jiverlag
Aufrufe
vor 9 Monaten

RA Digital - 04/2023

  • Text
  • Verlagjuraintensivde
  • Pferd
  • Anspruch
  • Parteien
  • Stgb
  • Recht
  • Verlags
  • Urteil
  • Inhaltsverzeichnis
  • Intensiv
  • Jura
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

180 Referendarteil:

180 Referendarteil: Zivilrecht RA 04/2023 Speziell für Referendare LEITSÄTZE 1. Sinn und Zweck des § 86 VVG ist, dass der Schädiger durch die Versicherungsleistung nicht befreit und der Versicherungsnehmer nicht bereichert werden soll. 2. Der Rechtsanwalt muss auch das ungefähre Ausmaß der Risiken abschätzen und dem Mandanten das Ergebnis mitteilen. Ist danach eine Klage oder ein Rechtsmittel praktisch aussichtslos, muss der Rechtsanwalt dies klar herausstellen. 3. War die Rechtsverfolgung des Mandanten aussichtslos, kann selbst eine einwandfrei herbeigeführte Deckungszusage den für ein beratungsgerechtliches Verhalten des Mandanten (Abstandnahme weiterer Maßnahmen) sprechenden Anscheinsbeweis nicht hindern. 4. Die zeitnahe Lektüre und Auswertung der gängigen Fachmedien gehört zum selbstverständlichen Pflichtenprogramm für Anwälte. Die Originalentscheidung beginnt mit einem Einleitungssatz. Dies wird nicht in allen Ländern gerne gesehen; fragen Sie hierzu Ihre AG-Leiter. Einleitungssätze bieten sich an, wenn der Sachverhalt komplex ist und eine vorangestellte Erläuterung Klarheit verschafft. So verhält es sich hier. Rechtlich fehlerhafte Widerrufsbelehrung: Dies ist keine Rechtsausführung im Tatbestand, sondern Tatsachenvortrag hinsichtlich des Vorprozesses. „Kaskadenverweis“: Verweis auf eine Norm, die wiederum auf andere Normen verweist; hierzu: BGH, Urteil vom 10.11.2020, XI ZR 426/19 = RA 02/2021, 57 ff. Die Formatierung in kursiv dient hier für Sie als Leseerleichterung. Sie „formatieren“ in Ihrer Klausur Ausführungen zum unstreitigen Tatbestand nicht. Problem: Regress des Rechtsschutzversicherers Einordnung: Schuldrecht BT OLG Zweibrücken, Urteil vom 09.03.2023 4 U 97/22 EINLEITUNG Die Rechtsschutzversicherung ist in der Praxis ein zweischneidiges Schwert. Der Rechtssuchende kann bei Deckungszusage „kostenfrei“ versuchen, seine rechtlichen Interessen durchzusetzen, der Anwalt hat de facto einen solventen Schuldner für seine Honorarforderung. Es häufen sich jedoch in den letzten Jahren vermehrt die Fälle, in denen nach erfolgloser Rechtsverfolgung die durch die Rechtschutzversicherung gezahlten Beträge von dieser aufgrund behaupteter Pflichtverletzungen des Anwalts diesem gegenüber zurückgefordert werden. Auf Deutsch: Die Deckungszusage wird ausdrücklich erteilt – zumeist nach Vorlage des Entwurfes des kostenauslösenden Schreibens/ Schriftsatzes – und bei erfolgloser Rechtsverfolgung wird geprüft, ob der Anwalt nicht von einer Rechtsverfolgung hätte abraten müssen. Hierzu der folgende Fall. TATBESTAND Der klagende Rechtsschutzversicherer (K) nimmt die Beklagte (Partnerschaft von Rechtsanwälten) (B) aus übergegangenem Recht seiner Versicherungsnehmer (frühere Mandanten der B) mit der am 20.01.2022 zugestellten Klage auf Schadenersatz wegen behaupteter Berufspflichtverletzung bei der Führung eines anwaltlichen Mandats in Anspruch. B beriet und vertrat die bei der K rechtsschutzversicherten Zeugen M. und S. G. zunächst vorgerichtlich und sodann in einem über zwei Instanzen geführten Zivilrechtsstreit gegen die kreditgebende Bank (V). Gegenstand der Auseinandersetzung war der Widerruf eines dinglich besicherten Immobiliendarlehensvertrages über 88.200 € für den Erwerb einer Eigentumswohnung, den die Mandanten am 17.02.2011 mit der V geschlossen hatten. B erachtete die dem Darlehensvertrag beigefügte umrandete Widerrufsbelehrung als rechtlich fehlerhaft. Die Widerrufsbelehrung enthält eine sog. „Kaskadenverweisung“, worauf die B in dem für die Mandanten verfassten Widerrufsschreiben vom 23.08.2016 hinwies. Ferner enthält die Widerrufsinformation u.a. folgenden Passus: Jura Intensiv „Der Darlehensnehmer hat dem Darlehensgeber auch die Aufwendungen zu ersetzen, die der Darlehensgeber gegenüber öffentlichen Stellen erbracht hat und nicht zurückerlangen kann.“ Ausweislich des Vertragsdokuments sind die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Kreditgeberin Bestandteil des Darlehensvertrages und diesem auch beigefügt. Die Mandanten der B ließen mit Schreiben der B vom 23.08.2016 den Widerruf des Vertrages erklären, nach Ablehnung seitens der Bank gegen diese durch die B Klage zum Landgericht (…) erheben und gegen das klageabweisende Urteil erster Instanz vom (…) Berufung (…) einlegen. Die Berufung ging am (…) ein und wurde von B am (…) für die Mandanten begründet. Auf einen am (…) erteilten Hinweis des Berufungsgerichts nach § 522 II ZPO nahm die B die Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 04/2023 Referendarteil: Zivilrecht 181 Berufung für die Mandanten zurück. Vor Tätigwerden der B war jeweils eine Deckungszusage bei der K eingeholt worden. Der K entstanden aus dem verlorenen Prozess Kosten von insgesamt 35.708,87 €, wobei 15.950,96 € auf die Berufungsinstanz fallen. Mit Schreiben vom 30.08.2021 ließ die K die B zur Erstattung des Betrags für die Berufungsinstanz bis zum 10.09.2021 auffordern. K vertritt die Rechtsauffassung, dass die B den rechtsschutzversicherten Mandanten von einem – weiteren – Vorgehen gegen die Bank hätte abraten müssen, da die Rechtsverfolgung durch Darlehenswiderruf spätestens in der Berufungsinstanz aufgrund eines zwischenzeitlichen Urteils des BGH keine oder allenfalls äußerst geringe Erfolgsaussichten geboten habe. Die K hat beantragt, die B zu verurteilen, an K 15.950,96 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.09.2021 zu zahlen. Die B beantragt, die Klage abzuweisen. B vertritt die Rechtsauffassung, dass der für die Mandanten geführte Rechtsstreit nicht aussichtslos gewesen sei, da der EuGH im Jahr 2020 eine gleichlautende Widerrufsbelehrung als rechtlich unzureichend erachtet habe. Zumindest sei der Regress treuwidrig. ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE Die Klage ist zulässig und begründet. K hat gegen B einen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 I, 675, 611 BGB i. V. m. § 86 I VVG wegen Verletzung der die B gegenüber den Mandanten treffenden anwaltlichen Beratungspflichten auf Erstattung der Kosten für das Berufungsverfahren in geltend gemachter Höhe. Die Berufung in dem Ausgangsrechtsstreit hatte bereits zum Zeitpunkt ihrer Einlegung keine Aussicht auf Erfolg. Jura Intensiv [29] Die Rechtsschutzversicherung ist eine Schadensversicherung, für die § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG gilt. Danach geht ein dem Versicherungsnehmer gegen einen Dritten zustehender Ersatzanspruch auf den Versicherer über, soweit dieser den Schaden ersetzt (BGH (…)), was vorliegend der Fall war. Unerheblich ist, dass die K gegenüber B die Deckungszusage erteilt hat. [30] Der Annahme eines Ersatzanspruchs gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG steht insbesondere nicht der versicherungsvertragliche Deckungsanspruch entgegen. Dieser schließt die Annahme eines (Kosten-) Schadens des Versicherungsnehmers nicht aus. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass es den Schädiger nicht entlastet, wenn der Versicherer des Geschädigten den Schaden deckt, was auch in § 86 VVG zum Ausdruck kommt. Die Vorschrift soll zweierlei bewirken: Der Schädiger soll durch die Versicherungsleistung nicht befreit, der Versicherungsnehmer nicht bereichert werde (BGH NJW 2021, 3324 Rn. 19). Typische Ausgangssituation in diesen Fällen: Deckungszusage erteilt, Regress nach erfolglosem Vorgehen Der streitige Parteivortrag wird im Präsens und indirekter Rede dargestellt. Trennen Sie zwischen Tatsachenbehauptungen und Rechtsansichten. Aktuelle Anträge sind hervorzuheben. Dies erfolgt stets durch Einrücken, Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 313 Rn 19. Der streitige Beklagtenvortrag wird – wie der des Klägers – im Präsens und indirekter Rede dargestellt. Trennen Sie hier ebenfalls – sofern beides vorgetragen wird – zwischen Tatsachenbehauptungen und Rechtsansichten. Anspruchsgrundlage: Schadensersatz aus anwaltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag gem. §§ 280 I, 675, 611 BGB. Dieser geht kraft Gesetzes auf den leistenden Versicherer über, § 86 I VVG. Urteilsstil, Obersatz (…), denn (…) BGH, Urteil vom 23.07.2019, VI ZR 307/18; BGH, Urteil vom 24.09.2014, IV ZR 422/13 Zahlt die Rechtsschutzversicherung, gehen etwaige Ansprüche des Mandanten gegen den Rechtsanwalt auf die Versicherung über, § 86 I VVG. BGH, Urteil vom 16.09.2021, IX ZR 165/19 © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

Erfolgreich kopiert!

RA - Digital

Rspr. des Monats