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RA Digital - 04/2021

Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

188 Referendarteil:

188 Referendarteil: Zivilrecht RA 04/2021 Anbieter = Telekommunikationsunternehmen Kernaussage: Die Bank verlagert ihre Dienstleistung unentgeltlich auf ein Kommunikationssystem eines Dritten und soll – nach Ansicht des Senates – auch für solche Risiken haften, welche der Sphäre der Bank offensichtlich zuzurechnen sind. Dies lässt sich erneut aus den Wertungen der §§ 675u, v, w BGB herleiten, welche die Risikoverteilung bei nicht autorisierten Zahlungsvorgängen zu Lasten des Zahlungsdienstleisters regeln. zur Verwirklichung ihres eigenen wirtschaftlichen Interesses ein erhebliches Risiko. Der Anbieter wird durch die Einbeziehung in das Online-Banking in besonderer Weise zu einer Zielscheibe der Cyberkriminellen. (…) Es wäre daher unbillig, den Anbieter in die Verantwortung dafür zu nehmen, dass sein System so abgesichert ist, wie es im Interesse der an der Vertragsbeziehung nicht einmal beteiligten Bank erforderlich wäre. Indem das Telekommunikationsunternehmen einen Vertrag mit seinem Kunden eingegangen ist, schuldet es diesem zwar sichere Telekommunikation, und zwar im Rahmen dessen, was der Kunde, der ein verhältnismäßig geringes Entgelt für die Dienstleistung zahlt, erwarten darf. Dazu gehört aber nicht, dass der Anbieter Schutz vor jedwedem denkbaren Angriff durch Straftäter bietet, denn dies wird trotz aller Bemühungen niemals zu gewährleisten sein. (…). [31] Gefahren aus dem Inhalt der Kommunikation sind hingegen für den Anbieter nicht mehr vorhersehbar. Dadurch, dass er seitens der Bank gleichsam als Vehikel für das Online-Banking genutzt wird, würde ein für den Anbieter in keiner Weise mehr kalkulierbares Risiko entstehen. Weiß die Bank aber darum, dass das mobile TAN-Verfahren gefahrgeneigt ist und greift sie dennoch im eigenen wirtschaftlichen Interesse darauf zurück, so geht sie sehenden Auges ein Risiko von erheblicher Tragweite ein. (…). Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO. FAZIT Ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter liegt in diesem Fall nicht vor. Das Vertragsverhältnis zwischen dem Kunden und dem Telekommunikationsunternehmen enthält zwar die Pflicht, dem Kunden Mittel zur Authentifikation zur Verfügung zu stellen. Diese Pflicht dient allerdings ausschließlich dem Schutz des Kunden und nicht dem Schutz Dritter. Die Voraussetzungen der Drittschadensliquidation liegen ebenfalls nicht vor. Zwar besteht grundsätzlich für den Kunden gegen die B ein vertraglicher Schadensersatzanspruch, einen Schaden hat der Kunde aber nicht erlitten. Demgegenüber liegt bei der Bank ein Schaden vor, aber kein Anspruch gegen die B. Dieses Auseinanderfallen von Schaden und Anspruch ist entgegen den Voraussetzungen für die Drittschadensliquidation nicht zufällig. Hierfür wäre es erforderlich, dass dieses Auseinanderfallen lediglich einen Reflex aus einer gesetzlichen Regelung darstellt. Hier ist es aber gerade Sinn und Zweck des § 675u BGB, dass das Haftungsrisiko bei B liegt. Aufgrund des Umstandes, dass die hier vorliegende Situation der Absicht des Gesetzgebers gemäß §§ 675u, v, w BGB entspricht, ist eine Korrektur über die Drittschadensliquidation rechtlich nicht geboten. Selbst für den Fall, dass ein Anspruch dem Grunde nach bestehen würde, ergäben sich Einschränkungen aufgrund des Grundsatzes des Handelns auf eigene Gefahr als schuldhafte Selbstgefährdung im Sinne des § 254 BGB. Das Kreditinstitut erzeugt aufgrund der Möglichkeit, Überweisungen online zu tätigen, ein erhebliches Risiko. Bedient sie sich dabei zudem unentgeltlich der fremden Dienstleistung des Telekommunikationsunternehmens, wäre es unbillig, dass dieses die wirtschaftlichen Risiken trägt, welche der Sphäre des Kreditinstituts zuzurechnen sind. Dies ergibt sich ebenfalls bereits aus den Wertungen der §§ 675u, v, w BGB. Jura Intensiv © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 04/2021 Referendarteil: Zivilrecht 189 Problem: Reichweite des Arrestatoriums bei Forderungspfändungen Einordnung: ZPO II BGH, Beschluss vom 16.12.2020 XII ZB 9/20 EINLEITUNG Gläubiger, die sich einem insolventen Schuldner gegenüberstehen sehen, können Glück im Unglück haben, wenn dem Schuldner wiederum Forderungen gegen andere Gläubiger (Drittschuldner) zustehen. In diesem Fall besteht das Bedürfnis, dass der Gläubiger sich den Zugriff auf diese Forderungen des Schuldners zeitnah sichert. Dies ist im Wege eines einstweiligen Rechtschutzverfahrens gemäß §§ 916 ff. BGB möglich. Welche Hürden sich hier ergeben können, verdeutlicht die folgende Entscheidung, welche als gerichtlicher Beschluss nach einer sofortigen Beschwerde dargestellt wird. GRÜNDE I. Der Gläubiger (G) erwirkte gegen die damals mit einer Niederlassung in (…) ansässige Schuldnerin (S) beim Landgericht (…) unter dem 13.06.2017 einen Arrestbefehl in Höhe von 23.884,80 €, in dem es heißt, dass sämtliche, möglichen weiteren Ansprüche“ gepfändet werden. Zugleich wurden auf Antrag des G angebliche Forderungen der S gegen 11 Drittschuldner gepfändet. Der Pfändungsbeschluss enthält kein Verbot gegenüber den Drittschuldnern, an die S zu zahlen. Auch das Gebot an die S, von einer Einziehung der Forderungen abzusehen, fehlt. Der Pfändungsbeschluss wurde an 10 Drittschuldner am (…) zugestellt. Dem folgend erwirkte der G beim Landgericht (…) ein Urteil in der Hauptsache über den arretierten Betrag. Das Urteil ist rechtskräftig. Über das Vermögen der S wurde folgend vom Fürstlichen Landgericht in Vaduz, Fürstentum Liechtenstein, das Konkursverfahren unter dem Az.: (…) eröffnet und die Prozessbevollmächtigten der S als Masseverwalter eingesetzt. Jura Intensiv Mit am (…) beim Amtsgericht (…) eingegangenem Antrag vom (…) hat G den Erlass eines Überweisungsbeschlusses hinsichtlich 10 im Pfändungsbeschluss aufgeführter Drittschuldner begehrt. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom (…) den Antrag des G zurückgewiesen und dies damit begründet, dass das Verfahren zwar nicht nach § 240 ZPO unterbrochen sei, es aber an einer wirksam gepfändeten Forderung fehle, da der Arrestbefehl kein Arrestatorium beinhalte. Gegen den Beschluss hat G mit Schriftsatz vom (…), eingegangen beim Vollstreckungsgericht am selben Tag, sofortige Beschwerde eingelegt. G ist der Rechtsansicht, dass das Festhalten am Arrestatorium eine unzulässige Förmelei darstelle. LEITSATZ 1. Der Ausspruch des Arrestatoriums, das an den Drittschuldner gerichtete Verbot, an den Schuldner zu zahlen, ist für die Wirksamkeit der Forderungspfändung konstitutiv und führt beim Fehlen zur Unwirksamkeit der Forderungspfändung. 2. Gemäß § 857 I ZPO gelten für die Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte die §§ 828 ff. ZPO und somit auch § 829 I 1 ZPO entsprechend. Von dem Ausnahmefall des § 857 II ZPO abgesehen, bedarf es daher grundsätzlich eines Arrestatoriums. Dies gilt hier insbesondere für die Pfändung in eine Grundschuld und in Geschäftsanteile einer GmbH. In Entscheidungen, die als Urteil ergehen, wird stets zwischen „Tatbestand“ und „Entscheidungsgründe“ getrennt. Ergeht die Entscheidung als Beschluss, wird zwischen Gründe zu I. und zu II. unterschieden. Prozessgeschichte wird im Indikativ Perfekt dargestellt. Lassen Sie sich nicht dadurch verunsichern, dass hier keine Anträge gestellt werden. Ursache hierfür ist § 569 II ZPO. Ausreichend für eine Beschwerde ist, dass die angegriffene Entscheidung erkennbar ist. Ein konkreter Antrag der Parteien ist nicht erforderlich, Thomas/Putzo/ Reichold, ZPO, § 569 Rn 10. Anders in der Berufungsschrift gemäß §§ 519 IV, 253 II Nr. 2 ZPO © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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