158 Strafrecht RA 03/2022 [Anm.: §§ 223 ff, 239, 239a, 239b, 241 StGB sind nicht zu prüfen.] PRÜFUNGSSCHEMA: RÄUBERISCHE ERPRESSUNG, §§ 253 I, 255 StGB A. Tatbestand I. Qualifiziertes Nötigungsmittel II. Opferreaktion III. Vermögensnachteil IV. Kausalität I. – II. und II. – III. V. Vorsatz bzgl. I. bis IV. VI. Absicht rechtswidriger und stoffgleicher Bereicherung B. Rechtswidrigkeit und Schuld LÖSUNG Tatentschluss ist der Wille zur Verwirklichung der objektiven Tatumstände bei gleichzeitigem Vorliegen eventuell erforderlicher besonderer subjektiver Tatbestandsmerkmale. A. Strafbarkeit gem. §§ 249 I, 250 II Nr. 1, 22, 23 I StGB Dadurch, dass A dem G die Flinte vorhielt und diesen aufforderte, ihm Fahrzeugschlüssel und –papiere auszuhändigen, könnte A sich wegen versuchten besonders schweren Raubes gem. §§ 249 I, 250 II Nr. 1, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben. I. Vorprüfung Zu einer Wegnahme ist es nicht gekommen, sodass keine Strafbarkeit wegen vollendeter Tat gegeben ist. Die Strafbarkeit des Versuchs ergibt sich aus §§ 250 II, 12 I, 23 I StGB. II. Tatentschluss A müsste zunächst Tatentschluss zur Begehung des Grunddelikts, § 249 I StGB, gehabt haben. 1. Bzgl. qualifizierten Nötigungsmittels A hatte den Willen, G durch das Vorhalten der Waffe mit dem Tode zu drohen, hatte also Tatentschluss bzgl. Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben, also eines qualifizierten Nötigungsmittels. Mit der Flinte auf G zu schießen oder in anderer Weise Gewalt gegen einer Person anzuwenden, hatte A hingegen ursprünglich nicht geplant. Jura Intensiv 2. Bzgl. fremder beweglicher Sachen A wusste, dass der Fahrzeugschlüssel und die Papiere, die er erlangen wollte, zumindest bis zu ihrer Übergabe durch G noch in dessen Eigentum standen und hatte somit Tatentschluss bzgl. fremder beweglicher Sachen als Tatobjekte. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht unbedingt tätereigenen Gewahrsams. Verfügungs-/Exklusivitätstheo rie: Schönke/Schröder, StGB, § 253 Rn 3, 8 3. Bzgl. Wegnahme A müsste sich auch vorgestellt haben, diese Sachen wegzunehmen. A dachte, dass G die Sachen bei sich tragen würde, stellte sich also das Bestehen fremden Gewahrsams vor. Er wollte sie auch an sich nehmen und so neuen Gewahrsam begründen. A müsste sich jedoch auch einen Gewahrsamsbruch vorgestellt haben. Die sog. Verfügungs- oder Exklusivitätstheorie verlangt als Opferverhalten bei den Erpressungsdelikten eine Vermögensverfügung. Sie nimmt deshalb zwischen § 249 I StGB und §§ 253 I, 255 StGB – ebenso wie bei Diebstahl und Betrug – ein Exklusivitätsverhältnis an und grenzt zwischen Raub und Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 03/2022 Strafrecht 159 räuberischer Erpressung – ebenso wie zwischen § 242 I StGB und § 263 I StGB – nach der inneren Willensrichtung des Opfers ab. Eine Wegnahme i.S.v. § 249 I StGB liegt nach dieser Meinung vor, wenn das Opfer seine Mitwirkung nicht für erforderlich hält. A ging wohl davon aus, dass G insb. wg. der Bewaffnung des A nicht dachte, dass er sich ernsthaft gegen den Verlust von Schlüsseln und Papieren wehren könnte. A hätte G diese Sachen, die G nach der Vorstellung des A bei sich trug, auch selbst abnehmen können. A glaubte nicht, dass G seine Mitwirkung für erforderlich hielt und hatte somit nach dieser Meinung keinen Tatentschluss bzgl. einer Wegnahme. Nach der sog. Spezialitätstheorie genügt als Opferverhalten im Rahmen der räuberischen Erpressung jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen. § 249 I StGB stellt deshalb nur eine lex specialis zu §§ 253 I, 255 StGB und die Abgrenzung dieser Delikte, also insb. die Prüfung der Wegnahme i.R.v. § 249 I StGB, ist nach dem äußeren Erscheinungsbild vorzunehmen. A stellte sich vor, dass G ihm die Sachen aushändigen würde, sodass er keinen Tatentschluss bzgl. eines Vorgangs hatte, der sich äußerlich als Wegnahme darstellen würde. Zwar ist der Verfügungstheorie zuzugestehen, dass es sich bei den Erpressungsdelikten ebenso wie beim Betrug um Selbstschädigungsdelikte handelt, sodass eine Übertragung der Anforderungen des § 263 StGB an die Opferreaktion auf die §§ 253, 255 StGB nahe liegt. Jedoch übersieht diese Meinung, dass der Begriff der Vermögensverfügung stets eine Freiwilligkeit impliziert, die bei einem unbewussten Selbstschädigungsdelikt wie § 263 StGB unproblematisch ist, bei bewussten Selbstschädigungsdelikten wie §§ 253; 255 StGB aber nicht gegeben sein kann. Schon deshalb überzeugt die Prüfung einer Vermögensverfügung bei den Erpressungsdelikten nicht. Außerdem kann die Verfügungstheorie bei Anwendung von vis absoluta zu Strafbarkeitslücken führen, wenn (z.B. wegen fehlender Zueignungsabsicht) keine Strafbarkeit wegen Raubes vorliegt. Denn bei Ausschaltung des Willens des Opfers kann dieses nicht mehr verfügen, sodass nach der Verfügungstheorie auch die Erpressungsdelikte ausscheiden müssen. Der Spezialitätstheorie ist zu folgen. Ein Tatentschluss das A bzgl. einer Wegnahme liegt somit nicht vor. III. Ergebnis A ist nicht strafbar gem. §§ 249 I, 250 II Nr. 1, 22, 23 I StGB. Jura Intensiv B. Strafbarkeit gem. §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1, 22, 23 I StGB Durch sein Verhalten gegenüber G könnte A sich wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung gem. §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1, 22, 23 I StGB gegenüber und zum Nachteil des G strafbar gemacht haben. Spezialitätstheorie: BGH, Beschluss vom 24.04.2018, 5 StR 606/17, RA 2018, 557 Vgl. zu diesem Streit Schumacher/ Schweinberger, JURA INTENSIV, Strafrecht BT I, Rn 424 ff. I. Vorprüfung Eine Strafbarkeit wegen vollendeter Tat ist nicht gegeben, da G keinen Vermögensnachteil erlitten hat. Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus §§ 250 II, 12 I, 23 I StGB. II. Tatentschluss A müsste mit Tatentschluss gehandelt, haben, zunächst zur Begehung des Grunddelikts, §§ 253 I, 255 StGB. 1. Bzgl. qualifizierten Nötigungsmittels A hatte Tatentschluss zur Anwendung eines qualifizierten Nötigungsmittels (s.o.). © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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