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RA Digital - 04/2021

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208 Referendarteil:

208 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 04/2021 Abfertigung in den anliegenden Industrieunternehmen warteten, u.a. in dem der Antragstellerin. Die Polizei habe die Maßnahme ebenfalls für nicht nötig gehalten, weil es zwischen 2016 und 2019 lediglich zwei Unfälle mit Fahrradbeteiligung gegeben habe, die nichts mit dem regulären Verkehr zu tun gehabt hätten. Die Antragstellerin hält sich für antragsbefugt. Sie sei als Anliegerin von der Anlegung des Radfahrstreifens unmittelbar betroffen. Der nach § 50 BImSchG einzuhaltende Sicherheitsabstand um ihren Störfallbetrieb sei nicht eingehalten. Außerdem handele es sich bei dem eingerichteten Radfahrstreifen um eine Teileinziehung der Straße nach § 7 StrWG NRW, was ihr ein subjektiv-öffentliches Recht verleihe. […] Anträge: Indikativ Präsens Soweit der Antrag nicht grob fehlerhaft ist, kann das Gericht ihn unter Verwendung des Einschubs „sinngemäß“ korrigieren. Einer Auslegung am Anfang der Entscheidungsgründe bzw. Gründe zu II. bedarf es dann nicht. Ergebnissatz voranstellen (Urteilsstil!) Zulässigkeit (-) Verkehrsregelung als sofort vollziehbarer Dauer-VA in Form der Allgemeinverfügung; maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist hierbei grds. der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (BVerwG, NVwZ 1994, 784, näher Kümper JuS 2017, 731; BVerwG, NJW 1978, 656). Antragsbefugnis Möglichkeitstheorie VG Berlin, DAR 2020, 651; Sauthoff, Öffentliche Straßen, Rn 1166a II. Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, 1. die aufschiebende Wirkung der am 22.12.2020 eingelegten Anfechtungsklage gegen die Allgemeinverfügungen zur Einrichtung eines Radfahrstreifens in Form einer sog. „protected bike lane“ auf der Straße „Am U.“ in X. in ihrem Abschnitt zwischen dem L.-weg und der C.-Straße, insb. die hierzu aufgebrachten Markierungen mit dem Zeichen Nr. 295 StVO (durchgezogene Begrenzungslinie) und Sinnbilder „Radverkehr“ (§ 39 Abs. 7 StVO), anzuordnen, 2. soweit die „protected bike lane“ durch Anbringung der Verkehrszeichen oder in anderer Weise bereits vollzogen wurde, die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen, dies insbesondere durch die Entfernung der hierzu aufgebrachten Markierungen mit dem Zeichen Nr. 295 StVO (durchgezogene Begrenzungslinie) und Sinnbilder „Radverkehr“ (§ 39 Abs. 7 StVO), hilfsweise durch Unwirksammachung dieser Verkehrszeichen durch Auskreuzen mit gelben Markierungen oder sonstige geeignete Maßnahmen. Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen. Sie hält den Antrag für zulässig, aber unbegründet. [...]“ „Der Antrag hat keinen Erfolg. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist unzulässig. Jura Intensiv Bei der angegriffenen Verkehrsregelung, die zumindest soweit bekanntgegeben und damit rechtlich existent geworden ist, wie sie bereits durch Straßenmarkierungen umgesetzt ist (vgl. § 45 Abs. 4 StVO), handelt es sich um einen entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO sofort vollziehbaren Dauerverwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung nach § 35 Satz 2 VwVfG NRW. Es ist daher auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen. Die Antragstellerin ist nicht antragsbefugt. Nach dem im Eilrechtsschutzverfahren entsprechend anzuwendenden § 42 Abs. 2, 1. Var. VwGO muss auf der Grundlage des Antragsvorbringens eine Verletzung eigener Rechte möglich erscheinen. Diese Möglichkeit ist dann auszuschließen, wenn offensichtlich und nach keiner Betrachtungsweise subjektive Rechte des Antragstellers verletzt sein können. Der Radfahrstreifen unterscheidet sich vom Radweg (Zeichen 237) dadurch, dass er von der Fahrbahn nicht baulich, sondern durch Zeichen 295 abgetrennt ist. Rechtsgrundlage eines Radfahrstreifens ist § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 04/2021 Referendarteil: Öffentliches Recht 209 Zeichen 295 dient nach der Erläuterung Nr. 1 Satz 1 unter anderem dazu - wie hier -, mehrere Fahrstreifen für den gleichgerichteten Verkehr voneinander abzutrennen. Die Antragstellerin beruft sich zu Recht nicht darauf, dass sie antragsbefugt sei, weil die Verkehrsregelung ihr ein bestimmtes Verhalten im Straßenverkehr vorschriebe oder verböte. Denn die auch im Hauptsacheverfahren angefochtene Verkehrsregelung richtet sich nicht an die Antragstellerin, die eine juristische Person (GmbH) ist. Juristische Personen scheiden per se als Verkehrsteilnehmer aus, weil sie keine natürliche Handlungsfähigkeit besitzen und als lediglich gedankliches Konstrukt nicht selbst am Straßenverkehr teilnehmen können. Allenfalls können natürlichen Personen in ihrem Interesse am Verkehr teilnehmen. Deren Verkehrsteilnahme wird der juristischen Person aber nicht zugerechnet. Die Antragstellerin kann ihr Begehren aber auch nicht auf eine öffentlich-rechtliche Norm stützen, die nach dem in ihr enthaltenen Entscheidungsprogramm auch sie als Dritte schützt. Es ist offensichtlich und eindeutig ausgeschlossen, dass die Einrichtung des Radfahrstreifens die Antragstellerin in ihren Rechten verletzen kann. Auf die Rechtsgrundlage des Radfahrstreifens, § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO, kann sich die Antragstellerin nicht stützen. Danach können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO ist grundsätzlich allein auf den Schutz der Allgemeinheit und nicht auf die Wahrung der Interessen einzelner ausgerichtet. Der Einzelne besitzt nur einen Anspruch auf Schutz seiner Individualinteressen, wenn grundrechtsgefährdende oder billigerweise nicht mehr zuzumutende Verkehrseinwirkungen zu befürchten sind, soweit die Interessen in § 45 StVO ihren Niederschlag gefunden haben. Die Antragstellerin trägt nichts dafür vor, dass sie in Interessen verletzt sein könnte, die einfachrechtlich - etwa in der StVO - geschützt sind (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO „Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen“, § 12 Abs. 3 Nr. 3 StVO „vor Grundstücksein- und -ausfahrten“). Nur wenn die Verletzung solcher Normen gerügt ist, wächst § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO individualschützende Bedeutung zu und kann zur Begründung der Klage- oder Antragsbefugnis herangezogen werden. Jura Intensiv Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass straßenverkehrsrechtliche Regelungen auch juristische Personen in ihrer von Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Berufsfreiheit beeinträchtigen können. Die Berufsfreiheit schützt aber nicht die Erwartung, dass ein bloßer Lagevorteil fortbesteht. Eine Beeinträchtigung von Art. 12 Abs. 1 GG mag im Ausnahmefall möglich sein, wenn die juristische Person ihr Gewerbe - etwa als Spediteurin - auf der Straße ausübt und die Verkehrsregelung ihre Straßenbenutzung unmittelbar einschränkt. Diese (Ausnahme-)Voraussetzungen erfüllt die Antragstellerin aber nicht. Die bisher für sie günstige Verkehrsregelung auf der vor ihrem Werksgelände verlaufenden Straße ist ein bloßer (tatsächlicher und verkehrlicher) Lagevorteil, der rechtlich nicht geschützt ist. Die Antragstellerin übt ihren Beruf auch nicht auf der Straße aus. Sie ist als stahlverarbeitendes Unternehmen tätig. Ihre Berufstätigkeit besteht nicht im Wesentlichen aus dem Transportvorgang. [...] Eine juristische Person kann aus einem Verkehrsgebot oder -verbot keine Antragsbefugnis ableiten, da sie selbst kein Verkehrsteilnehmer sein kann. Vgl. VGH München, Beschluss vom 19.2.2020, 11 ZB 19.1068, juris; VG Düsseldorf, NZV 2017, 591 Schutznormtheorie § 45 I 1 StVO ist nur in Ausnahmefällen auch auf den Schutz von Individualinteressen gerichtet. Keine Antragsbefugnis aus Art. 12 I GG BVerwG, Urteil vom 3.11.2020, 9 A 13.19, juris Rn 11; VGH München, DAR 2007, 223; Steiner, DAR 1994, 341, 346 © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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