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RA Digital - 04/2022

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204 Öffentliches Recht RA 04/2022 2. Anforderungen an die Rechtsprechung Strafbarkeit muss durch Gesetzgeber bestimmt werden • Analogieverbot und Verbot strafrechtlichen Gewohnheitsrechts Konsequenzen: Verbot der Konturlosigkeit / Präzisierungsgebot Keine generelle Pflicht zu restriktiver Auslegung Verbot der Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen (Beachte: Gilt nur für den Rechtsanwender, nicht für den Gesetzgeber) „[97] Der Gesetzgeber und nicht der Richter ist zur Entscheidung über die Strafbarkeit berufen. Allein der Gesetzgeber hat zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er für ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich und notwendig erscheint, gerade das Mittel des Strafrechts einsetzen will. Die Gerichte dürfen in die Entscheidung des Gesetzgebers nicht korrigierend eingreifen und müssen in Fällen, die vom Wortlaut einer Strafnorm nicht mehr gedeckt sind, zum Freispruch gelangen. […] Aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit folgt ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Dabei ist „Analogie“ nicht im engeren technischen Sinn zu verstehen; ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechtsanwendung, die – tatbestandsausweitend – über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht, wobei der mögliche Wortlaut als äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation aus der Sicht des Normadressaten zu bestimmen ist. […] [98] Aus der Zielsetzung des Art. 103 Abs. 2 GG sind für die Gerichte Vorgaben für die Handhabung weit gefasster Tatbestände und Tatbestandselemente zu entnehmen. Sie dürfen nicht durch eine fernliegende Interpretation oder ein Normverständnis, das keine klaren Konturen mehr erkennen lässt, dazu beitragen, bestehende Unsicherheiten über den Anwendungsbereich einer Norm zu erhöhen. Andererseits ist die Rechtsprechung gehalten, verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen (Präzisierungsgebot). […] [99] Den Strafgerichten ist es dabei nicht verwehrt, den Wortlaut einer Strafbestimmung weit auszulegen. Gerade wenn der Normzweck eindeutig und offensichtlich ist, kann eine daran orientierte weite Auslegung des Wortsinns geboten sein, denn unter dieser Voraussetzung kann der Normadressat das strafrechtlich Verbotene seines Handelns vorhersehen. […] Allerdings sind die Strafgerichte verpflichtet, die einzelnen Tatbestandsmerkmale, mit denen der Gesetzgeber das unter Strafe gestellte Verhalten bezeichnet hat, nicht so zu definieren, dass die vom Gesetzgeber dadurch bewirkte Eingrenzung der Strafbarkeit im Ergebnis wieder aufgehoben wird. Einzelne Tatbestandsmerkmale dürfen […] innerhalb ihres möglichen Wortsinns nicht so weit ausgelegt werden, dass sie vollständig in anderen Tatbestandsmerkmalen aufgehen, also zwangsläufig mit diesen mitverwirklicht werden (Verbot der Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen).“ Jura Intensiv II. Anwendung auf § 315d I Nr. 3 StGB Fraglich ist, ob § 315d I Nr. 3 StGB diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 04/2022 Öffentliches Recht 205 1. Grob verkehrswidrig und rücksichtslos „[107] […] Die ausdrückliche Bezugnahme der Gesetzesbegründung auf § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB und die hierzu bestehende gefestigte Rechtsprechung geben eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung dieser Normelemente. Die höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung zu § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB fordert für eine grobe Verkehrswidrigkeit einen besonders schweren und gefährlichen Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften und die Verkehrssicherheit. […] Eine ebenso gefestigte Rechtsprechung besteht zu dem Tatbestandsmerkmal der Rücksichtslosigkeit, das der Bundesgerichtshof in den Fällen als erfüllt ansieht, in denen der Angeklagte sich aus eigensüchtigen Gründen über seine Pflichten gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern hinwegsetzt oder aus Gleichgültigkeit von vornherein Bedenken gegen sein Verhalten nicht aufkommen lässt.“ 2. Fortbewegen mit nicht angepasster Geschwindigkeit „[108] Für das Tatbestandsmerkmal des Fortbewegens mit nicht angepasster Geschwindigkeit kann dem Wortlaut des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB der Bezugspunkt zur Bestimmung der nicht angepassten Geschwindigkeit zwar nicht unmittelbar entnommen werden. Dieser ergibt sich aber aus dem Regelungsgehalt der Vorschrift. Da sich der Täter im Straßenverkehr fortbewegen muss, liegt es nahe, dass die Geschwindigkeit dessen Erfordernissen anzupassen ist. Ferner sind der Gesetzesbegründung Anhaltspunkte zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals zu entnehmen. Indem sie verlangt, die Geschwindigkeit „insbesondere den Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnissen anzupassen“, stellt sie einen Bezug zum Wortlaut der Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO und deren Auslegung her. Ferner gibt die Gesetzesbegründung für die Frage, ob bereits eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine unangepasste Geschwindigkeit darstellt oder eine solche lediglich indiziert, einen Anhaltspunkt. Sie führt aus, dass „ein zu schnelles Fahren gemeint sei, das Geschwindigkeitsbegrenzungen verletzt oder der konkreten Verkehrssituation zuwiderläuft“.“ Jura Intensiv 3. Bezugspunkt für grobe Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit „[109] Auch hinsichtlich des Bezugspunkts der Tatbestandsmerkmale der groben Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit bestehen hinreichende Anknüpfungspunkte für eine methodengerechte Auslegung. Der Wortlaut des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB könnte zwar auch einen über das Fortbewegen mit nicht angepasster Geschwindigkeit hinausgehenden weiteren Verkehrsverstoß als Voraussetzung erfordern. Rückschlüsse darauf, ob gerade ein grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Fortbewegen mit nicht angepasster Geschwindigkeit gemeint ist, lassen sich aber daraus ziehen, dass die Vorschrift kein weiteres Verhalten nennt, welches durch die Tatbestandsmerkmale „grob verkehrswidrig“ und „rücksichtslos“ qualifiziert werden könnte. […]“ BT-Drs. 18/12964, S. 5 Grob verkehrswidrig (vgl. BGHSt 5, 392, 395) Rücksichtslos (vgl. BGHSt 5, 392, 395) BT-Drs. 18/12964, S. 5 Problem: Verlangen grobe Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit neben der Fortbewegung mit nicht angepasster Geschwindigkeit einen weiteren Rechtsverstoß? Antwort: Nein © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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