178 Zivilrecht RA 04/2023 Eine Ausnahme gilt für den schmerzensgeldähnlichen Ausgleichsanspruch bei schwerwiegenden Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Nach Ansicht des BGH beruht der dadurch eingetretene Schaden vor allem auf der Genugtuungsfunktion, was ihn grundsätzlich unvererblich macht, BGH, VI ZR 246/12 = RA 08/2014, 397 ff. und BGH VI ZR 258/18 = RA 02/2022, 69 ff. Um diesen Anspruch geht es hier aber nicht. Vorliegend geht es um eine Körperverletzung. Ausgangspunkt der Überlegungen: Die Grundfunktionen des Schmerzensgeldes bestehen zum einen in seiner Ausgleichsfunktion und zum anderen in seiner Genugtuungsfunktion. Einen Ausgleich kann sich der Geschädigte mit dem Schmerzensgeld z.B. durch einen schönen Urlaub verschaffen. Die Genugtuungsfunktion trat hier zurück, weil B seinem Patienten nichts „antun wollte.“ II. Anspruch des Vaters des K gegen B aus 280 I, 241 II, 630a BGB i. V. m. § 253 II BGB In der Person des Vaters könnte vor dessen Tod ein Schmerzensgeldanspruch entstanden sein. In Betracht kommt eine Verletzung des Behandlungsvertrags gem. § 630a BGB, die einen Schmerzensgeldanspruch aus § 280 I BGB i. V. m. § 253 II BGB zur Entstehung gebracht haben kann. 1. Schuldverhältnis Der unstreitig zwischen dem Vater und B abgeschlossene Behandlungsvertrag gem. § 630a BGB ist das Schuldverhältnis. 2. Pflichtverletzung gem. § 241 II BGB Gem. § 241 II BGB sind die Parteien im Rechtsverkehr verpflichtet, auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen der anderen Partei Rücksicht zu nehmen. Hier könnte B den Körper des Vaters des K mit der Injektionsnadel verletzt und damit sein Rechtsgut verletzt haben. Gem. §§ 630d, 630e BGB liegt allerdings keine Pflichtverletzung vor, wenn der Patient nach erfolgter Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hat. Dies lag hier aber nicht vor, sodass eine Pflichtverletzung gegeben ist. 3. Vertretenmüssen Diese hat B auch gem. §§ 280 I 2, 276 BGB zu vertreten. 4. Kausaler, ersatzfähiger Schaden Fraglich ist, ob der Vater gem. § 253 II BGB einen immateriellen Schaden erlitten hat, für den er zu Lebzeiten Schmerzensgeld hätte fordern können. [26] Der Anspruch auf Schmerzensgeld ist ein (Schadensersatz-) Anspruch eigener Art mit doppelter Funktion: Er soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind, und zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, was er ihm angetan hat. Bei der Festsetzung der Entschädigung dürfen und müssen grundsätzlich alle in Betracht kommenden Umstände des Falles berücksichtigt werden. Durch die Zubilligung des Schmerzensgeldes soll der Geschädigte in die Lage versetzt werden, sich Erleichterungen und andere Annehmlichkeiten zu verschaffen und Beschwernisse zu lindern, die er durch die immaterielle Beeinträchtigung erfährt. (...). [27] Der Aspekt der Genugtuung ist zwar in Arzthaftungssachen nicht von vornherein ohne jede Bedeutung (...), die Genugtuungsfunktion tritt aber doch regelmäßig weitgehend in den Hintergrund, da das ärztliche Bestreben auf Heilung ausgerichtet ist (...). [28] Für die Bemessung eines Schmerzensgeldes ist, soweit es um die Ausgleichsfunktion und die Verhältnisse des Verletzten geht, auf die konkreten Umstände des Falles abzustellen: In erster Linie sind die unmittelbar durch das schädigende Geschehen herbeigeführten körperlichen (und psychischen) Beschädigungen maßgeblich, d.h. Art und Ausmaß der Verletzungen und der hierdurch veranlassten Belastungen (Art und Intensität medizinischer Behandlungsmaßnahmen, insbesondere etwa Operationen, stationäre Aufenthalte). (...) Zu beachten ist, inwieweit diese Umstände den Geschädigten im Alltag und bei der Freizeitgestaltung beeinträchtig(t)en und ihm Lebensfreude zu nehmen geeignet waren bzw. sind (...). Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 04/2023 Zivilrecht 179 [29] Dass der Schmerzensgeldanspruch in § 253 Abs. 2 BGB als „billige Entschädigung in Geld“ umschrieben wird, formuliert nicht nur die Anforderung an das Gericht, unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles zu prüfen, in welcher Höhe eine Entschädigung für immaterielle Schäden der Billigkeit entspricht; vielmehr ist es zunächst eine Voraussetzung des Schmerzensgeldanspruchs, dass überhaupt ein immaterieller Schaden entstanden ist, für den unter Billigkeitsgesichtspunkten eine Entschädigung in Geld angezeigt ist. Die Geringfügigkeit einer Verletzung kann also, mit anderen Worten, nicht nur dazu führen, dass ein Schmerzensgeld entsprechend gering zu bemessen ist, sondern auch zur Folge haben, dass überhaupt kein Schmerzensgeld zuzusprechen ist. [30] Dementsprechend ist es in Rspr. und Lit. anerkannt, dass bei Bagatellverletzungen ohne wesentliche Beeinträchtigung der Lebensführung und ohne Dauerfolgen der Ersatz des immateriellen Schadens ausnahmsweise zu versagen ist, wenn es den Umständen nach nicht der Billigkeit entspricht, den immateriellen Schaden durch ein Schmerzensgeld auszugleichen (...). [32] Die Umschreibung von Bagatellverletzungen, bei denen die Billigkeit eine Entschädigung in Geld gar nicht verlangt, geht in der Regel dahin, dass es um Beeinträchtigungen geht, die sowohl von der Intensität als auch der Art der Primärverletzung her nur ganz gering sind und üblicherweise den Verletzten deswegen nicht nachhaltig beeindrucken, weil es sich um vorübergehende, im Alltagsleben typische und häufig aus anderen Gründen als einem Haftungsfall entstehende Einwirkungen auf das körperliche oder seelischen Wohlbefinden handelt (...). [35] Der Kläger trägt nichts dazu vor, dass sein Vater infolge der Impfungen in irgendeiner Weise beeinträchtigt gewesen sei; nicht einmal zu Schwellungen und Spannungen, wie sie nach einer Injektion nicht selten für zumindest ein oder zwei Tage im Bereich der Injektionsstelle auftreten, ist der Klage etwas zu entnehmen. Allein das Einstechen der Nadel und das Einbringen des Impfstoffs bewirken aber keinen immateriellen Schaden beim Patienten, bei dem (...) eine Entschädigung in Geld der Billigkeit entspräche; denn die damit verbundenen Beeinträchtigungen sind nach Art und Intensität so gering, dass sie das Wohlergehen des Patienten über den Augenblick hinaus nicht nachhaltig stören. Selbst die erwähnten typischen (kurzfristigen) Schwellungen und Spannungen begriffe die Kammer noch als Bagatelle im vorstehend umschriebenen Sinne, welche keinen Schmerzensgeldanspruch begründet. Jura Intensiv Entscheidender Aspekt des Falles: Ist überhaupt ein immaterieller Schaden entstanden oder ist die Verletzung eine solche Bagatelle, dass davon nicht die Rede sein kann? Der Patient hatte weder Schwellungen noch Spannungen, noch Schmerzen noch innere Unruhe etc. Deshalb ist kein Schmerzensgeldanspruch entstanden. Also hat K keinen Anspruch gegen B aus §§ 1922, 280 I, 253 II BGB. B. Anspruch aus §§ 1922, 823 I, 253 II BGB Aus demselben Grund scheidet ein Anspruch aus §§ 1922, 823 I, 253 II BGB aus. C. Ergebnis K hat gegen B keinen geerbten Anspruch auf Schmerzensgeld. FAZIT Bagatellverletzungen begründen keinen Schmerzensgeldanspruch. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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