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RA Digital - 03/2022

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Editorial

Editorial RA 03/2022 gegen Rückgewähr des verkauften, mangelhaften PKW, der nach jahrelanger Nutzung mit einer Laufleistung von knapp 300.000 Kilometern faktisch wertlos war. Wegen § 475 III BGB erhielt der am VW-Skandal völlig schuldlose Autohändler im Gegenzug aber keine Nutzungsvergütung – ein verblüffendes Ergebnis, welches das Gerechtigkeitsempfinden strapazierte. Möglich wurde es, indem die Gerichte einen Parteiwillen annahmen, der genau zu diesem Ergebnis führte, weshalb sie auch die Unmöglichkeit der Nachlieferung gem. § 275 I BGB verneinen konnten, obwohl das verkaufte Modell gar nicht mehr hergestellt wurde und das begehrte Nachfolgemodell eine andere Motorisierung und eine verbesserte Ausstattung hatte. Solche Urteile lösen bei einschlägigen Anwaltskanzleien eine Goldgräberstimmung aus, denn wenn man in Karlsruhe bei Anwendung des Kaufrechts so weit zu gehen bereit ist, wer weiß, was dann noch alles möglich ist? Die Zeit der Regenmacher war gekommen. Mit seinem Urteil BGH RA 09/2021, 453 ff., das zur Aufnahme in die amtliche Sammlung vorgesehen ist, zog der BGH dann einen ersten Zaun im Wilden Westen des Abgasskandals: Nur wenn der vom VW-Abgasskandal betroffene Käufer sein Nachlieferungsbegehren innerhalb eines Zeitraums von 24 Monaten seit Gefahrübergang ausgesprochen habe, soll der Parteiwille eine solche weitreichende Auslegung erfahren. Auf dieses Urteil nimmt der VIII. Zivilsenat in seinem aktuellen Urteil Bezug und sieht bei der Auslegung des Parteiwillens einen Spielraum eröffnet, Käufern, die durch die Nachlieferung ein neues Auto erhalten, eine Zuzahlung aufzuerlegen. Wie der BGH dies begründet, wann die Pflicht zur Zuzahlung beginnt und wie sie berechnet wird, lesen Sie in dieser Ausgabe der RA auf Seite 113. Rechtsanwalt Oliver Soltner Franchisenehmer von Jura Intensiv Frankfurt, Gießen, Heidelberg, Mainz, Mannheim und Marburg IMPRESSUM Herausgeberin: Chefredaktion: Redakteure: Bezugspreis: Werbung: Jura Intensiv Jura Intensiv Verlags UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG, Duisburger Straße 95, 46535 Dinslaken, Tel.: 02064/8275757 Internet: verlag.jura-intensiv.de - E-Mail: info@verlag.jura-intensiv.de Rechtsanwalt Oliver Soltner (V.i.S.d.P.) Rechtsanwalt Oliver Soltner & Rechtsanwalt Dr. Dominik Jan Sauer, LL.M. (Zivilrecht) Assessor Dr. Dirk Schweinberger (Nebengebiete) Rechtsanwalt Dr. Dirk Kues (Öffentliches Recht) Rechtsanwalt Uwe Schumacher (Strafrecht) Printausgabe: 6,50 Euro/Heft. 12 Hefte pro Jahr. Ermäßigungen für Abonnenten. Digitalausgabe: 5,99 Euro/Heft. Die RA steht externer Werbung offen. Mediadaten sind unter info@verlag.jura-intensiv.de erhältlich. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 03/2022 ZIVILRECHT Zivilrecht 113 Problem: VW-Abgasskandal: Umfang des Nacherfüllungsanspruchs Einordnung: Kaufrecht BGH, Urteil vom 08.12.2021 VIII ZR 190/19 (leicht verkürzt) EINLEITUNG Die vorliegende Entscheidung nimmt inhaltlich Bezug auf das Urteil des BGH vom 21.07.2021, VIII ZR 254/20, das wir in der RA 09/2021, 453 ff. besprochen haben. Für das Referendariat sind die aufgeworfenen Fragen zur sekundären Darlegungslast sehr wichtig. SACHVERHALT Mit Kaufvertrag vom 13.06.2015 erwarb K von B, einer nicht markengebundenen Kraftfahrzeughändlerin, zum Preis von 19.910 € brutto ein aus dem EU-Ausland reimportiertes Fahrzeug der lediglich bis Juni 2015 gebauten dritten Generation des Modells VW Caddy 1,6 TDI. Der Kaufvertrag enthält nähere Angaben zur vereinbarten Ausstattung, zum Kraftstoffverbrauch und zur Abgasklasse (EURO 5). Das am 16.06.2015 übergebene Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet, dessen Motorsteuerungssoftware den Prüfstandlauf erkennt und in diesem Fall über eine entsprechende Programmierung den Ausstoß an Stickoxiden (NOx-Werte) verringert, indem sie in den „Modus 1“ schaltet, bei dem eine höhere Abgasrückführung als bei dem im normalen Fahrbetrieb aktivierten „Modus 0“ stattfindet (Prüfstanderkennungssoftware). Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) beanstandete diese Software als unzulässige Abschalteinrichtung und ordnete einen Rückruf der davon betroffenen Fahrzeuge an. Mit Bescheid vom 03.11.2016 gab das KBA ein vom Fahrzeughersteller auch für das von K erworbene Modell zur Beseitigung der Prüfstanderkennungssoftware entwickeltes Update frei. K lehnte das angebotene Software-Update ab und verlangte mit Anwaltsschreiben vom 08.05.2017, welches B am Folgetag auf dem Postweg zuging, von dieser, ihm einen mangelfreien und vertragsgemäßen Neuwagen zu liefern. Seit Juli 2015 wird statt des vom Kläger erworbenen Fahrzeugmodells das Nachfolgemodell Caddy IV hergestellt. K begehrt ein mangelfreies, fabrikneues, typengleiches Ersatzfahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers mit gleichartiger und gleichwertiger technischer Ausstattung wie das Fahrzeug VW Caddy 1,6 TDI, Zug um Zug gegen Rückübereignung des vorgenannten Fahrzeugs. B verweigert die Nachlieferung, weil diese gemessen an den Kosten einer Nachbesserung durch das Software-Update unverhältnismäßig sei. K befürchtet drohende Folgeschäden infolge des Updates und behauptet, gestützt auf amerikanische Fachpublikationen, einen höheren Spritverbrauch von 10 v.H. sowie verstopfte Ventile, Zersetzung des Partikelfilters und einen Leistungsabfall des Motors und infolgedessen einen merkantilen Minderwert. Zu Recht? Anmerkung: Es ist zu unterstellen, dass der Listenpreis eines VW Caddy IV zur Zeit des Nacherfüllungsverlangens 27.536,60 € betrug. Jura Intensiv LEITSÄTZE 1. Verlangt der Käufer einer mangelhaften Sache, die nicht mehr hergestellt wird, die Lieferung eines mangelfreien Nachfolgemodells, kann im Rahmen der nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung der zum Vertragsschluss führenden Willenserklärungen bei einem erheblichen Mehrwert der Ersatzsache Anlass bestehen zu prüfen, ob die Parteien bei Vertragsschluss die Ersatzlieferung eines Nachfolgemodells (insbesondere bei Fahrzeugen) übereinstimmend nur gegen eine vom Käufer zu leistende Zuzahlung als austauschbar mit dem ursprünglich gelieferten Kaufgegenstand angesehen haben (...). 2. Danach erscheint bei beiderseits interessengerechter Vertragsauslegung bei einem erheblichen Mehrwert des im Wege der Nachlieferung verlangten Nachfolgemodells eines nicht mehr hergestellten Fahrzeugs, der ab einem Anstieg des Listenpreises von einem Viertel anzunehmen ist, in der Regel eine Zuzahlung in Höhe eines Drittels dieser Differenz als angemessen. 3. In Ausnahmefällen mag unter Berücksichtigung der vom Tatrichter umfassend zu würdigenden Umstände eine höhere Zuzahlung in Betracht kommen, die jedoch die Hälfte dieser Differenz nicht überschreiten darf (...). 4. Beruft der Verkäufer sich auf die Einrede der Unverhältnismäßigkeit, muss er darlegen und erforderlichenfalls beweisen, dass die dem Käufer angebotene Nachbesserung den Kaufgegenstand in den geschuldeten vertragsgemäßen Zustand versetzt, insbesondere den vorhandenen Sachmangel vollständig, nachhaltig und fachgerecht beseitigt. 5. Dabei ist zugunsten des Verkäufers zu berücksichtigen, dass die Freiheit des Kaufgegenstands von (Folge-)Mängeln nach Vornahme einer noch ausstehenden Nachbesserung eine negative Tatsache darstellt und der Verkäufer diesen Negativbeweis nicht allumfassend und allgemein führen kann. (...) Daher muss der Käufer nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast – im Rahmen des ihm (als technischen Laien) Zumutbaren - konkret vortragen, © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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