Aufrufe
vor 6 Jahren

RA Digital - 04/2018

  • Text
  • Jura
  • Intensiv
  • Stpo
  • Inhaltsverzeichnis
  • Verlags
  • Recht
  • Stgb
  • Beklagte
  • Urteil
  • Strafrecht
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

200 Öffentliches Recht

200 Öffentliches Recht RA 04/2018 LEITSÄTZE 1. Nimmt jemand als Beobachter - etwa als Vertreter der Medien oder als Wissenschaftler - an einer Versammlung teil, weil er deren Ablauf beobachten will, so kann er sich nicht auf sein Versammlungsgrundrecht nach Art. 8 GG berufen. Sein Schutz bemisst sich nach Art. 2 Abs. 1, 2 sowie Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. 2. Das versammlungsrechtliche Trennungsprinzip bedeutet, dass eine zeitliche oder örtliche Trennung zeitgleich angemeldeter Versammlungen zur Verhinderung eines Versammlungsverbots oder einer -auflösung auf § 15 Abs. 1, Abs. 3 Sächs- VersG gestützt werden kann, wenn sonst zu befürchten wäre, dass es wegen des Aufeinandertreffens von Teilnehmern der jeweils anderen Veranstaltung (Gegendemonstration) von deren Sympathisanten zu einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kommen würde. 3. Das für die Durchsetzung des versammlungsrechtlichen Trennungsprinzips verhängte Betretensverbot kann sich auf § 15 SächsVersG stützen. 4. Als Maßstab der Polizei für die Prüfung, ob eine Person unter das Betretensverbot fällt, ist darauf abzuheben, ob ex ante betrachtet bei einem fähigen, besonnenen und sachkundigen Polizeibeamten der Eindruck der Gefahrverursachung erweckt wird. Hierfür genügt es, dass ein Verhalten objektiv geeignet ist, bei Dritten den Eindruck zu erwecken, es drohe vom angeblichen Störer ein Schaden für ein polizeilich geschütztes Rechtsgut. Problem: Anwendbarkeit des VersammlG bei Zutrittshindernissen Problem: Versammlungsrechtliches Trennungsprinzip Einordnung: Grundrechte/Versammlungsrecht OVG Bautzen, Urteil vom 25.01.2018 3 A 246/17 EINLEITUNG Gegenstand des Urteils ist das versammlungsrechtliche Trennungsprinzip, das den Zutritt zu einer Versammlung verhindern kann. SACHVERHALT In der Stadt S findet auf dem Marktplatz eine Versammlung unter dem Motto „Fragt uns Bürger! Wir sagen NEIN zum Asylmissbrauch!“ statt, zu der u.a eine Gegenveranstaltung aus dem linken politischen Spektrum angemeldet ist. Da es in der Vergangenheit in S in solchen Fällen immer wieder zu Gewalttätigkeiten zwischen den Teilnehmern der unterschiedlichen Versammlungen gekommen ist, sieht der Einsatzbefehl der Polizei eine strikte Trennung der Versammlungen vor. K nimmt zunächst an der „linksgerichteten“ Versammlung teil, macht sich dann aber auf den Weg zu der Versammlung auf dem Marktplatz. Er möchte erfahren, was dort tatsächlich gesagt wird und was die Teilnehmer dieser Versammlung bewegt. Unterwegs trifft er auf eine Polizeiabsperrung, an der er gefragt wird, ob er für oder gegen das Asylbewerberheim sei. Als K antwortet, er sei jedenfalls nicht dagegen, wird ihm der Zutritt zum Marktplatz verwehrt. Ist das formell rechtmäßige Zutrittverbot auch materiell rechtmäßig? LÖSUNG Das Zutrittsverbot ist materiell rechtmäßig, wenn es auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage beruht, deren inhaltliche Voraussetzungen erfüllt sind. I. Ermächtigungsgrundlage für das Zutrittsverbot Als Ermächtigungsgrundlage für das Zutrittsverbot kommt § 15 I SächsVersG in Betracht. Jura Intensiv „[31] Das Versammlungsgesetz ist vorliegend anwendbar, da es sich bei dem im Rahmen der Zugangssperren am Marktplatz in Schneeberg ausgesprochenen Betretensverbot um eine Maßnahme handelte, die den Kläger auf dem Weg zu einer Versammlung traf. Das Versammlungsgesetz ist auch auf Zugangsregelungen zu einer Versammlung anwendbar. Da der Kläger erst kurz vor dem Marktplatz gestoppt wurde, ist davon auszugehen, dass der Gang zum Versammlungsort unmittelbar angetreten war.“ Ist das SächsVersG demnach anwendbar, ist gleichwohl fraglich, ob § 15 I SächsVersG die zutreffende Ermächtigungsgrundlage für das Zutrittsverbot ist, ermächtigt die Norm doch ausdrücklich nur zum Verbot einer Versammlung sowie zum Erlass von Beschränkungen. Minusmaßnahme „[36] […] Bei dem Betretensverbot handelte es sich […] um eine sogenannte Minusmaßnahme, da sie eine versammlungsspezifische Beschränkung unterhalb der Schwelle eines Verbotes i.S.v. § 15 Abs. 1 SächsVersG beinhaltete. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 04/2018 Öffentliches Recht 201 [37] Das Versammlungsverbot nach § 15 Abs. 1 SächsVersG stellt nur das letzte, äußerste Mittel zur Gefahrenabwehr dar. Wenn das Verbot nicht erforderlich oder unverhältnismäßig und deswegen übermäßig belastend ist, muss die zuständige Behörde […] ein milderes und angesichts der konkreten Sachlage angemessenes Mittel einsetzen. […]“ Zum Aufbau: Anwendbarkeit des VersammlG und Minusmaßnahme können alternativ auch erst i.R.d. materiellen Rechtmäßigkeit erörtert werden. Folglich kann sich das Verbot auf ist § 15 I SächsVersG stützen. II. Formelle Rechtmäßigkeit des Zutrittsverbots Laut Sachverhalt ist das Zutrittsverbot formell rechtmäßig. III. Materielle Rechtmäßigkeit des Zutrittsverbots Das Verbot ist materiell rechtmäßig, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 I SächsVersG erfüllt sind und das behördliche Ermessen fehlerfrei ausgeübt wurde. 1. Öffentliche Versammlung unter freiem Himmel Bei der Veranstaltung auf dem Marktplatz handelt es sich um eine Versammlung i.S.d. SächsVersG, die auch öffentlich und unter freiem Himmel stattfindet. 2. Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung § 15 I SächsVersG setzt weiterhin voraus, dass bei Durchführung der Versammlung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung besteht. Angesichts des grundrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit durch Art. 8 I GG und ihrer Bedeutung in einem demokratischen Rechtsstaat sind strenge Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen sind in diesem Zusammenhang nicht ausreichend. Stattdessen müssen gesicherte Erkenntnisse vorliegen, dass es bei Durchführung der konkreten Versammlung jederzeit zu einem Schaden für das zu schützende Rechtsgut kommen kann. Hier könnte eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Form eines Verstoßes gegen das versammlungsrechtliche Trennungsprinzip vorliegen. Jura Intensiv „[33] Dieses Prinzip bedeutet […], dass eine zeitliche oder örtliche Trennung zeitgleich angemeldeter Versammlungen zur Verhinderung eines Versammlungsverbots oder einer -auflösung auf § 15 Abs. 1, Abs. 3 SächsVersG gestützt werden kann, wenn sonst zu befürchten wäre, dass es wegen des Aufeinandertreffens von Teilnehmern der jeweils anderen Veranstaltung (Gegendemonstration) von deren Sympathisanten zu einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kommen würde. […] [35] Soweit demnach nach der planerischen Gesamtkonzeption Versammlungsteilnehmer von dem Trennungsprinzip erfasst waren, war der Polizeibeamte, der die Zugangskontrollen durchführte, damit von einer erneuten Prüfung befreit, ob durch die Zulassung des Versammlungsteilnehmers zu der Versammlung die öffentliche Sicherheit nach § 15 Abs. 1 SächsVersG konkret gefährdet würde. Seine Prüfung durfte sich demnach darauf beschränken, ob der den Zutritt Begehrende unter das Trennungsprinzip fiel oder nicht. […]“ Das verlangt zunächst die Prüfung, ob die Anwendung des Trennungsprinzips im konkreten Fall rechtmäßig ist, ob es also ohne eine Trennung der Teilnehmer der Versammlungen zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung kommt. § 15 I SächsVersG ist mit § 15 I VersammlG des Bundes inhaltlich identisch Das ist hier so unproblematisch, dass ein kurzer Ergebnissatz ausreichend ist. BVerfGE 69, 315, 353f.; Dietel/ Gintzel/Kniesel, VersammlG, § 15 Rn 29f. Definition „versammlungsrechtliches Trennungsprinzip“ Konsequenz der Geltung des Trennungsprinzips 1. Prüfungsschritt: Rechtmäßigkeit der Anwendung des Trennungsprinzips © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats