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RA Digital - 04/2021

Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

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204 Öffentliches Recht RA 04/2021 örtlichen Bezug). Der Beschluss des Stadtrats vom 13. Dezember 2017 beruht nicht auf solchen einrichtungsbezogenen Erwägungen, sondern auf einer (negativen) inhaltlichen Bewertung der BDS-Kampagne. Die politische Stoßrichtung dieser Kampagne, die den israelischen Staat zumindest in seiner derzeitigen Gestalt in Frage stellt, bildet erklärtermaßen den alleinigen Grund, weshalb dazu in den Einrichtungen der Beklagten keine Veranstaltungen stattfinden sollen.“ bb) Rechtfertigung des Eingriffs Der Eingriff in die Meinungsfreiheit könnte gerechtfertigt sein. Art. 5 II GG: Allgemeine Gesetze Definition „allgemeine Gesetze“ Rechtfertigung bereits deshalb (-), weil es an gesetzlicher Grundlage fehlt Gemeint ist, dass die allgemeine Satzungsermächtigung nicht der Wesentlichkeitstheorie genügt (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.10.2013, 8 CN 1.12, Rn 28). Zudem kein Schutz eines höherrangigen Rechtsguts Eine wichtige Passage des Urteils: Meinungsäußerungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen, können nicht pauschal der Grund dafür sein, den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen zu untersagen (a.A. OVG Lüneburg, Beschluss vom 27.3.2019, 10 ME 48/19, juris Rn 4). „Die Meinungsfreiheit findet nach Art. 5 Abs. 2 GG ihre Grenze in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Als allgemeine Gesetze im Sinne dieses Schrankenvorbehalts können nur Vorschriften gelten, die kein Sonderrecht gegen eine bestimmte Meinung schaffen und sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, sondern dem Schutz eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dienen. An der Allgemeinheit eines Gesetzes fehlt es, wenn eine inhaltsbezogene Meinungsbeschränkung sich von vornherein nur gegen bestimmte Überzeugungen, Haltungen oder Ideologien richtet. […] Ein Indiz für Sonderrecht ist es, wenn sich eine Norm als Antwort auf einen konkreten Konflikt des aktuellen öffentlichen Meinungskampfes versteht oder anknüpfend an inhaltliche Positionen einzelner vorfindlicher Gruppierungen so formuliert ist, dass sie im Wesentlichen nur gegenüber diesen zur Anwendung kommen kann. […] Hiervon ausgehend fehlt es an einer Rechtfertigung für den Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit der Einrichtungsbenutzer. Der widmungsbeschränkende Stadtratsbeschluss vom 13. Dezember 2017 stellt schon deshalb kein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG dar, weil er keine Rechtsnormqualität besitzt. Selbst wenn die Beklagte eine entsprechende Satzung erlassen hätte, würde sich im Ergebnis nichts ändern, da die in Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 GO enthaltene allgemeine Ermächtigung, die Benutzung öffentlicher Einrichtungen zu regeln, dem für spezielle Grundrechtseingriffe geltenden Rechtssatzvorbehalt nicht genügt. Jura Intensiv Darüber hinaus lässt sich auch nicht feststellen, dass der generelle Ausschluss von Veranstaltungen zur BDS-Kampagne dem Schutz eines unabhängig von bestimmten Meinungsinhalten zu schützenden Rechtsguts dienen würde. Dass die Durchführung von Diskussions- oder Vortragsveranstaltungen zu diesem Thema regelmäßig mit der Gefahr einer Begehung strafbarer Handlungen verbunden wäre […] ist nicht erkennbar […]. Zwar verstoßen auf antisemitischen Vorstellungen beruhende politische Konzepte wegen ihrer zweifelsfrei bestehenden Unvereinbarkeit mit der Menschenwürde […] gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und sind daher verfassungswidrig. Diese Feststellung, die im Zusammenhang mit Partei- oder Vereinsverboten relevant sein kann, reicht aber für sich genommen nicht aus, um entsprechende Meinungsäußerungen auch im Rahmen politischer Informations- oder Diskussionsveranstaltungen behördlicherseits von vornherein zu untersagen oder darauf einen Nutzungsausschluss zu stützen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 04/2021 Öffentliches Recht 205 Äußerungen Privater genießen grundrechtlichen Schutz nach Art. 5 Abs. 1 GG unabhängig von der inhaltlichen Bewertung ihrer Richtigkeit oder Gefährlichkeit. Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen; es erzwingt diese Werteloyalität aber nicht. Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst demzufolge auch extremistische, rassistische oder antisemitische Äußerungen. […] Der Vorbehalt der allgemeinen Gesetze nach Art. 5 Abs. 2 GG ermächtigt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erst dann zu Eingriffen, wenn die betreffenden Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn sie den öffentlichen Frieden als Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung gefährden und so den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren. Von einer solchen sich abzeichnenden konkreten Rechtsgutgefährdung, die eine staatliche Schutzpflicht auslösen würde, kann aber im Zusammenhang mit der BDS-Kampagne nach den gegenwärtig erkennbaren Umständen nicht gesprochen werden. Es bestehen insbesondere keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die im Bundesgebiet entfalteten Aktivitäten der auf den Staat Israel zielenden Boykottbewegung auch eine die Friedlichkeitsgrenze überschreitende gezielte Stimmungsmache gegen die jüdische Bevölkerung in Deutschland oder gar ein Aufstacheln zum Hass gegen diese Personengruppe umfassen könnte. Erst wenn mit der gezielten Verbreitung antisemitischer Stereotype derartige Ausgrenzungs- und Stigmatisierungseffekte provoziert würden, läge darin - unabhängig von einem möglichen Strafrechtsverstoß - eine hinreichend konkrete Gefährdung des Schutzguts der öffentlichen Ordnung […], die den Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit rechtfertigen könnte. Da diese Gefahrenschwelle mit den Boykottaufrufen der Befürworter der BDS- Kampagne derzeit ersichtlich nicht erreicht wird, kann der Zugang zu kommunalen Einrichtungen nicht allein mit dem Hinweis auf eine (nach Einschätzung des Einrichtungsträgers bestehende) antisemitische Grundtendenz der geplanten Veranstaltungen verweigert werden. […]“ Jura Intensiv Begründung: Art. 5 I 1 1. Fall GG schützt auch verfassungsfeindliche und sogar antisemitische Äußerungen Eingriff erst möglich bei Aggression oder Rechtsbruch BVerfG, BVerfGE 124, 300, 330 (- Wunsiedel -) Hier: Aggression oder Rechtsbruch (-) Demnach verstößt die mit dem Stadtratsbeschluss angestrebte Widmungsbeschränkung gegen Art. 5 I 1 1. Fall GG. b) Gleichheitssatz, Art. 3 I GG Darüber hinaus könnte die Änderung des Widmungszwecks auch gegen Art. 3 I GG verstoßen. „Beschränkungen des Widmungszwecks einer öffentlichen Einrichtung müssen auf sachlich begründeten Erwägungen beruhen und dürfen nicht ausschließlich einrichtungsfremde Ziele verfolgen. Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet es den Gemeinden, die Regelungen über den Zugang zu ihren Einrichtungen als Druckmittel zur Durchsetzung beliebiger Anforderungen zu benutzen. Unzulässig sind daher auch solche Widmungsbestimmungen, mit denen eine Kommune bestimmte nicht verbotene Äußerungen in ihren Räumlichkeiten untersagt oder Verstoß gegen Art. 3 I GG (+), weil Ungleichbehandlung an nicht verbotene Äußerungen anknüpft © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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