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RA Digital - 04/2022

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182 Zivilrecht

182 Zivilrecht RA 04/2022 ZIVILRECHT Problem: Haftung eines Tennisspielers bei Beschädigung des Tennisplatzes Einordnung: Deliktsrechts BGH, Urteil vom 02.02.2022 XII ZR 46/21 LEITSATZ Ein Tennisspieler kann eine vom vertragsgemäßen Gebrauch nicht gedeckte Beschädigung der Tennishalle, in der er einen Tennisplatz gemietet hat, auch dann zu vertreten haben, wenn ihm kein Verstoß gegen die Tennisregeln der International Tennis Federation (ITF) angelastet werden kann (im Anschluss an Senatsurteil vom 27. Juni 2018, XII ZR 79/17). EINLEITUNG Im vorliegenden Urteil musste der BGH in der Revisionsinstanz über das Urteil des OLG Celle vom 27.05.2021, 5 U 123/20 = RA 08/2021, 397 ff. entscheiden. Das OLG bestätigte in der Berufungsinstanz eine Entscheidung des LG Stade, welches die bei Wettkampfspielen aus Treu und Glauben gem. § 242 BGB abzuleitenden Grundsätze des Handelns auf eigene Gefahr auf einen Fall ausgeweitet hatte, in dem ein Spieler keinen anderen Spieler, sondern das Eigentum an der Sportstätte verletzt hatte. Das OLG stützte seine Sichtweise darauf, dass dem Spieler, der bei einem Return eine Glasscheibe in der Seitenbande beschädigt hatte, kein Verstoß gegen die Tennisregeln der Internationalen Tennis Federation angelastet werden konnte. Weil der BGH diese Sichtweise ablehnt, lohnt es sich, den Fall erneut in die RA aufzunehmen. SACHVERHALT K ist Betreiberin einer Tennishalle. B mietete in dieser Halle im Oktober 2018 einen Tennisplatz. Bei dem Versuch, einen von seinem Gegner gespielten Ball zu retournieren, prallte er, außerhalb der Außenlinie stehend, mit dem Ellenbogen gegen eine sich seitlich zum Tennisplatz befindliche Fensterscheibe, die daraufhin scharfkantig zerbrach. Die seitliche Außenlinie verläuft im Abstand von 2,50 m zur Außenwand der Halle, die gänzlich mit großformatigen Fenstern verglast ist. In „Anhang IX der Regeln der International Tennis Federation für Freizeit- und Vereinsplätze“ beträgt die empfohlene Mindestentfernung 3,05 m zwischen den Seitenlinien und den seitlichen Einzäunungen. Die Reparaturkosten beliefen sich auf 2.299,79 €, von denen die Haftpflichtversicherung des B nur 776,22 € regulierte. In der Zwischenzeit war der betroffene Platz nicht vermietbar, wodurch K ein Gewinn in Höhe von 6.311,00 € entgangen ist. K verlangt von B Erstattung der restlichen Reparaturkosten in Höhe von 1.523,57 € sowie den entgangenen Gewinn, dessen Höhe hier als richtig zu unterstellen ist. K ist der Meinung, B habe sich einerseits zu übereifrig und andererseits tennisuntypisch bewegt und dadurch die Scheibe zerstört. B ist der Meinung, sich innerhalb der Tennisregeln bewegt zu haben, weshalb K den Schaden hinzunehmen habe, denn wer anderen eine Sportstätte für ein Wettkampfspiel zur Verfügung stelle, nehme das mit der Ausübung des Sports immanente Schädigungspotenzial in Kauf. Solche potentiellen Schäden seien in der Miete einkalkuliert. Mindestens sei ein Mitverschulden der K anzurechnen, weil die Mindestentfernung zwischen Seitenlinie und Bande zu kurz sei. Zu Recht, wenn Fensterglas als Begrenzung eines Tennisplatzes nach den Regeln der ITF nicht zugelassen ist? Jura Intensiv LÖSUNG Als Anspruchsgrundlagen kommen sowohl §§ 280 I, 241 II BGB als auch § 823 I BGB in Betracht. A. Anspruch der K gegen B auf Zahlung von Schadensersatz aus §§ 280 I, 241 II BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 7.834,57 € aus §§ 280 I, 241 II BGB haben. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 04/2022 Zivilrecht 183 I. Schuldverhältnis Das hierfür erforderliche Schuldverhältnis ist im Mietvertrag über den Tennisplatz zu sehen, den B mit K geschlossen hatte. II. Pflichtverletzung B müsste eine Pflicht aus dem Mietvertrag verletzt haben. Gem. § 241 II BGB sind die Vertragsparteien zur gegenseitigen Rücksichtnahme auf Recht, Rechtsgüter und Interessen der jeweils anderen Partei verpflichtet. Aus diesem Gebot der Rücksichtnahme erwächst die Schutzpflicht des Mieters, das Eigentumsrecht des Vermieters nicht zu verletzen, indem Inventar beschädigt wird. Dies ist durch den Körpereinsatz des B geschehen, als die Glasscheibe der K zu Bruch ging. III. Vertretenmüssen des B Fraglich ist, ob B diese Pflichtverletzung zu vertreten hat. Schuldhaftes Handeln erfordert zumindest Fahrlässigkeit. Fahrlässig handelt gem. § 276 BGB, wer die im Verkehr objektiv gebotene Sorgfalt außer Acht lässt. Bei Wettkampfspielen ist bei Verletzung des Gegners gem. § 242 BGB das Verbot des venire contra factum proprium zu beachten. Im Falle einer Körperverletzung liegt ein Verstoß gegen das Gebot des Selbstwiderspruchs vor, wenn sich der verletzte Anspruchsteller in Widerspruch zu einem von ihm selbst geschaffenen Vertrauenstatbestand setzt, auf den der Anspruchsgegner vertrauen durfte. Bei Körperverletzungen gilt, dass eine Haftung mangels Verschulden ausscheidet, wenn es sich um eine Verletzung handelt, die ein Wettkampfspieler beim Austragen eines Wettkampfes durch einen anderen Spieler erleidet, sofern dessen Spielweise im Rahmen der Regeln lag, nach denen die Wettkämpfer das Spiel angetreten haben. Im vorliegenden Fall ist zu klären, ob diese für die Verletzung eines Gegners oder Mitspielers geltenden Regeln auf die Beschädigung des Inventars der Wettkampfstätte übertragbar sind. [21] Anders als das Berufungsgericht meint, können diese Erwägungen auf den vorliegenden Fall auch im Ergebnis nicht übertragen werden, weil die Interessenlage zwischen Vermieter und Mieter nicht derjenigen zwischen zwei an einem Wettkampf teilnehmenden Sportlern vergleichbar ist. Denn Vermieter und Mieter stehen sich nicht wie Teilnehmer eines sportlichen Wettkampfs wechselseitig gegenüber. Durch eine Beschädigung der Mietsache verwirklicht sich keine Gefahr, die Vermieter und Mieter unter gleichen Bedingungen und gemeinsam in Kauf genommen haben. Vielmehr werden im Rahmen eines gewerblichen Mietverhältnisses die Verantwortungsbereiche von Vermieter und Mieter hinsichtlich einer Veränderung oder Verschlechterung der Mietsache durch § 538 BGB abgegrenzt. Der Vermieter, der Schadensersatz für eine von § 538 BGB nicht gedeckte Beschädigung der Mietsache geltend macht, verhält sich nicht widersprüchlich. [22] Die Obhutspflichten des Mieters eines Tennisplatzes werden daher nicht allein durch die Tennisregeln der International Tennis Federation (ITF) konkretisiert, die sich zudem - naturgemäß - nur mit den Spielregeln des Tennissports befassen und den berechtigten Erwartungen des Vermieters keine Rechnung tragen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann mithin ein Tennisspieler, der in einer Halle auf einem gemieteten Tennisplatz spielt, eine vom vertragsgemäßen Gebrauch des Tennisplatzes nicht gedeckte Beschädigung der Tennishalle auch dann zu vertreten haben, wenn ihm kein Verstoß gegen die Tennisregeln der International Tennis Federation (ITF) anzulasten ist. Jura Intensiv Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme im Verkehr Schutzpflicht des Mieters Das venire contra factum proprium verbietet den Selbstwiderspruch. Wer durch sein Verhalten einen Vertrauenstatbestand gesetzt hat, auf den der andere schutzwürdig vertrauen durfte, darf sich nicht in Widerspruch zum Vorverhalten setzen. Wer an einem Wettkampfspiel teilnimmt, setzt den Vertrauenstatbestand, den Mitspieler nicht auf Schadensersatz zu verklagen, wenn man von diesem innerhalb des Regelwerks unter Einhaltung der Fairness verletzt wird. Hier könnte ein Selbstwiderspruch der K darin zu sehen sein, dass sie Sportstätten für rasante Wettkampfspiele vermietet und die Spieler bei Beschädigung des Inventars verklagt, wenn diese sich innerhalb des Regelwerks bewegt haben. Es lohnt sich, die Ausführungen des OLG Celle in der RA 08/2021, 413 ff. hier erneut zu lesen. Der BGH lehnt die Sichtweise des LG Stade sowie des OLG Celle aber mit einer überzeugenden Begründung ab. Der XII. Zivilsenat des BGH knüpft nämlich an die Rechtsnorm an, welche die Gefahrtragung zwischen Mieter und Vermieter im Falle einer Beschädigung regelt, nämlich § 538 BGB. Entscheidender Satz: „Der Vermieter, der Schadensersatz für eine von § 538 BGB nicht gedeckte Beschädigung der Mietsache geltend macht, verhält sich nicht widersprüchlich.“ © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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