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RA Digital - 03/2022

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114 Zivilrecht

114 Zivilrecht RA 03/2022 LÖSUNG aus welchem Grund die als Nachbesserung angebotene Maßnahme nach seiner Auffassung nicht zu einem Zustand führt, der frei von (Folge-)Mängeln ist. 6. Der Käufer darf sich dabei auch auf nur vermutete Tatsachen stützen, wenn er mangels eigener Sachkunde und hinreichenden Einblicks inkomplexe technische Zusammenhänge – hier die Funktionsweise eines Software-Updates zur Beseitigung einer unzulässigen Abschalteinrichtung (Prüfstanderkennungssoftware) – keine genaue Kenntnis von den Auswirkungen einer ihm angebotenen Nachbesserungsmaßnahme haben kann. § 434 I 2 Nr. 2 BGB a.F. entspricht § 434 III 1 Nr. 1 BGB n.F. Der BGH-Senat nimmt zur Begründung des Sachmangels Bezug auf sein Urteil vom 21.07.2021, VIII ZR 254/20 = RA 09/2021, 453 ff. Wir verzichten zur Vermeidung von Wiederholungen auf eine erneute Zitierung aus dem Urteilstext und konzentrieren uns auf die neuen Aspekte, welche die Fortentwicklung der Rechtsprechung prägen. Der BGH knüpft erneut die Fragen zum Umfang des Nacherfüllungsanspruchs und des diesbezüglichen Parteiwillens an die Frage des Vorliegens einer Unmöglichkeit gem. § 275 I BGB. Auch dem BGH gefallen ständige Wiederholungen nicht, weshalb er statt langer Ausführungen auf seine Vorentscheidungen verweist. Zwei Entscheidungen sollten zur Pflichtlektüre in der Examensvorbereitung gehören: Neben der bereits zitierten Entscheidung BGH RA 09/2021, 453 ff. befasste sich der BGH auch in seinem Hinweisbeschluss vom 08.01.2019, VIII ZR 225/17 ausführlich mit dem Zusammenhang zwischen Vertragswille, Unmöglichkeit und Einrede des § 439 IV BGB. A. Anspruch der K gegen B auf Nachlieferung gem. §§ 437 Nr. 1, 439 I BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Ersatzlieferung eines fabrikneuen, typengleichen Ersatzfahrzeuges aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers mit gleichartiger und gleicherwertiger technischer Ausstattung wie das Fahrzeug VW Caddy 1,6 TDI aus §§ 437 Nr. 1, 439 I BGB Zug um Zug gegen Rückübereignung des Altfahrzeugs haben. I. Kaufvertrag Den hierfür erforderlichen Kaufvertrag schlossen die Parteien am 13.06.2015. II. Mangel bei Gefahrübergang Das gelieferte Fahrzeug könnte bei Gefahrübergang mit einem Sachmangel behaftet gewesen sein. Die Gefahr ging auf K gem. § 446 S. 1 BGB am 16.06.2015 mit der Übergabe über. Als Sachmangel kommt § 434 I 2 Nr. 2 BGB in Betracht. Danach ist eine Sache frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Für die gewöhnliche Verwendung eignet sich ein Kraftfahrzeug grundsätzlich nur dann, wenn es eine Beschaffenheit aufweist, die weder seine (weitere) Zulassung zum Straßenverkehr hindert noch ansonsten seine Gebrauchsfähigkeit aufhebt oder beeinträchtigt. Das von K bei B erworbene Fahrzeug war werkseitig mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 II 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (VO 715/2007/EG) versehen. Halter von Fahrzeugen, die entgegen zwingender unionsrechtlicher Vorschriften installierte Abschalteinrichtungen aufweisen, bei denen zur Herstellung ihrer Vorschriftsmäßigkeit eine entsprechende Nachrüstung erforderlich ist, sehen sich, so lange eine solche (noch) nicht durchgeführt worden ist, einer drohenden Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV ausgesetzt. Dieser Mangel lag bei Gefahrübergang vor. Jura Intensiv III. Kein Ausschluss Gesetzliche sowie rechtsgeschäftliche Ausschlussgründe sind nicht ersichtlich. IV. Ausschluss des Anspruchs gem. § 275 I BGB Der Anspruch auf Nachlieferung könnte wegen echter Unmöglichkeit gem. § 275 I BGB ausgeschlossen sein. Unter echter Unmöglichkeit i.S.d. § 275 I BGB versteht man die dauerhafte Nichterbringbarkeit des Leistungserfolges. Für eine solche dauerhafte Nichterbringbarkeit könnte sprechen, dass das von K gekaufte Modell nicht mehr hergestellt wird und sich das Nachfolgemodell vom Altmodell unterscheidet. [40] Im Ausgangspunkt noch zutreffend hat das Berufungsgericht unter Zugrundelegung der einschlägigen Rechtsprechung des Senats angenommen, dass allein aufgrund einer nach Vertragsschluss beziehungsweise nach Übergabe erfolgten Einführung eines Nachfolgemodells ein Anspruch des Käufers eines mangelbehafteten Neufahrzeugs gegen den Verkäufer auf Lieferung eines mangelfreien, fabrikneuen und typengleichen Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 03/2022 Zivilrecht 115 Ersatzfahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers nicht generell gemäß § 275 Absatz 1 BGB wegen Unmöglichkeit der Leistung ausgeschlossen ist. Die hiergegen erhobenen Einwände der Revisionserwiderung greifen aus den Gründen, die der Senat in seinen Urteilen vom 21. Juli 2021 eingehend ausgeführt hat, nicht durch (...). Die Möglichkeit einer Ersatzbeschaffung hängt bei Unmöglichkeit der Lieferung einer dem Kaufgegenstand vollständig entsprechenden mangelfreien Sache im jeweiligen Einzelfall entscheidend vom durch interessengerechte Auslegung zu ermittelnden Willen der Parteien ab. Auf den Parteiwillen kommt es deshalb maßgeblich an, weil die Vorschrift des § 439 Abs. 1 BGB selbst keine Regelung zu der Frage trifft, welche Ersatzsache als austauschbar, also als gleichwertig und gleichartig, mit dem Kaufgegenstand zu bewerten ist. Hier könnte einer Pflicht zur Lieferung eines Fahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion entgegenstehen, dass K und B einen Kaufvertrag über ein reimportiertes Fahrzeug geschlossen haben. [41] Soweit die Revisionserwiderung geltend macht, der Kläger habe ein reimportiertes Fahrzeug erworben und verlange nunmehr die Lieferung eines „fabrikneuen“ (wohl für den deutschen Markt produzierten) Nachfolgemodells, steht dies der Beschaffungspflicht der Beklagten ebenfalls grundsätzlich nicht entgegen. Denn das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, dass es sich bei dem erworbenen Fahrzeug allein aufgrund des Reimports nicht um ein Neufahrzeug handelt. (...). Ferner könnte einer Pflicht zur Lieferung eines Fahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion entgegenstehen, dass der gekaufte VW Caddy III im Juni 2015 bereits ein Auslaufmodell war. [44] Diese Grundsätze kommen hier jedoch nicht zum Tragen. Denn im gegebenen Fall hat das Berufungsgericht zwar festgestellt, dass das vom Kläger erworbene Modell seit Juni 2015 - dem Monat, in dem auch der Kaufvertrag geschlossen wurde - nicht mehr produziert wird. Es hat jedoch keine Feststellungen zu den Gründen, aus denen der Kläger das nur noch bis Juni 2015 produzierte Modell Caddy III erworben hat, getroffen. Schließlich könnte einer Pflicht zur Lieferung eines Fahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion entgegenstehen, dass K sein Nachlieferungsbegehren 23 Monate nach dem Kaufvertragsschluss ausgesprochen hat. [46] Allerdings führt, wie der Senat entschieden hat, eine nach beiden Seiten hin interessengerechte Auslegung des Parteiwillens bei Vertragsschluss im Fall eines Verbrauchsgüterkaufs dazu, dass die von einem Verkäufer übernommene Beschaffungspflicht bezüglich eines neuwertigen Nachfolgemodells zeitlich nicht uneingeschränkt, sondern nur dann besteht, wenn ein Nachlieferungsanspruch innerhalb eines als sachgerecht und angemessen zu bewertenden Zeitraums von zwei Jahren ab Vertragsabschluss geltend gemacht wird. Denn der Käufer eines Verbrauchsguts hat für die gelieferte mangelhafte Sache, die durch Nutzung fortlaufend an Wert verliert, eine Nutzungsentschädigung nicht zu zahlen (§ 475 Absatz 3 Satz 1 BGB). Bereits aus diesem Grund ist bei einer beiderseits interessengerechten Auslegung der Willenserklärungen der Parteien eines Verbrauchsgüterkaufvertrags - vor allem beim Kauf von © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis Sie finden den Hinweisbeschluss des BGH vom 08.01.2019 in der Entscheidung des OLG Karlsruhe RA 07/2019, 349 wieder, weil das OLG auf den Beschluss in allen kritischen Punkten Bezug nimmt. Dies ist die Essenz aus dem Urteil des BGH vom 21.07.2021, VIII ZR 254/20 = RA 09/2021, 453 ff.: Es kommt auf die Auslegung des Parteiwillens unter Einbeziehung der Umstände des Einzelfalles an, ob ein Nacherfüllungsanspruch auch die Lieferung des Nachfolgemodells erfasst, wenn das gekaufte Modell nicht mehr hergestellt wird. Umstand des Einzelfalles: Reimportfahrzeug Ansicht des BGH: Auch ein Reimport kann ein Neufahrzeug sein. Folglich schließt der Umstand, dass das gekaufte Modell ein Reimport war, nicht aus, dass bei der Nachlieferung ein Neufahrzeug aus aktueller Produktion geschuldet ist. Umstand des Einzelfalles: Auslaufmodell Der Umstand allein, dass es sich um ein Auslaufmodell handelt, führt nicht zu einer Beschränkung des Parteiwillens auf das Modell VW Caddy III. Diesen Aspekt versteht nur, wer das Urteil des BGH vom 21.07.2021, VIII ZR 254/20 = RA 09/2021, 453 ff. gelesen hat. Das Problem: Gem. § 475 III BGB muss der Verbraucher im Falle der Nachlieferung nur das Fahrzeug zurückgeben, jedoch keine Nutzungsvergütung für die gefahrenen Kilometer leisten. Deshalb muss der Käufer den Nachlieferungsanspruch innerhalb von zwei Jahren geltend machen.

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