172 Zivilrecht RA 04/2022 Definition Sittenwidrigkeit Besondere Verwerflichkeit muss hinzutreten Schmiergeldabreden Problem der Interessenskollision, BGH, Urteil vom 16.01.2001, XI ZR 113/00 BGH, Urteil vom 18.01.2018, I ZR 150/15 Wichtig: Die Fallgruppe der Sittenwidrigkeit heißt „missbilligenswerte Kommerzialisierung“. Das Gericht befasst sich nicht mit § 134 BGB, weil die Nichtigkeitsgründe aus § 134 BGB und § 138 I BGB nebeneinander bestehen und hier § 138 I BGB bereits eingreift. Der Geschäftsführer der K, W, wollte sich mit dem Grundstückserwerb persönlich bereichern. Hierzu musste S bestochen werden. Leidtragende war die K, welche ein Darlehen zurückzuzahlen hatte. Wichtig: Der Darlehensvertrag diente der Verdeckung der Schmiergeldabrede. [50] Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermittelnden Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (...). Verstößt das Rechtsgeschäft nicht bereits seinem Inhalt nach gegen die grundlegenden Wertungen der Rechtsoder Sittenordnung, muss ein dem Handelnden vorwerfbares persönliches Verhalten vorliegen. Hierfür genügt es im Allgemeinen nicht, dass vertragliche Pflichten verletzt werden. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln oder der zutage tretenden Gesinnung ergeben kann (...). Der Bundesgerichtshof hat zur Frage der Sittenwidrigkeit von Schmiergeldern bereits zu Beginn der 60er Jahre entschieden, dass Zuwendungen an Organe, sonstige gesetzliche Vertreter oder Angestellte, um eine Bevorzugung beim Abschluss von Verträgen, insbesondere bei der Vergabe von Aufträgen, zu erzielen, gegen die einfachsten und grundlegenden Gesetze des geschäftlichen Anstandes und kaufmännischer guter Sitte verstoßen (...). Hieran hat der Bundesgerichtshof in der Folge auch festgehalten: [51] “Es ist in hohem Maße anstößig, dem Verhandlungsführer des Vertragspartners, dem dieser vertraut, ein Schmiergeld für den Fall zu zahlen, dass es zum Vertragsschluss kommt. Dadurch wird die Gefahr heraufbeschworen, dass der Verhandlungsführer vor allem im eigenen „Provisionsinteresse” handelt und die Interessen des von ihm Vertretenen nicht in dem gebotenen Maße wahrnimmt.” (…). [52]“Vereinbarungen über die Zahlung eines Schmiergelds für die künftige Bevorzugung bei der Vergabe von Aufträgen, die Angestellte, Bevollmächtigte, Beauftragte oder sonstige Vertreter einer Partei heimlich mit dem anderen Vertragsteil treffen, verstoßen gegen die guten Sitten und sind gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig.” [53] Die Nichtigkeit folgt in diesen Fällen aus § 138 Abs. 1 BGB (...). Es handelt sich um die Fallgruppe der sogenannten „missbilligten Kommerzialisierung”. Ist eine Kommerzialisierung in einem Lebensbereich anstößig, so kann das zur Sittenwidrigkeit eines entgeltlichen Rechtsgeschäfts führen. Das Lauterkeitsrecht dient hierbei dem Schutz vor unlauteren geschäftlichen Handlungen und dem Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Marktgeschehen (...). [54] Eine Verbotswidrigkeit nach §§ 299 ff., 331 ff. StGB oder § 370 AO in Verbindung mit § 134 BGB ist nicht zwingend vorausgesetzt (...). Vielmehr bestehen die Nichtigkeitsgründe des § 138 BGB und § 134 BGB nebeneinander. [55] Auch stellen die Heimlichkeit des Handels des Schmiergeldempfängers und eine Nachteilszufügungsabsicht keine zwingenden Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit dar. Zu missbilligen ist allein schon die Verquickung von eigennützigen Interessen des Geschäftsführers mit denjenigen der von ihm vertretenen Gesellschaft, der darin liegende Missbrauch des dem Vertreter gewährten Vertrauens und die hiervon ausgehenden Gefahren (...). [56] Nach diesen Maßstäben liegt hier eine sittenwidrige Schmiergeldzahlung vor. Diese zu tarnen war - neben der vorgenannten Sicherungsfunktion - Sinn und Zweck der Vereinbarung des Darlehensvertrags. Mithin erfasst der Makel der Sittenwidrigkeit der Schmiergeldabrede zwischen W. und S. auch den Darlehensvertrag vom 6. September 2014 mit der Rechtsfolge der Nichtigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 04/2022 Zivilrecht 173 Folglich ist der Darlehensvertrag nichtig. Folglich besteht kein Rückzahlungsanspruch der K gegen B aus § 488 I 2 BGB. B. Anspruch auf Rückübereignung der Geldscheine der 50.000 € aus § 812 I 1 1. Fall BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Rückübereignung der 50.000 € aus § 812 I 1 1. Fall BGB haben. I. Etwas erlangt Dann muss B etwas erlangt haben. Darunter ist jeder vermögensrechtliche Vorteil zu verstehen. B könnte hier für eine juristische Sekunde das Eigentum am Bargeld in Höhe von 50.000 € erlangt haben. Die 50.000 € wurden bei Anwesenheit des Geschäftsführers der K und seiner Stellvertreterin sowie der Geschäftsführerin der B, H, auf Anweisung der H direkt an S übergeben. Dadurch könnten zunächst B gem. § 929 S. 1 BGB und eine juristische Sekunde später S gem. § 929 S. 1 BGB das Eigentum an den 50.000 € Bargeld erlangt haben. Ein Eigentumserwerb gem. § 929 S. 1 BGB setzt die Einigung zwischen Veräußerer und Erwerber, die Übergabe der Sache sowie die Verfügungsberechtigung des Veräußerers voraus. Zunächst müssten sich K und B geeinigt haben. Hier einigten sich K und B, beide vertreten durch ihre Geschäftsführer gem. §§ 164 I BGB, 35 GmbHG zunächst auf einen Eigentumserwerb der B. Ein Erwerb gem. § 929 S. 1 BGB setzt eine Übergabe an das Organ der B, die H, voraus. Eine Übergabe i.S.d. § 929 S. 1 BGB liegt vor, wenn der Veräußerer den Besitz verliert und der Erwerber den Besitz auf Veranlassung des Veräußerers erlangt. Auf Seiten der K hatte W als Organ den Besitz am Geld, auf Seiten der B könnte S als Geheißperson gewirkt haben. Geheißperson ist auf Veräußererseite, wer nicht Besitzdiener (§ 855 BGB) und nicht Besitzmittler (§ 868 BGB) ist, auf Anweisung des Veräußerers handelt und sich der Anweisung zumindest für eine juristische Sekunde unterordnet. Hier handelte S auf Anweisung der Geschäftsführerin der B als Geheißperson bei der Annahme des Bargeldes. Folglich erwarb B für eine juristische Sekunde Eigentum und Besitz am Bargeld. Eine juristische Sekunde später erlangte S das Eigentum von B, wobei W als Geheißperson der B mitwirkte. Damit steht fest, dass B das Eigentum am Bargeld für eine juristische Sekunde erlangt hatte. Jura Intensiv II. Durch Leistung der K B müsste das Eigentum durch eine Leistung der K erlangt haben. Unter einer Leistung versteht man die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Vorliegend stellt sich die Frage, ob K einen Leistungszweck verfolgte, der einer Leistung im Sinne des § 812 I 1 1. Fall BGB entspricht. Zu prüfen ist, ob K, vertreten durch W, in Erfüllung einer Verbindlichkeit gem. § 488 I 1 BGB gehandelt hat. Wie bereits geprüft, handelte es sich beim Darlehensvertrag nicht um ein Scheingeschäft im Sinne des § 117 BGB. Vielmehr haben die Parteien den Vertrag zumindest so lange gewollt, bis die Voraussetzungen – Abriss des Gebäudes, Zustimmung des Sanierungsträgers, Eintragung der Käufer in das Grundbuch – erfüllt waren. Das Darlehen diente einer Schmiergeldabrede. Die zivilrechtliche Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts war den Beteiligten nicht bewusst. Folglich handelte K, vertreten durch W in Erfüllung einer vermeintlichen Verbindlichkeit aus § 488 I 2 BGB. K hat an B geleistet. B erlangte eine juristische Sekunde lang das Eigentum am Bargeld. Die genauen Details der Übergabe zu rekonstruieren, hat das Gericht genauso viel Kraft gekostet wie die Verdeckung der genauen Umstände der Beteiligten. Im Originalfall finden sich seitenlange Ausführungen zur Beweiswürdigung nach Zeugenvernehmungen. Es gab u.a. widersprüchliche Aussagen darüber, ob das Geld willentlich zum Empfang gegeben oder einfach vom Tisch weggenommen wurde. Wenn der Darlehensvertrag nichtig ist, erfolgt die Rückabwicklung über das stets anstrengende Bereicherungsrecht. Dort kommt es immer darauf an, was genau der Schuldner erlangt hat. Nur dann lässt sich auch die Leistungsbeziehung sicher bestimmen. Das OLG hat sich diese Mühe nicht gemacht und die bereicherungsrechtlichen Ansprüche pauschal analog § 817 S. 2 BGB als ausgeschlossen angesehen (siehe Rz. 84-85 auf der nächsten Seite). Das können Sie sich in einem Gutachten nicht erlauben. Immer ein Problem: Welchen Leistungszweck hat der Leistende erfüllt? © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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