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RA Digital - 03/2023

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134 Referendarteil:

134 Referendarteil: Zivilrecht RA 03/2023 Informationen, die sich auf einen streitigen Vortrag beziehen und dem Verständnis des Streitgegenstandes dienen, können ausnahmsweise in den unstreitigen Teil des Tatbestandes gezogen werden. Hier ist aber dann erforderlich, dass ein ausdrücklicher Hinweis dahingehend erfolgt, dass dieser Umstand zwischen den Parteien streitig ist. Komplette Zusammenfassung der Verletzungen und Heilbehandlungen des Geschädigten zum Zwecke der Substantiierung des Schmerzensgeldanspruches Aktuelle Anträge sind hervorzuheben. Dies erfolgt stets durch Einrücken, Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 313 Rn 19. Unbezifferte Klageanträge sind hier ausnahmsweise kein Verstoß gegen § 253 II Nr. 2 ZPO, Thomas/ Putzo/Seiler, ZPO, § 253 Rn 12. Insbesondere bei der Nennung eines Mindestbetrages bestehen keine Bedenken mehr. Feststellungsantrag für eine rechtskräftige Entscheidung wegen eventueller zurzeit noch unbekannter Folgeschäden Auf dem Bahnübergang kam es zur Kollision zwischen dem Zug und dem von der K gesteuerten Pkw. Das Auto wurde vom Zug auf der Beifahrerseite erfasst und zunächst durch die Luft gegen zwei dort abgestellte DB-Fahrzeuge geschleudert, ehe es sich teilweise um die eigene Achse drehte und erheblich deformiert und beschädigt in umgekehrter Fahrtrichtung zwischen den DB- Fahrzeugen und dem Schrankenantrieb zum Stehen kam. Zur Zeit des Unfalls befanden sich die beiden Mitarbeiter B. K. und M. W. der B im Bereich des Bahnübergangs. K wurde bei dem Zusammenstoß schwer verletzt. Sie musste von Feuerwehrleuten aus dem Fahrzeugwrack ihres Pkw befreit werden. Die Klägerin erlitt bei dem Unfall ein Polytrauma mit gedecktem Schädelhirntrauma und multiple Kontusionsblutungen rechts frontal und temporal, weiter eine Rippenserienfraktur rechts, mit traumatischem Pneumohämatothorax rechts, eine ausgedehnte Rissquetschwunde am distalen Oberarm rechts, eine Radiusköpfchenfraktur mit Gelenkbeteiligung und knöcherner Absprengung am Olekranon rechts (Ellenbogenhöcker an der Spitze des Ellenbogens) und eine Milzkontusion. Die Olekranon-Fraktur wurde noch am Unfalltag operativ versorgt. Die Klägerin wurde vom (…) bis (…) im Krankenhaus M. stationär behandelt. Vorgerichtlich zahlte die B an K auf den Schmerzensgeldanspruch einen Abschlag in Höhe von 4.000 €. Nach Rechtshängigkeit und insgesamt nach über drei Jahren seit dem Unfall zahlte die B einen weiteren Abschlag auf den Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 22.666 €. K beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ein angemessenes Schmerzensgeld, welches der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, der Höhe nach aber mindestens 50.000 € betragen soll, an die Klägerin zu zahlen, sowie festzustellen, dass die Beklagte der Klägerin auch zum Ersatz zukünftiger materieller und immaterieller Schäden aus dem Umfall vom (…) verpflichtet sind, sowie Jura Intensiv die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine Summe in Höhe von 2.002,41 € als vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Der streitige Parteivortrag wird im Präsens und indirekter Rede dargestellt. Trennen Sie zwischen Tatsachenbehauptungen und Rechtsansichten. Entscheidungsgründe: Die Klage hat Erfolg § 1 HaftpflG als lex specialis zum StVG; § 2 AEG dient zur Begriffsbestimmung Sie behauptet, die Klägerin sei durch Hupen des heranfahrenden Zuges gewarnt worden. Zudem vertritt sie die Rechtsauffassung, K müsse sich ein Mitverschulden in Höhe von 1/3 anrechnen lassen. Darüber hinaus vertritt B die Rechtsauffassung, ihre geleisteten Zahlungen erfüllen ihre Verpflichtungen zur Zahlung von Schmerzensgeld. ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE Die Klage ist zulässig und begründet. Der K steht ein Schadensersatzanspruch aufgrund der beim Betrieb der Schienenbahn erlittenen Verletzungen zu, §§ 1, 6 HaftPflG, § 2 AEG. Die Haftung der B ist nicht wegen höherer Gewalt gemäß § 1 II HaftPflG ausgeschlossen. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 03/2023 Referendarteil: Zivilrecht 135 Aufgrund der erheblich gesteigerten Betriebsgefahr der B hinsichtlich des Bahnübergangs und dem Organisationsverschulden der B ergibt sich eine Haftungsquote von 100:0 zu Lasten der B, § 17 II StVG. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die K den Ausfall der BÜSA hätte erkennen können und müssen. Eine Wahrnehmung der geparkten DB-Fahrzeuge am Schalthaus durch die K vor Überqueren des Bahnübergangs unterstellt, lässt die Würdigung zu, dass K daraus jedenfalls keine Anhaltspunkte für einen unbemerkten Ausfall der BÜSA hätte ableiten müssen. Vielmehr wird für den Verkehrsteilnehmer bei entsprechender Wahrnehmung deutlich, dass die B Mitarbeiter vor Ort hat und etwaige Probleme behoben werden und der Bahnübergang sicher ist. § 17 StVG ist gegenüber § 4 HaftpflG vorrangig, OLG Hamm, Urteil vom 11.06.2015, I-6 U 145/14 Das ist meiner Meinung nach schwierig nachzuvollziehen. Fahre ich als Autofahrer auf einen Bahnübergang zu und sehe Mitarbeiter der Bahn dort an der Anlage arbeiten, würde ich eher von einem Problem bei der Anlage ausgehen, als mich besonders sicher zu fühlen, weil dort Mitarbeiter sind. Hinsichtlich des behaupteten Hupens ist die B beweisfällig geblieben. [63] Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass die Beklagten zum Nachweis des rechtzeitigen Hupens nicht die am Bahnübergang vor Ort befindlichen Bahnmitarbeiter K. und W. benannt haben. Diese waren mit der Behebung der gegen 06:40 Uhr am Unfalltag gemeldeten Funktionsstörung der streitgegenständlichen BÜSA betraut. Sie sollen zum Unfallzeitpunkt in ihren Fahrzeugen am Bahnübergang gesessen haben. Sie hätten also das Hupen wahrnehmen können und müssen und bei Wahrnehmung eines rechtzeitigen Hupens - insbesondere in Kenntnis der Funktionsprobleme des Bahnübergangs - auf die Straße rennen und den Bahnübergang durch Sperrung der Straße sichern müssen. Derartiges ist aber nach dem Erkenntnisstand aus der Ermittlungsakte nicht erfolgt und von den Beklagten auch nicht vorgetragen, was dafürspricht, dass auch für die Klägerin im Zeitpunkt eines angenommenen Hupens keine Reaktionsmöglichkeiten mehr bestanden. Die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs tritt im vorliegenden Fall aber gegenüber der erheblich gesteigerten Betriebsgefahr auf Beklagtenseite und dem nachgewiesenen Verschulden vollständig zurück. Jura Intensiv [69] Die Haftungsabwägung richtet sich wie ausgeführt nach § 17 StVG als Spezialnorm. Die Abwägung hängt davon ab, wie sich die Betriebsgefahr der Bahn im Einzelfall auswirkt. Die Betriebsgefahr einer Eisenbahn oder einer Straßenbahn ist wegen ihrer Masse, des langen Bremsweges der Bahn und ihrer infolge der Schienengebundenheit geringeren Beweglichkeit in der Regel höher als die eines Pkw oder Lkw. (…). Erschwerend und erheblich betriebsgefahrerhöhend kommt hier hinzu, dass die BÜSA für den Straßenverkehr unerkennbar nicht funktionierte. Allein dies kann nach der Rechtsprechung eine Alleinhaftung auf Seiten der Bahn begründen, wenn die herannahende Bahn, wie vorliegend, nicht rechtzeitig vorher für den Fahrzeugführer erkennbar gewesen ist. Diesen Verkehrssicherungspflichten ist die B hinsichtlich des streitigen Bahnübergangs angesichts der bekannten Störungsserie nicht ausreichend nachgekommen. Vor dem streitigen Bahnunfall war es seit Anfang Juli 2019 binnen weniger als einem Monat zu insgesamt 15 Störungen der streitigen BÜSA gekommen. Konkret wurden im Zeitraum vom 07.07.2019 bis zum 02.08.2019 am streitigen Bahnübergang insgesamt 15 Störungen dokumentiert. Diese waren der B sämtlich bekannt. Sehr interessant: Würdigung des Umstandes, dass die Beklagte ihre eigenen Mitarbeiter, die vor Ort waren, nicht als Zeugen für eine für sie günstige Tatsachenbehauptung (Hupen des Zuges) genannt hat. Sonderfall: vollständiges Zurücktreten einer fahrzeugimmanenten Betriebsgefahr Wir sammeln die Gründe: • Masse der Bahn • Langer Bremsweg • Keine Lenkung möglich • Unerkennbar funktionsunfähiger Bahnübergang Hier stellt sich eigentlich schon die Frage, ob die Grenze zur Annahme eines bedingten Vorsatzes überschritten wurde. Dass es überhaupt zu 15 Störungen kommt, bevor eine Beseitigung der technischen Probleme erfolgt, ist unbegreiflich. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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