182 Referendarteil: Zivilrecht RA 04/2023 Nachdem geklärt ist, dass der Anspruch auf den Versicherer übergegangen ist, erfolgt die weitere Prüfung, ob überhaupt ein Anspruch – ursprünglich des Mandanten gegen den Rechtsanwalt – bestand. Denn ohne Anspruch würde auch die Abtretung kraft Gesetzes in die Leere gehen. Ausführliche Ausführungen zu den Berufspflichten des Rechtsanwalts gegenüber seinen Mandanten BGH, Urteil vom 16.09.2021, IX ZR 165/19; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.07.2021, 17 U 60/20 Pflicht des Rechtsanwalts, höchstrichterliche Rechtsprechung zu kennen, auszuwerten und seine Tätigkeiten gegenüber Mandanten entsprechend anzupassen Zwei „harte“ Argumente, die nicht mehr entkräftet werden konnten: Erstens, das Vorliegen einer einschlägigen höchstgerichtlichen Entscheidung, zweitens die Verfristung der Erklärung eines ordentlichen Widerrufs Zulässigkeit eines Kaskaden- oder auch Kettenverweises in einer Widerrufsbelehrung B hat hinsichtlich der streitgegenständlichen Kosten der Berufungsinstanz des Ausgangsprozesses ihre Beratungspflicht verletzt, §§ 280 I, 675, 611 BGB. [33] Der Rechtsanwalt ist grundsätzlich zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Beratung des Auftraggebers verpflichtet. Unkundige muss er über die Folgen ihrer Erklärungen belehren und vor Irrtümern bewahren. In den Grenzen des Mandats hat er dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist. Ziel der anwaltlichen Rechtsberatung ist es danach, dem Mandanten eigenverantwortliche, sachgerechte (Grund-) Entscheidungen („Weichenstellungen”) in seiner Rechtsangelegenheit zu ermöglichen. (…) Hierzu reicht es nicht, die mit der Erhebung einer Klage verbundenen Risiken zu benennen. Der Rechtsanwalt muss auch das ungefähre Ausmaß der Risiken abschätzen und dem Mandanten das Ergebnis mitteilen. Ist danach eine Klage oder ein Rechtsmittel praktisch aussichtslos, muss der Rechtsanwalt dies klar herausstellen. Er darf sich nicht mit dem Hinweis begnügen, die Erfolgsaussichten seien offen. Vielmehr kann der Rechtsanwalt nach den gegebenen Umständen gehalten sein, von der beabsichtigten Rechtsverfolgung ausdrücklich abzuraten (BGH (…); ebenso MüKoBGB/Heermann, 9. Aufl. 2023, BGB § 675 Rn. 29). Diesbezüglich muss der Rechtsanwalt auch höchstrichterliche Rechtsprechung beachten. Gleiches gilt für Veränderungen in der gerichtlichen Praxis im laufenden Verfahren. [36] Gemessen an diesen Grundsätzen hätte die Beklagte die Mandanten (Versicherungsnehmer der Klägerin) dahingehend beraten müssen, dass die Durchführung der Berufung praktisch aussichtslos war. Denn zum Zeitpunkt der telefonischen Beratung der Zeugen G. am 06.10.2017 nach Abschluss der ersten Instanz und der Berufungseinlegung am 06.11.2017 war durch die zwischenzeitlich ergangene ober- und höchstgerichtliche Rechtsprechung hinreichend deutlich geklärt, dass die Widerrufsinformationen zu dem im Ausgangsprozess in Rede stehenden Darlehensvertrag, insbesondere soweit sie die Beklagte als rechtsfehlerhaft erachtet hatte, wirksam waren und ein ordentlicher Vertragswiderruf der Mandanten wegen Verfristung ausschied. Die gleichwohl gegenüber den Mandanten weiterhin abgegebene rechtliche Einschätzung, dass sich vor Berufungseinlegung nichts Wesentliches geändert habe und dass weiterhin zumindest geringe Erfolgsaussichten bestünden, war objektiv unzutreffend und damit pflichtwidrig. Jura Intensiv Im Zeitpunkt der Berufungseinlegung war zudem höchstgerichtlich geklärt, dass der Kaskadenverweis nicht zur Unwirksamkeit der Widerrufsinformation führt. [41] Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 22.11.2016 (XI ZR 434/15, NJW 2017, 1306 Rn. 18 ff) ausgeführt, dass die Bezugnahme der Kreditgeberin auf § 492 Abs. 2 BGB klar und verständlich ist. Er führt dort weiter aus, dass die Verweisung auf § 492 Abs. 2 BGB ebenso wie die – mit dem hier interessierenden Widerrufstext identischen – Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 04/2023 Referendarteil: Zivilrecht 183 Beispielangaben nicht zur Unwirksamkeit der Widerrufsinformation führen, auch wenn diese nicht zu den Pflichtabgaben gehören. Vielmehr haben die Vertragschließenden das Anlaufen der Widerrufsfrist dann gültig von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig gemacht (BGH (…)). Die Entscheidung wurde in diversen Fachzeitschriften (…) abgedruckt. Sie musste der B daher bekannt sein, weil die zeitnahe Auswertung der gängigen Fachmedien zu ihrem selbstverständlichen Pflichtenprogramm gehört. Bis zur Berufungseinlegung wurde diese Rechtsprechung nicht geändert, sondern vielmehr durch eine weitere Entscheidung des BGH aufrechterhalten. Unerheblich ist ferner, dass der EuGH im Jahre 2020 eine Kaskadenwiderrufsbelehrung für unwirksam erachtete. [43] Maßgeblich ist auf die ex ante Sicht bei Beratungserteilung abzustellen. Deshalb ist nicht entscheidend, dass der Gerichtshof der Europäischen Union den Kaskadenverweis mit Urteil vom 26.03.2020 – C-66/19 – (…) für intransparent bewertet hat. Eine etwa auf der EuGH-Entscheidung gründende Hoffnung, der Bundesgerichtshof werde diese Rechtsprechung auf andere Widerrufsinformationen übertragen, kann die Beklagte schon angesichts der zeitlichen Abfolge bei Einlegung der Berufung im November 2017 nicht gehegt haben. (…). Letztlich hat der Bundesgerichtshof die EuGH-Entscheidung bei Immobiliendarlehen auch für nicht einschlägig erachtet (BGH, (…)). Gleiche Erwägungen beziehen sich auch auf das Argument, dass geringe Chancen auf Erfolg wohl bestanden hätten, weil eine Klausel vorhanden war, wonach der Darlehensnehmer Aufwendungen zu ersetzen hat, die der Darlehensgeber gegenüber öffentlichen Stellen erbracht hat und nicht zurückerlangen kann. [45] Denn bereits mit Urteil des Bundesgerichtshofs vom 04.07.2017 (XI ZR 741/16) war die Wirksamkeit dieser Klausel endgültig geklärt. Diese Entscheidung wurde in NJW-RR 2017, 1077 veröffentlicht, welche am 15.09.2017 erschien, mithin wiederum vor der Beratung der Mandanten am 06.10.2017 und vor Berufungseinlegung. Auch diese Entscheidung musste der Beklagten, die wiederkehrend auf dem Gebiet des Bank- und Finanzrechts tätig war und nach eigener Darstellung mit anderen in der Materie spezialisierten Rechtsanwälten im ständigen Austausch stand, bekannt sein. Jura Intensiv Zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden besteht ein Kausalzusammenhang. Denn bei ordnungsgemäßer Beratung der Mandanten dahin, dass eine Berufung nicht erfolgversprechend war, wären die Kosten des Berufungsverfahrens im Ausgangsprozess nicht entstanden. [56] Es ist anzunehmen, dass ein Mandant bei pflichtgemäßer Beratung den Hinweisen des Rechtsanwalts gefolgt wäre, sofern im Falle sachgerechter Aufklärung aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegen hätte (BGH (…)). War die Rechtsverfolgung des Mandanten aussichtslos, kann selbst eine einwandfrei herbeigeführte Deckungszusage den für ein beratungsgerechtes Verhalten des Mandanten BGH, Urteil vom 22.11.2016, XI ZR 434/15 Konkretisierung der oben genannten anwaltlichen Pflichten Feststellung, dass es unbeachtlich ist, wenn ein „höheres“ Gericht nachträglich zu einer anderen Rechtsauffassung gelangt. Maßgeblich für die Prüfung, ob eine Pflichtverletzung vorliegt, ist eine ex ante Betrachtung der Angelegenheit. BGH, Beschluss vom 09.06.2020, XI ZR 381/19 Hervorgehoben im Tatbestand Abgedruckte Rechtsprechung muss dem Anwalt bekannt sein. Weitere Voraussetzung des § 280 I BGB: Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden; konkrete Feststellung: Der Mandant hätte bei ordnungsgemäßer Belehrung durch B von der Berufung abgesehen. BGH, Urteil vom 16.09.2021, IX ZR 165/19 © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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