreger in den ZBSV 08 nicht aufgeführt sei und zweitens Versicherungsschutz lediglich für eine aus dem Betrieb selbst erwachsenden Gefahr bestünde. ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Zulässigkeit der Feststellungsklage ergibt sich neben den allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen insbesondere aus § 256 I ZPO. Erforderlich ist ein Feststellungsinteresse, welches aufgrund der Subsidiarität der Klageart bei einer möglichen Leistungsklage, welche hier auf Zahlung gerichtet wäre, nicht vorliegen würde. Auf die Erhebung einer Leistungsklage ist K aber nicht beschränkt. Zwar ist der behauptete Schaden bereits eingetreten, es ist aber noch nicht geklärt, auf welche Weise und mit welchen Kosten dieser behoben werden kann (BGH (…)). Die Klage ist jedoch unbegründet. Ein Versicherungsfall liegt nicht vor. Entgegen der Rechtsauffassung der B setzt der Eintritt des Versicherungsfalles allerdings nicht die Verwirklichung einer aus dem Betrieb selbst erwachsenden, sogenannten intrinsischen, Infektionsgefahr voraus. Hierfür ergeben sich aus den Versicherungsbedingungen keine Anhaltspunkte. [10] (…) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. (…). [11] Zunächst ergibt sich aus dem Wortlaut (…) kein Anhaltspunkt für eine Differenzierung zwischen aus dem Betrieb oder von außerhalb des Betriebes herrührenden Gefahren. Auch der dem Versicherungsnehmer erkennbare systematische Zusammenhang spricht nicht für ein Erfordernis intrinsischer Gefahren. (…) Schließlich bedeutet es für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer aus dem ihm erkennbaren Sinn und Zweck der Betriebsschließungsversicherung, ihn gegen Ertragsausfälle infolge behördlich angeordneter Betriebsschließungen zu versichern, keinen Unterschied, ob sich diese Gefahr aus seinem Betrieb oder aus von außerhalb herrührenden Umständen ergibt. Die Betriebsschließung und der Ertragsausfallschaden treten in beiden Fällen gleichermaßen ein. (…) Jura Intensiv Darüber hinausgehend liegen jedoch die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vor. Eine Betriebsschließung zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit COVID-19 oder des Krankheitserregers SARS-CoV-2 ist nicht vom Versicherungsschutz umfasst. Nach (…) ZBSV 08 besteht Versicherungsschutz nur für Betriebsschließungen, die zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern angeordnet werden. Die meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger ergeben sich aus Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 03/2022 Referendarteil: Zivilrecht 131 dem Katalog in (…) ZBSV 08, der abschließend ist und weder die Krankheit COVID-19 noch den Krankheitserreger SARSCoV-2 aufführt. [14] Allerdings ist in Rechtsprechung und Literatur streitig, ob bei einer Klauselfassung wie in (…) ZBSV 08 die dort genannten Krankheiten und Krankheitserreger nur beispielhaft aufgelistet werden und eine dynamische Verweisung der Bedingungen auf das Infektionsschutzgesetz vorliegt oder ob der Katalog in den Bedingungen – wie auch das Berufungsgericht meint – abschließend ist. [18] Entscheidend ist (…), dass (…) mit der Formulierung „im Sinne dieser Zusatzbedingungen“ und insbesondere der anschließenden Begrenzung auf „die folgenden“ detailliert aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger der (begrenzte) Umfang des Versicherungsschutzes für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer klar und deutlich ist, ohne dass er etwa ergänzend in das Infektionsschutzgesetz schauen müsste. Soweit die B auf die „im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten“ Krankheiten und Krankheitserreger in den ZBSV 08 Bezug nimmt, führt dies zu keiner anderen Bewertung, da diese Bezugnahme lediglich der Klarstellung dahingehend dient, dass bei der Formulierung der Klausel auf den gesetzlichen Katalog Bezug genommen wird. Dementsprechend wird ein Versicherungsnehmer – hier der K – nicht annehmen (dürfen), dass die ausdrückliche Nennung der §§ 6 und 7 IfSG lediglich dann einen Sinn ergebe, wenn der Katalog in den ZBSV 08 nicht abschließend sei, sodass für sämtliche zum Schadenzeitpunkt unter §§ 6 und 7 IfSG fallende Krankheiten und Krankheitserreger Versicherungsschutz gewährt werde. [20] Ein anderes Verständnis folgt entgegen der Auffassung der Revision auch nicht aus dem Begriff „namentlich“. (…). Dieser stellt kein Synonym für „beispielhaft“ dar. Jura Intensiv [20] Hieraus erschließt sich dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer, dass die mit Namen bezeichneten Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst sein sollen. Demgegenüber kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht annehmen, dass es sich hier im Sinne einer adverbialen Benutzung lediglich um ein Synonym für „insbesondere“, „vor allem“, „beispielsweise“ oder „hauptsächlich“ handeln soll. (…). Hier liegt indessen (…) eine abschließende Regelung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger vor. Der umfassenden Auflistung hätte es nicht bedurft, wenn es sich ohnehin nur um beispielhaft aufgeführte Krankheiten oder Krankheitserreger hätte handeln sollen. [21] (…) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird zwar einerseits ein Interesse an einem möglichst umfassenden Versicherungsschutz haben, andererseits aber nicht davon ausgehen können, dass der Versicherer auch für nicht im Katalog aufgeführte Krankheiten und Krankheitserreger die Deckung übernehmen will, die – wie hier COVID-19/SARS- CoV-2 gerade zeigt – unter Umständen erst Jahre nach Vertragsschluss auftreten und bei denen für den Versicherer wegen der Unklarheit des Haftungsrisikos keine sachgerechte Prämienkalkulation möglich ist. Hierzu besteht umfassende Rechtsprechung, welche in der RA vollständig abgebildet ist: RA 09/2020, S. 469, LG Bochum, Urteil vom 15.07.2020, 4 O 215/20 = abschließende Regelung = kein Versicherungsfall, ebenso: RA 08/2021, S. 409 OLG Celle, Urteil vom 01.07.2021, 8 U 5/21 RA 11/2020, S. 577, LG München I, Urteil vom 01.10.2020, 12 O 5895/20 = Keine Nennung des COVID- Erregers, obwohl zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits bekannt = Verstoß gegen § 307 I BGB = Versicherungsfall A. A. teilweise einschränkend auf die zum Schadenzeitpunkt in §§ 6 und 7 IfSG „namentlich“ genannten Krankheiten und Krankheitserreger - Fortmann, ZfV 2020, 300, 301 f.; ders., VersR 2020, 1073, 1076; Reiff, ZfV 2020, 505; Rolfes, VersR 2020, 1021, 1023. A. A.: Der Versicherungsnehmer geht aufgrund der vorherigen ausdrücklichen Bezugnahme auf das IfSG davon aus, dass der Katalog der Erreger etc. deklaratorisch für einen Gleichlauf zwischen IfSG und Versicherungsschutz steht. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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