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RA Digital - 04/2021

Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

172 Zivilrecht

172 Zivilrecht RA 04/2021 Allgemeine Voraussetzungen einer Analogiebildung Auch die Kenntnis, dass die im Verbraucherkreditgesetz der Neunziger Jahre entsprechende Regelung auch Kilometerleasingverträge erfasste, wird von Ihnen nicht erwartet. Erwartet werden kann von Ihnen aber, dass Sie erkennen, dass eine enumerative Aufzählung für eine abschließende Regelung und gegen eine Analogie spricht. Zum Erfordernis der übereinstimmenden Wertungsgrundlagen und gesetzgeberischen Interessenbewertungen: BGH, Urteile vom 14.12.2017, IX ZR 118/17 und vom 28.11.2019, IX ZR 239/18 3. Widerrufsrecht analog § 506 II 1 BGB i.V.m. §§ 491, 495 BGB Fraglich ist, ob ein Widerrufsrecht analog § 506 II 1 BGB i.V.m. §§ 491, 495 BGB besteht. Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke sowie eine vergleichbare Interessenlage voraus. a) Planwidrige Regelungslücke Fraglich ist schon das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. [43] Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass eine planwidrige Regelungslücke nicht festzustellen ist. Anders als die Revision - der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (...) und Stimmen in der Literatur (...) folgend - meint, lässt sich weder der Gesetzeshistorie noch der in den Gesetzesmaterialien niedergelegten Regelungsabsicht des Gesetzgebers entnehmen, dass er bestrebt war, das bisher von der höchstrichterlichen Rechtsprechung für Kilometerleasingverträge geschaffene Verbraucherschutzniveau auch künftig zu erhalten, und die Umsetzung einer solchen Absicht lediglich aus Versehen unterblieben ist. [44] Die Vorschrift des § 506 Abs. 2 Satz 1 BGB [aF] enthält - wie bereits oben (...) ausgeführt - eine enumerative Aufzählung der Tatbestände, in denen entgeltliche Nutzungsverträge als sonstige Finanzierungshilfe im Sinne des § 506 Abs. 1 BGB aF gelten und daher vom Verbraucher widerrufen werden können. Bereits dies spricht eher gegen die Annahme einer ungewollten Regelungslücke (...). Dass die unterbliebene Aufnahme des Kilometerleasingvertrags in die in § 506 Abs. 2 Satz 1 BGB [aF] enthaltene Aufzählung auf einer versehentlichen Nichteinbeziehung dieses Vertragstyps beruht, ist nicht festzustellen. Vielmehr ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien gerade im Gegenteil, dass der Gesetzgeber die Fälle der zum Widerruf des Verbrauchers berechtigenden „sonstigen entgeltlichen Finanzierungshilfen“ bei Miet- und Leasingverträgen bewusst auf die in § 506 Abs. 2 Satz 1 BGB [aF] aufgeführten Tatbestände beschränken wollte. Jura Intensiv Folglich fehlt es bereits an der planwidrigen Regelungslücke. b) Vergleichbarkeit der Interessenlagen Fraglich ist ferner die Vergleichbarkeit der Interessenlagen zwischen dem in § 506 II 1 Nr. 3 BGB aufgeführten Fall und dem Kilometerleasingvertrag. Hierfür ist nicht nur erforderlich, dass die Interessenlage des gesetzlich geregelten Falls mit der des zu unterscheidenden Falls übereinstimmt. Vielmehr müssen zusätzlich auch die Wertungsgrundlage und die gesetzgeberische Interessenbewertung der Gesetzesnorm auf den zu entscheidenden Fall zutreffen. [65] Soweit die eine Analogie zu § 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB [aF] befürwortenden Stimmen eine mit einer Restwertgarantie vergleichbare Interessenlage beim Kilometerleasing annehmen, wird dies mit der auch hier vom Leasinggeber bei planmäßigem Verlauf erreichten Vollamortisation von eingesetztem Kapital und kalkuliertem Gewinn begründet (...). Es wird dabei aber nicht hinreichend in den Blick genommen, dass der Gesetzgeber (...) nicht diesem Umstand maßgebende Bedeutung für die Einführung der Regelung in § 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB [aF] beigemessen hat. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 04/2021 Zivilrecht 173 Vielmehr hat er (...) die von der Richtlinie vorgegebene Interessenbewertung auch dem nationalen Recht zugrunde legen wollen und deswegen darauf abgestellt, ob eine Restwertgarantie im Interesse des Verbraucherschutzes einer Erwerbspflicht gleichzustellen ist (BT-Drucks. aaO, S. 92). Dies hat er im Hinblick darauf bejaht, dass auch in einem solchen Falle der Verbraucher dem Leasinggeber auf Vollamortisation haftet. [66] Die vom Gesetzgeber übernommene Wertungsgrundlage des Art. 2 Abs. 2 Buchst. d der Verbraucherkreditrichtlinie, Miet- und Leasingverträge nur bei Erwerbspflicht des Mieters/Leasingnehmers dem Verbraucherschutz zu unterstellen, an der sich auch seine Interessenbewertung bezüglich der Leasingverträge mit Restwertgarantie orientiert, findet bei Kilometerleasingverträgen keine Entsprechung. Denn der Verbraucher hat dort gerade nicht - wie bei einer Restwertgarantie in der Gesetzesbegründung ausdrücklich hervorgehoben - in jeder Hinsicht für die Vollamortisation einzustehen, da er nicht das Risiko trägt, dass sich der vom Leasinggeber bei vertragsgemäßem Zustand der zurückgegebenen Leasingsache kalkulierte Wert auch verwirklichen lässt (...). 4. Widerrufsrecht gem. § 312g I BGB Mangels Fernabsatzgeschäft im Sinne des § 312c I BGB, mangels eines außerhalb des Geschäftsraums des Unternehmers geschlossenen Vertrages i.S.d. § 312b BGB scheidet das Widerrufsrecht des § 312g BGB von vornherein aus. 5. Vertraglich vereinbartes Widerrufsrecht Fraglich ist, ob durch die Aushändigung der Widerrufsinformation ein Widerrufsrecht vertraglich vereinbart wurde. [68] Anders als die Revision meint, kann sich der Kläger auch nicht auf ein vertraglich eingeräumtes Widerrufsrecht berufen. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei das Bestehen eines solchen (voraussetzungslosen) Widerrufsrechts verneint. Die Erteilung der mit „Widerrufsinformation“ überschriebenen vorformulierten Widerrufsbelehrung stellt kein Angebot der Beklagten auf Gewährung eines (vorbehaltlosen) vertraglichen Widerrufsrechts dar, das der Kläger mit Vertragsabschluss hätte annehmen können. [69] Hiergegen spricht bereits indiziell die Bezeichnung „Widerrufsinformation“, die zum Ausdruck bringt, dass die nachfolgenden Ausführungen lediglich Informationen zum Widerrufsrecht und dessen Rechtsfolgen, nicht dagegen eine rechtsgeschäftliche Erklärung im Sinne der §§ 305 ff. BGB enthalten (...). Da die Beklagte im Streitfall eine vorformulierte Widerrufsbelehrung verwendet hat, sind somit die bei der Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen geltenden Grundsätze heranzuziehen. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragsparteien unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind (...). [70] (...) Zwar hat der XI. Zivilsenat für den Fall anders gestalteter Widerrufsbelehrungen angenommen, dass diese Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 BGB darstellen (...). Anders als die Jura Intensiv Entscheidend: Verbraucher, die eine Restwertgarantie abgeben, sind wegen der Unkalkulierbarkeit der damit verbundenen Risiken besonders schutzwürdig. Diese Wertung steckt hinter den in § 506 II 1 BGB aufgeführten Fällen, insbesondere hinter Nr. 3. Genau dieses Risiko geht der Verbraucher nicht ein, wenn er einen Kilometerleasingvertrag abschließt. Dort kann er die Höhe der Zahlung durch sein Fahrverhalten steuern. Beachte § 312g III BGB Auf diese Idee muss man erstmal kommen! Die Revision führte hierzu aber aus, weshalb der BGH eine Abgrenzung zur Entscheidung eines anderen Senates vornehmen muss. Die Erteilung der Widerrufsinformation ist kein Angebot auf Gewährung eines Widerrufsrechts. Wörtliche Auslegung © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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