194 Nebengebiete RA 04/2022 BAG, Urteil v. 15.12.2005 – 6 AZR 197/05; dies ist ein überaus wichtiger Aspekt: Der Arbeitgeber hat nicht gekündigt, sondern es wurde ein Vertrag geschlossen. Und im Grundsatz gilt Vertragsfreiheit und „pacta sunt servanda“. Deshalb darf auf keinen Fall so „getan“ werden, als hätte der Arbeitgeber gekündigt und dann die „hypothetisch“ ausgesprochene Kündigung auf Wirksamkeit hin überprüft werden. BAG, Urteil v. 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06 BAG, Urteil v. 16.11.1979 – 2 AZR 1041/77 Die Darlegungslast ist insoweit abgestuft: Der anfechtende Arbeitnehmer trägt zwar die Darlegungsund Beweislast für sämtliche Voraussetzungen einer wirksamen Anfechtung. Er hat deshalb die Tatsachen vorzutragen und ggfs. zu beweisen, welche die angedrohte außerordentliche Kündigung als widerrechtlich erscheinen lassen. Da es sich im Hinblick auf das Nichtvorliegen von Kündigungsgründen jedoch um eine negative Tatsache handelt, genügt hierfür zunächst eine entsprechende pauschale Behauptung des Arbeitnehmers. Von dem Arbeitgeber als Anfechtungsgegner ist nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast das substantiierte Bestreiten der negativen Tatsache unter Darlegung der für das Positive sprechenden tatsächlichen Umstände zu verlangen. Der Arbeitgeber hat im Einzelnen darzulegen, dass er in vertretbarer Weise einen Kündigungsgrund annehmen durfte. Nur die vom Arbeitgeber in diesem Zusammenhang vorgetragenen Umstände muss der Arbeitnehmer dann widerlegen. 1. Die Drohung mit einer fristlosen Kündigung war nicht widerrechtlich. Dies ist nur der Fall, wenn eine Inadäquanz zwischen dem eingesetzten Mittel (der angedrohten Kündigung) und dem erstrebten Zweck (dem Abschluss des Aufhebungsvertrages) besteht, so dass ein verständiger Arbeitgeber den Ausspruch einer Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hätte. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich die angedrohte Kündigung in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiese. Vielmehr ist die Drohung nur dann rechtswidrig, wenn der Arbeitgeber davon ausgehen muss, dass die Kündigung mit hoher Wahrscheinlichkeit einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhält, wenn also der Drohende selbst nicht an seine Berechtigung glaubt oder sein Rechtsstandpunkt nicht mehr vertretbar ist. Ob ein verständiger Arbeitgeber die fristlose Kündigung ernsthaft erwogen hätte, richtet sich nicht nach dem tatsächlichen subjektiven Wissensstand, sondern nach dem objektiv möglichen hypothetische Wissensstand des einzelnen Arbeitgebers. Nach diesen Grundsätzen musste die Beklagte nicht davon ausgehen, dass eine fristlose Kündigung mit hoher Wahrscheinlichkeit der gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten wird; auch ein verständiger Arbeitgeber hätte den Ausspruch einer Kündigung in Betracht gezogen. Die eigenmächtige, ohne sachlichen Grund vorgenommene Veränderung/ Herabsetzung von Einkaufspreisen im Warenwirtschaftssystem der Beklagten stellt eine erhebliche Verletzung vertraglicher Nebenpflichten dar. Eine schwere Pflichtverletzung ist ebenfalls darin zu erblicken, dass Waren zu einem nicht abgestimmten niedrigen Preis veräußert werden (beides wird mit Beweiswürdigung ausgeführt). Die Beklagte hat mit der Annahme, das Fehlverhalten der Klägerin rechtfertige den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung, einen vertretbaren Rechtsstandpunkt eingenommen. Es handelt sich um eine schwere Nebenpflichtverletzung. (Wird ausgeführt.) Alter, Unterhaltspflichten und Betriebszugehörigkeit der Klägerin können das Gewicht dieser Pflichtverletzung nicht mindern. Die Klägerin kann nicht einwenden, ein verständiger Arbeitgeber hätte zunächst den Ausspruch einer Abmahnung in Betracht ziehen müssen. Einer Abmahnung bedarf es nicht, wenn es sich – wie vorliegend – um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist. Jura Intensiv Die Beklagte muss sich auch nicht vorhalten lassen, dass ein verständiger Arbeitgeber nicht eine fristlose, sondern nur eine ordentliche Kündigung in Betracht gezogen hätte. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist ist angesichts des schwerwiegenden Fehlverhaltens der Klägerin unzumutbar. Die Vertragspflichtverletzungen waren durch Heimlichkeiten der Klägerin geprägt. Die Beklagte musste mit ähnlichen Pflichtverletzungen auch während des Laufs der Kündigungsfrist rechnen. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 04/2022 Nebengebiete 195 2. Die Drohung mit einer Strafanzeige war nicht widerrechtlich. Ein verständiger Arbeitgeber durfte annehmen, dass die Klägerin Straftaten begangen hatte. Es bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin sich wegen Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) und wegen versuchten Betrugs strafbar gemacht hat (wird ausgeführt). Die Handlungen der Klägerin standen in einem unmittelbaren inneren Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis und rechtfertigten den Inhalt des angebotenen Aufhebungsvertrages. II. Kein Recht zum Widerruf Die Einwilligung zum Abschluss eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrages kann nicht gemäß § 355 BGB widerrufen werden (BAG, Urteil v. 07.02.2019 – 6 AZR 75/18). Im Streitfall ist der Anwendungsbereich des § 312b BGB nicht eröffnet. III. Keine AGB-Kontrolle Der Aufhebungsvertrag ist nicht gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB wegen unangemessener Benachteiligung der Klägerin unwirksam. Formularmäßige Abreden, die Art und Umfang der vertraglichen Hauptleistung und der hierfür zu zahlenden Vergütung unmittelbar bestimmen, sind aus Gründen der Vertragsfreiheit gemäß § 307 Abs. 3 S. 1 BGB regelmäßig von der gesetzlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB ausgenommen. Darum unterliegt in einem Aufhebungsvertrag die Beendigungsvereinbarung als solche ebenso wenig einer Angemessenheitskontrolle wie eine Abfindung, die als Gegenleistung für die Zustimmung des Arbeitnehmers zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses etwaig gezahlt wird (BAG, Urteil v. 07.02.2019 – 6 AZR 75/18 m.w.N.). IV. Gebot fairen Verhandelns Die Klägerin kann nicht geltend machen, der Aufhebungsvertrag sei unwirksam, weil er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen sei. Jura Intensiv 1. Keine Verletzung durch die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten zu dem Gespräch vom 22.11.2019. Der Arbeitnehmer kann sich die Personen, die den Arbeitgeber bei Vertragsgesprächen vertreten, nicht aussuchen. Einen Anspruch auf einen möglichst genehmen und sympathischen Vertragspartner kennt das deutsche Recht nicht. An der Hinzuziehung arbeitsrechtlichen Sachverstandes in Person eines Rechtsanwalts besteht ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers. Gerade dann, wenn man dem Arbeitgeber die Rechtspflicht auferlegt, fair zu verhandeln, muss er auch Experten einschalten dürfen, die Inhalt und Grenzen dieser Rechtspflicht kennen. Zudem kann sich Laufe der Verhandlungen die Notwendigkeit ergeben, Inhalte des Aufhebungsvertrages neu zu formulieren. Die Androhung einer Strafanzeige zum Zwecke der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses ist nur dann als widerrechtlich anzusehen, wenn dies das Ergebnis einer Gesamtwürdigung aller Umstände unter besonderer Berücksichtigung der Belange sowohl des Bedrohten als auch des Drohenden ist. Maßgeblich ist, ob ein verständiger Arbeitgeber eine Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen würde. Dabei kommt es einerseits auf das Gewicht des erhobenen Vorwurfs an. Andererseits muss das Begehren des Drohenden mit der anzuzeigenden Straftat in einem inneren Zusammenhang stehen. Die Drohung mit einer Strafanzeige zum Zwecke des Abschlusses eines Aufhebungsvertrages ist jedenfalls dann nicht widerrechtlich, wenn die zur Anzeige zu bringende Straftat zugleich eine Vertragspflichtverletzung von solchem Gewicht darstellt, dass ein verständiger Arbeitgeber eine den Regelungen des Aufhebungsvertrages in etwa entsprechende Kündigung ernsthaft in Betracht ziehen durfte. Der drohende Arbeitgeber muss das dem Arbeitnehmer angelastete Verhalten nicht bereits beweisen können. Es genügt, dass ein verständiger Arbeitgeber bei Ausspruch der Drohung von einem strafbaren Verhalten ausgehen durfte (so BAG, Urteil v. 22.07.2010 – 8 AZR 144/09). Hierbei handelt es sich nach der überaus fragwürdigen Rspr. des BAG um eine durch Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründete Nebenpflicht i.S.d. § 311 II Nr. 1 BGB i.V.m. § 241 II BGB. Liegt ein schuldhafter Verstoß gegen dieses Gebot vor, soll der Aufhebungsvertrag im Regelfall unwirksam sein. § 280 I BGB i.V.m. §§ 249 – 253 BGB hätten angeblich die Folge, dass der Geschädigte so zu stellen wäre, wie er ohne das Zustandekommen des Vertrages stünde, was dazu führe, dass der Vertrag gemäß § 249 I BGB rückgängig gemacht werde. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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