210 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 04/2023 Wiedergabe der maßgeblichen Regelungen Tatbestand FStrG ist anzuwenden, da Aufstellungsort eine Bundesstraße ist. Rechtsfolge Maßgebliche Kriterien für die Ermessensausübung Typische Formulierung in der Praxis, um zur Subsumtion überzuleiten (andere mögliche Formulierungen: „gemessen hieran“, „vor diesem rechtlichen Hintergrund“, „unter Anlegung dieses rechtlichen Maßstabs“). Anspruch (-) wegen Gefährdung der Straßensubstanz Anspruch bzgl. Schadowstraße (+) Anspruchsgrundlage Tatbestand in Einzelfällen Ausnahmen genehmigen von dem Verbot, Hindernisse auf die Straße zu bringen (§ 32 Abs. 1 Satz 1 StVO). Von einem Hindernis im Sinne des § 32 Abs. 1 Satz 1 StVO ist auszugehen, wenn ein Gegenstand auf die Straße gebracht wird, durch den der Verkehr gefährdet oder erschwert werden kann. Aufgrund der in § 8 Abs. 6 FStrG geregelten Zuständigkeitskonzentration bedarf es keiner gesonderten Sondernutzungserlaubnis, wenn bereits nach den Vorschriften des Straßenverkehrsrechts eine Ausnahmegenehmigung erforderlich ist. Das ist hier der Fall. Das Aufstellen eines Panzerwracks auf der Mittelpromenade der Straße Unter den Linden ist grundsätzlich dazu geeignet, den Fußgängerverkehr auf der Mittelpromenade zu erschweren. Die Erteilung der Ausnahmegenehmigung ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen der zuständigen Behörde. Dabei muss die Ermessensausübung die Grenzen beachten, die die gesetzliche Regelung aufstellt, sie muss sich an sachlichen Erwägungen orientieren und dem Zweck der Ermächtigung entsprechen (vgl. § 1 VwVfG Bln i.V.m. § 40 VwVfG). Mithin hat sie sich an straßenverkehrs- und straßenrechtlichen Gesichtspunkten zu orientieren. Nach § 8 Abs. 6 S. 2 FStrG ist die für die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis zuständige Behörde anzuhören. […] Bei der Entscheidung über eine Ausnahme von einem Verkehrsverbot hat die Straßenverkehrsbehörde dem mit dem Verbot verfolgten öffentlichen Interesse - hier dem Schutz des Straßenverkehrs vor verkehrsfremden Eingriffen - die besonderen Belange der von dem Verbot Betroffenen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegenüberzustellen. Gemessen daran kommt hier ein Anspruch auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung für die Mittelpromenade nicht in Betracht. Der Antragsgegner kann den grundrechtlich geschützten Interessen der Antragstellerin straßen- und straßenverkehrsrechtliche Interessen entgegenhalten, sodass ihm zumindest ein Ermessensspielraum verbleibt. Als straßenrechtlicher Belang ist auch der Schutz der Substanz der Straße in die Abwägung einzubeziehen. Der Antragsgegner hat glaubhaft gemacht, dass durch die Aufstellung des Panzerwracks auf der Mittelpromenade der Bestand des Straßenkörpers gefährdet sein kann. Bei der Oberfläche der Mittelpromenade handelt es sich um eine wassergebundene Decke, sie ist nicht weiter befestigt. Das aufzustellende Panzerwrack wiegt ca. 40 Tonnen. Der Annahme, für diese schwere Belastung sei der Untergrund der Mittelpromenade nicht ausgelegt, ist nichts entgegenzusetzen. Eine Gefährdung der Substanz des Straßenkörpers kann im Rahmen der summarischen Prüfung nicht ausgeschlossen werden. […] Jura Intensiv Die Antragstellerin hat aber einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für das gesperrte Teilstück der Schadowstraße. […] Rechtsgrundlage sind ebenfalls §§ 46 Abs. 1 Nr. 8 und 32 Abs. 1 StVO i.V.m. § 8 Abs. 6 FStrG. Das Aufstellen des Panzerwracks auf dem Teilstück der Schadowstraße stellt trotz der Absperrung ein Hindernis im Sinne des § 32 Abs. 1 StVO dar. Eine Beeinträchtigung des Fußgängerverkehrs ist möglich. […] Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 04/2023 Referendarteil: Öffentliches Recht 211 Die Ausnahmegenehmigung ist zu erteilen. Das Ermessen des Antragsgegners ist auf Null reduziert. […] Im Rahmen der Abwägung des Nutzungsinteresses der Antragstellerin gegen das öffentliche Interesse ist auf Seiten der Antragstellerin die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG einzustellen. […] Mit dem Aufstellen des Panzerwracks bringt die Antragstellerin ihren Protest gegen den Angriff der Ukraine durch russische Streitkräfte zum Ausdruck. Das fällt in den sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Die Antragstellerin kann sich nach Art. 19 Abs. 3 GG als juristische Person des Privatrechts auf die Meinungsfreiheit berufen. Ob das Aufstellen des Panzerwracks auch vom Schutzbereich der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG erfasst ist, kann dahinstehen. Denn der Antragsgegner führt der Meinungsfreiheit gegenüber keine straßenverkehrs- oder straßenrechtlichen Belange an, die der begehrten Ausnahmegenehmigung entgegenstehen. Bei der Abwägung kann er sich nicht auf eine mögliche Verletzung des Pietätsgefühls sowie die Beeinträchtigung außenpolitischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland berufen. Diese Belange entsprechen nicht dem mit dem Verbot des § 32 StVO verfolgten öffentlichen Interesse, den Straßenverkehr gegen verkehrsfremde Eingriffe zu schützen. Ihm verbleibt auch keine Einschätzungsprärogative. Die Entscheidung über die Ausnahmegenehmigung ergeht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Dabei sind die wiederstreitenden Interessen gegeneinander abzuwägen. Ein darüberhinausgehender Beurteilungsspielraum ist weder aus dem Wortlaut, der Systematik noch der Historie der StVO ersichtlich. Zu den straßen- und straßenverkehrsrechtlichen Einwendungen im Einzelnen: Die Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs steht der Erteilung der Ausnahmegenehmigung nicht entgegen. Eine Beeinträchtigung für den Fahrzeugverkehr ist bereits ausgeschlossen, da die Fläche ohnehin nicht für den Verkehr zugänglich ist. Die Sperrung ist aufgrund der Geschehnisse in der Ukraine zur Sicherung der Botschaft der Russischen Föderation erfolgt. […] Geht man davon aus, dass das gesperrte Teilstück für den Fußgängerverkehr zugänglich ist, stellt sich das bereitete Hindernis nicht als erheblich dar. Das Panzerwrack misst 9,6 x 3,8 m. Das hier streitgegenständliche Teilstück der Schadowstraße umfasst ca. 8 x 15 m und bietet damit ausreichend Platz um auch noch Fußgängerverkehr zu ermöglichen. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass sich an den umliegenden Teilen der Mittelpromenade große Menschenmengen bilden und dadurch ein erhebliches Hindernis entsteht. Insoweit ist vor allem zu berücksichtigen, dass keine lange Verweildauer erforderlich ist, um das Panzerwrack und den damit zum Ausdruck gebrachten Protest wahrzunehmen. Ebenso hat der Antragsgegner auch keine akute Unfallgefahr aufgrund des Panzerwracks glaubhaft gemacht. Auch bei dem gewählten Standort ist nicht mit einer derartigen Ablenkungswirkung zu rechnen. Die Verkehrsteilnehmer in Berlin sind regelmäßig einer Vielzahl an Eindrücken, z.B. durch großflächige Werbeanlagen, ausgesetzt. […] Jura Intensiv Eine Gefährdung der Substanz des Straßenkörpers ist für das Teilstück der Schadowstraße nicht glaubhaft gemacht. Sie ist eine befestigte Straße. Eine eingeschränkte Belastbarkeit ist weder ersichtlich noch wird dazu vorgetragen. […] Rechtsfolge Interesse der Antragstellerin: Meinungsfreiheit Schutzwürdige gegenläufige Interessen des Antragsgegners (-) Pietätsgefühl und außenpolitische Interessen unerheblich Einschätzungs- bzw. Beurteilungsspielraum (-) Verkehrsbehinderung (-) Unfallgefahr und Ablenkungswirkung (-) Gefahr für Straßensubstanz (-) © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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