166 Referendarteil: Strafrecht RA 03/2022 [14] Der Verteidiger war der A gemäß § 141 StPO vom Gericht bestellt worden, was eine besondere Ermächtigung zur Zurücknahme von Rechtsmitteln nicht begründet […]. Das Urteil des AG war dem Verteidiger am 07.09.2020 zugestellt worden. Unter Verstoß gegen § 145a III S. 1 StPO, aber gleichwohl wirksam, erfolgte eine weitere Zustellung an die A, die am 08.09.2020 bewirkt wurde. Da für die Fristberechnung die zuletzt erfolgte Zustellung maßgeblich ist, § 37 II StPO, wurde die am 15.09.2020 eingegangene Beschränkung gemäß § 43 I, 317 StPO noch binnen offener Frist erklärt. Zur gegenteiligen Auffassung vgl. bspw. OLG Celle, Beschl. v. 23.11.2020 - 3 Ss 48/20; OLG Koblenz, Beschl. v. 08.02.2000 - 1 Ss 5/00; OLG Hamm, Beschl. v. 07.06.2016 - 1 Rvs 16/16 Vgl. dazu BGH, Beschl. vom 13.06.1991 - 4 StR 105/91 [15] Die Teilrücknahme der Berufung ist auch nicht deshalb ohne besondere Ermächtigung wirksam, weil sie noch innerhalb der Begründungsfrist des § 317 StPO erklärt wurde. Einer gegenteiligen in der Rechtsprechung - jeweils nicht entscheidungserheblich - geäußerten Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen […]. [17] In einzelnen obergerichtlichen Entscheidungen und vereinzelt in der strafprozessualen Kommentarliteratur wird die Auffassung vertreten, bei einer Beschränkungserklärung innerhalb laufender Berufungsbegründungsfrist handle es sich nicht um eine Teilrücknahme, sondern um die Konkretisierung des Umfangs des Rechtsmittels; somit bedürfe es keiner Ermächtigung nach § 302 II StPO […]. [18] Der Senat teilt die genannte Rechtsauffassung nicht […]. Der Senat hält die Anwendung des § 302 II StPO ohne zeitliche Grenze auf jede Berufungsbeschränkung durch den Verteidiger, die einer zunächst ohne Einschränkung erklärten Berufungseinlegung zeitlich nachfolgt, aufgrund der von der Revision abweichenden Struktur des Berufungsverfahrens für rechtlich geboten […]. [19] Der Bundesgerichtshof hat für das Rechtsmittel der Revision […] entschieden, dass, wenn nach einer ohne weitere Ausführungen zum Ziel des Rechtsmittels eingelegten Revision erst in der Revisionsbegründung erklärt wird, das Urteil werde nur in bestimmtem Umfang angefochten, darin weder eine Teilrücknahme der Revision noch ein Teilverzicht zu sehen sei, für die der Verteidiger nach § 302 II StPO eine ausdrückliche Ermächtigung durch den Angeklagten braucht. Es werde dadurch vielmehr lediglich der Umfang der Anfechtung konkretisiert. Erst durch diese Erklärung werde der Umfang der Revision rechtlich bindend festgelegt. Zur Begründung wird angeführt, dass zwar durch eine ohne Einschränkung erklärte Revision die Rechtskraft des Urteils nach § 343 I StPO zunächst in vollem Umfang gehemmt werde, sich aber erst aus der Erklärung nach § 344 I StPO ergebe, inwieweit das Urteil angefochten werde. Das habe auch einen guten Grund: erst durch die Zustellung des Urteils werde dem Revisionsführer eine sinnvolle Prüfung und abschließende Entscheidung ermöglicht, inwieweit eine Anfechtung des Urteils Erfolg verspreche. [20] Diese Überlegungen lassen sich auf die Berufungsbegründung wegen grundlegender struktureller Unterschiede in deren Ausgestaltung in § 317 StPO einerseits und §§ 344 I, 345 I StPO andererseits nicht übertragen. [21] Die Zulässigkeit der Berufung hängt nicht von der Einreichung einer Rechtsmittelbegründung ab. Eine Begründung ist trotz des Wortlauts des § 317 StPO weder an eine Frist gebunden noch überhaupt gesetzlich vorgeschrieben. Die von § 317 StPO formulierte Frist für die Anbringung einer Berufungsbegründung ist auch keine Ausschlussfrist für das Vorbringen des Rechtsmittelführers. Sie dient nur dem Ziel, dass die weiteren Prozessbeteiligten vorläufig über Ziel und Umfang des Rechtsmittels unterrichtet werden sollten. Bereits mit frist- und formgerechter Einlegung der Berufung nach § 314 StPO ist also das Rechtsmittel zulässig erhoben und, wenn dabei keine Beschränkung angebracht wurde, dem Angeklagten infolgedessen ein Anspruch auf eine umfassende erneute Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 03/2022 Referendarteil: Strafrecht 167 gerichtliche Befassung in zweiter Tatsacheninstanz erwachsen. Er hat eine Rechtsposition erlangt, die nur durch eine Rücknahme bzw. Teilrücknahme des Rechtsmittels wieder preisgegeben werden kann. [22] Das Rechtsmittel der Revision ist hingegen zweiaktig ausgestaltet. Es eröffnet dem Angeklagten erst dann einen gesicherten Weg zur umfassenden Prüfung der Sache durch das Revisionsgericht und damit zu einer der nach Einlegung der Berufung entstandenen vergleichbaren Rechtsposition, wenn zur rechtzeitigen Einlegung des Rechtsmittels gemäß § 343 I StPO, die die Rechtskraft des Urteils gemäß ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung zwar zunächst umfänglich hemmt, eine den Anforderungen der §§ 344, 345 StPO genügende Begründung hinzukommt. Diese hat, soweit noch nicht geschehen, inhaltlich auch den Umfang des Rechtsmittelangriffs darzulegen, § 344 I StPO. Erst diese ist konstitutiv für den Umfang des dem Revisionsgericht unterbreiteten Prüfungsgegenstands. Gemäß § 352 I StPO hat das Gericht seine Prüfung nur darauf zu erstrecken. Anders als eine Beschränkung der Berufung, die nach deren unbeschränkter Einlegung erklärt wird, schmälert mithin eine in der Revisionsbegründung angegebene Beschränkung des Rechtsmittels nicht eine bereits entstandene Rechtsposition des Angeklagten, sondern konstituiert als gesetzlich vorgeschriebener zweiter Akt der Revision eine solche erst, auch im Hinblick auf den Umfang der Anfechtung. [23] Die Erklärung des Verteidigers, eine zuvor uneingeschränkt eingelegte Berufung auf bestimmte Beschwerdepunkte zu beschränken, wird nach dem Vorstehenden vom Anwendungsbereich und Schutzzweck des § 302 II StPO erfasst. Die Norm gilt für die Zurücknahme eines bereits erhobenen Rechtsmittels sowie, über den Wortlaut hinaus, erst recht für den Rechtsmittelverzicht. Keiner besonderen Ermächtigung bedarf es hingegen dafür, von der Einlegung eines Rechtsmittels ganz abzusehen oder es von vorneherein im Umfang zu beschränken. Vom Schutzbereich der Norm sind damit erkennbar lediglich solche Willensäußerungen des Verteidigers erfasst, die ein bereits vorhandenes bzw. bereits geschaffenes Recht des Angeklagten, seine Verurteilung in der Rechtsmittelinstanz überprüfen zu lassen, durch eine Prozesserklärung aktiv beseitigen oder schmälern. Nach vorstehenden Ausführungen trifft dies für die (teilweise) Rücknahme einer unbeschränkt eingelegten Berufung, die anders als eine Revisionsbegründung eine bereits errungene Rechtsposition des Angeklagten beeinträchtigt, unabhängig vom Zeitpunkt der Erklärung zu. Die gegenteilige Ansicht kann nicht überzeugen. [24] Etwas anderes lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass die Frist zur Berufungsbegründung des § 317 StPO ebenso wie diejenige für die Begründung der Revision, § 345 I S. 2 StPO, von der Zustellung des Urteils abhängig ist. Der Senat hat zwar mit Blick auf die im Zusammenhang mit der […] dargestellten Auffassung durch den Bundesgerichtshof gemachten Ausführungen dazu, dass erst bei Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe eine sinnvolle Prüfung möglich sei, in welchem Umfang das eingelegte Rechtsmittel mit Erfolgsaussicht durchgeführt werden könne, erwogen, ob dies auch für die Berufungsbegründung entsprechend zutrifft und deshalb auch in diesem Fall in einer nachträglichen Beschränkung lediglich eine (erst jetzt mögliche und zumutbare) Konkretisierung des Rechtsmittels zu sehen wäre. Dies ist indessen nicht der Fall. Gegenstand der Revision ist die Überprüfung - nur - des angegriffenen Urteils selbst auf Rechtsfehler, § 337 StPO. Grundlage dieser Prüfung ist, soweit die Verletzung sachlichen Rechts gemäß § 344 II S. 1 2. Alt StPO gerügt ist, allein die Urteilsurkunde, ggf. nebst Abbildungen gemäß § 267 I S. 3 StPO. Jura Intensiv Wegen ihrer Unwiderruflichkeit sind strenge Anforderungen an die Eindeutigkeit einer Rücknahme- oder Verzichtserklärung zu stellen. Deshalb genügt das bloße Schweigen des Angeklagten auf die gerichtliche Feststellung der Beschränkung seiner Berufung und sein Schweigen auf die Bestätigung der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung durch die Anklagebehörde und die Verteidigung nicht als Nachweis einer Ermächtigung des Verteidigers oder gar als Beleg einer eigenen Rücknahmeerklärung des Angeklagten in der Hauptverhandlung (OLG München, Beschl. v. 14.07.2016 - 5 OLG 13 Ss 230/16). © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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