204 Öffentliches Recht RA 04/2023 Entscheidend für die Betroffenheit der Klägerin ist das Foto. Obersatz Vgl. Schildheuer, JURA INTENSIV Skript Grundrechte, Rn 217 f., 231 Problem: Anforderungen an die Schranke bei mittelbar-faktischen Eingriffen Regierung kann sich auf Aufgabenzuweisungsnorm berufen (Art. 65 S. 2 GG). Die Klägerin ist als von diesem Eingriff individuell betroffen anzusehen. Der Text des Tweets lässt für sich genommen keinen Rückschluss auf die Person der Klägerin zu. Ein Eingriff durch die Einbindung des Lichtbildes ist hingegen im Ergebnis zu bejahen, weil anzunehmen ist, dass eine Identifizierbarkeit der Person der Klägerin durch den öffentlich abrufbaren Tweet gegeben gewesen ist [wird ausgeführt unter Heranziehung von Beweislastregeln]. Entgegen der Auffassung des Beklagten bezieht sich die textliche Aussage des Tweets „Stau am Gästeeingang, einige Fans haben sich Regencapes angezogen, um die Durchsuchung zu verhindern“ in Verbindung mit dem Bild objektiv betrachtet nicht nur auf einige wenige, sondern auf alle Personen, die auf dem Lichtbild zu sehen sind und sich ein weißes Regencape angezogen haben oder dieses gerade überziehen. […] Schon sprachlich bezieht sich die nähere Beschreibung „einige Fans“ auf das Anziehen der Regencapes. Eine (weitere) Einschränkung, dass nur ein Teil dieser Fans die Durchsuchung verhindern wolle, findet sich in dem Tweet nicht. […] Dies wird vorliegend dadurch unterstrichen, dass die Lichtbilder die der Durchsuchung vorgeschaltete Personenvereinzelungsanlage mit zahlreichen Durchlässen – ausgelegt also für eine größere Menge an Menschen – und davor eine kompakt stehende Menschenmenge zeigt, die Regencapes trägt oder gerade anlegt.“ Demnach griff die Veröffentlichung des Tweets mittelbar-faktisch in das Grundrecht der Klägerin aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG ein. II. Rechtfertigung des Eingriffs Der Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist gerechtfertigt, soweit er durch die Schranke dieses Grundrechts gedeckt ist. 1. Festlegung der Schranke Das APR findet seine Schranke in der sog. Schrankentrias des Art. 2 I GG, von der die verfassungsmäßige Ordnung einschlägig sein könnte, die jeden Rechtssatz erfasst. Fraglich ist, welche Anforderungen an diesen Rechtssatz zu stellen sind, wenn - wie hier - nur ein mittelbar-faktischer Grundrechtseingriff, ausgelöst durch staatliches Informationshandeln vorliegt. Jura Intensiv „Das Absetzen des mit dem Lichtbild versehenen Tweets durch das Polizeipräsidium Duisburg ist an den allgemeinen an das staatliche Informationshandeln zu stellenden Anforderungen zu messen. Die Unterrichtung der Öffentlichkeit über Vorgänge und Entwicklungen, die für den Bürger und das Zusammenwirken von Staat und Gesellschaft von Wichtigkeit sind, ist für die Regierung durch die im Grundgesetz zugewiesene Aufgabe der Staatsleitung gedeckt. […] Die Zuweisung einer Aufgabe berechtigt grundsätzlich auch zur Informationstätigkeit im Rahmen der Wahrnehmung dieser Aufgabe, wenn dadurch mittelbar-faktische Beeinträchtigungen Dritter herbeigeführt werden können. Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt hierfür keine besondere Ermächtigung durch den Gesetzgeber, es sei denn, die Maßnahme stellt sich nach der Zielsetzung und ihren Wirkungen als Ersatz für eine staatliche Maßnahme dar, die als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren ist. Durch Wahl eines solchen funktionalen Äquivalents eines Eingriffs kann das Erfordernis einer besonderen gesetzlichen Grundlage nicht umgangen werden. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 04/2023 Öffentliches Recht 205 Ob diese Grundsätze […] nicht nur für Informationshandeln der Regierung gelten, sondern auch auf die Information der Öffentlichkeit durch nachgeordnete Behörden im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung […] anzuwenden sind und es danach dem Grunde nach der Polizei auch möglich ist, ohne explizite Ermächtigungsgrundlage die (zutreffende) kritische Bewertung des Handelns einer Person inklusive eines Lichtbilds in weltweit abrufbaren Netzwerken zu veröffentlichen, kann vorliegend dahinstehen. Selbst wenn man diese Grundsätze auch ohne eine besondere Ermächtigungsgrundlage übertragen kann, genügt der veröffentlichte Tweet den an staatliches Informationshandeln zu stellenden Anforderungen im Ergebnis nicht. Amtliche Äußerungen haben sich an den allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten in der Ausprägung des Willkürverbots und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu orientieren. Dies erfordert es, dass mitgeteilte Tatsachen zutreffend wiedergegeben werden und Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen und den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten sowie auf einem im Wesentlichen zutreffenden und zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen (Richtigkeits- bzw. Sachlichkeitsgebot). Außerdem dürfen die Äußerungen im Hinblick auf das mit der Äußerung verfolgte sachliche Ziel im Verhältnis zu den Grundrechtspositionen, in die eingegriffen wird, nicht unverhältnismäßig sein und müssen sich daher auf das zur Informationsgewährung Erforderliche beschränken. Diesen Maßstäben wird der streitgegenständliche Tweet des Polizeipräsidiums Duisburg nicht gerecht. Der erste Teil der Textnachricht „Stau am Gästeeingang, einige Fans haben sich Regencapes angezogen“ ist […] der Sache nach durch den […] Geschehensablauf gedeckt, wobei allerdings unklar bleibt, ob der Stau durch die abgebildete Personengruppe mit Regencapes verursacht worden ist oder vielmehr durch das Ziehen einer polizeilichen Sperrlinie als Reaktion auf das Anlegen der Regencapes. […] Bei der weiteren Aussage „um die Durchsuchung zu verhindern“ sind indes die vorgenannten, an eine tatsächliche Aussage zu stellenden Anforderungen nicht erfüllt. Dass die Klägerin, die sich vor dem Gästeeingang aufhielt und ein weißes Regencape übergezogen hatte, dies zielgerichtet getan hat, damit - wie die finale Verknüpfung beider Satzteile in der Nachricht behauptet - die Durchsuchung ihrer Person bei dem Passieren der Zugangseinrichtungen zum Stadion verhindert wird, stellt eine (innere) Tatsache dar. […] Diese kundgetane Behauptung ist durch die erkennbaren bzw. von dem Beklagten angeführten Tatsachen nicht mit der erforderlichen Sicherheit belegt gewesen. Hierbei kommt es […] nicht allein auf die subjektive Einschätzung der eingesetzten Polizeibeamten an, weil es sich hierbei nicht um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr im engeren Sinne gehandelt hat. Nach den vorgenannten Maßstäben muss eine an die Öffentlichkeit gerichtete Tatsachenbehauptung als Grundrechtseingriff vielmehr objektiv zutreffen bzw. in ihrer - möglicherweise den Umständen geschuldeten - Unsicherheit kenntlich gemacht werden. Jura Intensiv Das Polizeipräsidium Duisburg hat seine Einschätzung maßgeblich auf die zu erwartende (illegale) Nutzung von Feuerwerkskörpern im Stadion durch Fans des 1. FC Magdeburg gestützt […]. Dabei kann aber nicht die Tatsache herangezogen werden, dass es im weiteren Verlauf des Spiels Problem: Können sich auch nachgeordnete Behörden für ihre Informationstätigkeit auf eine Aufgabenzuweisungsnorm berufen? Dies wohl annehmend BVerfG, Beschluss vom 17.08.2010, 1 BvR 2585/06, Rn 23. In einer Klausur muss das natürlich entschieden werden (vgl. dazu Martini/Kühl, DÖV 2013, 573, 576). Zum Aufbau: Die nachfolgenden Ausführungen können alternativ unter dem Gliederungspunkt „Schranken- Schranken“ erfolgen. Anforderungen an amtliche Äußerungen: • Tatsachen müssen wahr sein • Werturteile unterliegen Sachlichkeitsgebot • Wahrung der Verhältnismäßigkeit Subsumtion Keine subjektive ex ante-Perspektive Genaue Auswertung des Sachverhalts © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
Laden...
Laden...
Laden...
Follow Us
Facebook
Twitter