194 Nebengebiete RA 04/2017 Lohnrückzahlung verlangen. Denn infolge der Wirksamkeit der Kündigung bestand ja keine Pflicht zur Lohnzahlung mehr. Der Rückzahlungsanspruch des Arbeitgebers folgt in solchen Fällen aus § 812 I 1, Fall 1 BGB. Geht der Arbeitnehmer hingegen tatsächlich zur Arbeit, dann besteht zwar ebenfalls für die Dauer dieser Weiterbeschäftigung kein Arbeitsverhältnis (die Kündigung war ja wirksam), aber der Arbeitgeber kann trotzdem keine Rückzahlung gemäß § 812 I 1 Fall 1 BGB verlangen. Weil er die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers ohne gültigen Arbeitsvertrag erhalten hat, muss er nämlich deren Wert ersetzen, § 818 II BGB. Und da sich der Rückzahlungsanspruch des Arbeitgebers und der Wertersatzanspruch des Arbeitnehmers gleichwertig gegenüberstehen, werden sie „saldiert“, so dass der Arbeitnehmer im Ergebnis für die Phase einer solchen sog. „Prozessbeschäftigung“ vor Lohnrückforderungen sicher ist. Vor diesem Hintergrund behandelt die hier vorgestellte Entscheidung die Frage, welche Folgen eine einvernehmliche Freistellung hat, auf die sich die Parteien geeinigt haben, um die Vollstreckung des Weiterbeschäftigungsanspruchs überflüssig zu machen. SACHVERHALT Ein gekündigter Arbeitnehmer hatte in der ersten Instanz – auch mit seinem Antrag auf Weiterbeschäftigung – gewonnen, so dass der Beklagte Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung verpflichtet war. Um die Zwangsvollstreckung der Pflicht des Weiterbeschäftigungstitels abzuwenden, erklärte der Anwalt des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer werde „jederzeit widerruflich von der Erbringung seiner Arbeitsleistung unter Anrechnung auf eventuell noch bestehenden und im Anschluss daran auf eventuell noch entstehenden Erholungsurlaub freigestellt“. Auf dieser Grundlage meldete der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wieder bei der Sozialversicherung an und zahlte für etwa zweieinhalb Monate den Lohn. Kurz darauf entschied das LAG pro Arbeitgeber, woraufhin dieser den zwischenzeitlich gezahlten Lohn zurückverlangte. Da der Arbeitnehmer den Lohn nicht freiwillig zurückzahlte, klagte der Arbeitgeber in einem Folgeprozess auf Rückzahlung. Jura Intensiv PRÜFUNGSSCHEMA: § 812 I 1 1. Alt. BGB I. (Kondiktionsschuldner hat) Etwas erlangt II. Durch Leistung III. Ohne Rechtsgrund LÖSUNG Anspruch gem. § 812 I 1 1. Alt. BGB Der Arbeitgeber könnte gegen den (Ex-)Arbeitnehmer einen Anspruch auf Rückzahlung des nach der 1. Instanz gezahlten Lohnes aus Leistungskondiktion gem. § 812 I 1 1. Alt. BGB haben. I. Etwas erlangt Der Arbeitnehmer hat mit den Lohnzahlungen einen Vermögensvorteil, also „etwas“, erlangt. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 04/2017 Nebengebiete 195 II. Durch Leistung Dies erfolgte auch in Form einer bewussten und zweckgerichteten Vermehrung fremden Vermögens, also durch Leistung des Arbeitgebers. III. Ohne Rechtsgrund [38] Ein Anspruch des klagenden Landes auf Rückzahlung gezahlten Nettoentgelts gemäß § 812 I 1 1. Alt. BGB setzt voraus, dass der Beklagte diese Zahlungen ohne Rechtsgrund erlangt hat. [39] I. Unstreitig liegt kein fortbestehendes Arbeitsverhältnis der Parteien vor, das Rechtsgrundlage von (Annahmeverzugs-)Entgeltansprüchen des Beklagten sein könnte. Ebenso unstreitig erfolgte keine tatsächliche Beschäftigung, die Ansprüche des Beklagten auf Entgelt begründen könnte. [40] II. Es erfolgte jedoch eine Freistellung zur Vermeidung der geforderten vorläufigen Weiterbeschäftigung. Diese Freistellung steht, wie das Arbeitsgericht zu Recht entschieden hat, einer Rückforderung des für die Zeit der Freistellung gezahlten Entgelts entgegen. [41] 1. Im Falle einer tatsächlichen Weiterbeschäftigung aufgrund einer erstinstanzlichen Verurteilung zur vorläufigen Weiterbeschäftigung kann das Entgelt für die erfolgte Arbeitsleistung im Falle einer späteren Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht zurückgefordert werden, soweit dieses – wie regelmäßig anzunehmen – dem Wert der Arbeitsleistung entspricht. Gegen die Rückabwicklung bereits ausgetauschter Leistungen werden die Parteien durch die im Bereicherungsrecht anerkannte Saldierung geschützt. [42] 2. Im vorliegenden Fall erfolgte eine Freistellung, die wie eine tatsächlich erfolgte vorläufige Weiterbeschäftigung zu behandeln ist. [43] Es kann dahingestellt bleiben, ob die Parteien ein Prozessrechtsarbeitsverhältnis, d.h. eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Abschluss des Rechtsstreits mit Freistellung während dieser Zeit vereinbart haben. Jedenfalls haben die Parteien eine Freistellung von der vorläufigen Weiterbeschäftigung zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung vereinbart. Damit haben die Parteien auch vereinbart, dass die Zeit der Freistellung einer tatsächlichen per Zwangsvollstreckung durchgesetzten Beschäftigung, d.h. einer Prozessbeschäftigung (...) entsprechend zu behandeln ist. Jura Intensiv Kein Fall einer sog. „Prozessbeschäftigung“ während des laufenden Kündigungsschutzprozesses „Eigentlich“ müsste der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer seine erbrachten Dienste zurückgewähren, was natürlich nicht möglich ist. Deshalb hat der Arbeitgeber gem. § 818 II BGB Wertersatz zu leisten. Grundsätzlich wird hierzu der Lohn herangezogen, der im bestehenden Arbeitsverhältnis zu bezahlen gewesen wäre. [44] Willenserklärungen sind nach §§ 133, 157 BGB so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen müssen. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen, zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind jedoch auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Vor allem sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen (...). [45] a) Nach dem Wortlaut der Erklärung wurde eine Freistellung anstatt der geforderten vorläufigen Weiterbeschäftigung angeboten. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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