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RA Digital - 05/2019

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234 Zivilrecht

234 Zivilrecht RA 05/2019 Problem: Testamentserrichtung durch einen Notizzettel Einordnung: Erbrecht OLG Braunschweig, Urteil vom 20.03.2019 1 W 42/17 LEITSATZ 1. Auch in einem wenige Zentimeter großen handschriftlich beschriebenen Notizzettel kann grundsätzlich ein wirksames Testament liegen. 2. Der Wirksamkeit eines „Notizzetteltestaments“ steht - wenn ein anderes Testament existiert - entgegen, dass der Notizzettel nicht datiert ist und sich die notwendigen Feststellungen über die Zeit seiner Errichtung auch nicht anderweitig treffen lassen. 3. Insbesondere bei einem Schriftstück, das nicht den für Testamente üblichen Gepflogenheiten entspricht, muss außer Zweifel stehen, dass der Erblasser es mit Testierwillen erstellt hat; bei verbleibenden Zweifeln findet die Vorschrift des § 2084 BGB keine Anwendung. EINLEITUNG Gem. § 2247 I, II BGB kann der Erblasser ein Testament durch eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung errichten. Dabei soll er in der Erklärung angeben, zu welcher Zeit (Tag, Monat und Jahr) und an welchem Orte er sie niedergeschrieben hat. Für ein solches eigenhändig verfasstes Testament bedarf es keines offiziellen Formulars. Ein Notizzettel reicht daher dem Grunde nach völlig aus. Allerdings muss der Testierwille darin stets ausreichend zum Ausdruck kommen, wie der vorliegende Fall zeigt. SACHVERHALT (LEICHT ABGEWANDELT) Unter dem 28.03.2001 errichten die Erblasserin (E) und ihr Ehemann ein gemeinschaftliches privatschriftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzen. Eine Schlusserbenbestimmung enthält das Testament nicht. Die Eheleute geben das Testament in besondere amtliche Verwahrung des Amtsgerichts. Am 24.09.2013 verstirbt der Ehemann der E. Unter dem 02.06.2014 erteilt E ihrer Haushälterin A eine notarielle Vorsorgevollmacht. Unter dem 11.09.2014 und dem 06.10.2014 erstellt der Notar (N) jeweils einen Entwurf eines notariellen Testaments, in dem A zur Alleinerbin der E eingesetzt werden soll. Am 22.01.2015 stirbt die Erblasserin (E) kinderlos. Mit notarieller Urkunde vom 15.05.2015 beantragt A einen auf sie als Alleinerbin lautenden Erbschein und reicht – neben den oben genannten Testamentsentwürfen – einen nicht datierten wenige Zentimeter großen quadratischen Notizzettel mit dem folgenden handschriftlich geschriebenen Text bei dem Nachlassgericht ein: „Wenn sich für mich [Vor- und Nachname] geb. [Geburtsdatum] einer findet, der auf mich aufpasst und nicht ins Heim steckt, der bekommt mein Haus und alles was ich habe. [Unterschrift mit Vor- und Nachnamen]“ A trägt vor, der Text auf dem Zettel sei von E geschrieben worden. Es sei der Wille der E gewesen, sie zur Alleinerbin einzusetzen. Lediglich aufgrund des frühzeitigen Todes der E sei es nicht mehr zur Beurkundung des bereits entworfenen notariellen Testaments gekommen. A ist der Ansicht, der Zettel stelle ein formgültiges Testament dar, mit dem die E sie zur Alleinerbin eingesetzt habe. Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag der A mit Beschluss vom 19.04.2016 zurückgewiesen. Es könne offenbleiben, ob der handschriftliche Zettel von der Erblasserin selbst geschrieben sei, denn er stelle jedenfalls keine letztwillige Verfügung dar. In dem Text sei kein Erbe namentlich bestimmt; es sei lediglich festgelegt, welche nicht genannte Person, die noch zu bestimmen wäre, einmal Erbe werden solle. A geht weiter davon aus, Alleinerbin über das Vermögen der E geworden zu sein. Zu Recht? Jura Intensiv PRÜFUNGSSCHEMA A. Erbenstellung der A I. Testamentsentwürfe vom 11.09.2014 und 06.10.2014 II. Handschriftlich verfasster Notizzettel B. Ergebnis Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 05/2019 Zivilrecht 235 LÖSUNG A. Erbenstellung der A A wäre gem. §§ 1922, 1937 BGB Alleinerbin über das Vermögen der Erblasserin E, wenn diese sie mit Testament wirksam dazu eingesetzt hat. I. Testamentsentwürfe vom 11.09.2014 und 06.10.2014 Die Testamentsentwürfe vom 11.09.2014 und 06.10.2014 stellen keine ordentlichen Testamente i.S.d. §§ 2231 Nr. 1, 2232 S. 1 Alt. 1 BGB dar. Dabei kann dahinstehen, ob der Inhalt der Entwürfe auf einer Erklärung der Erblasserin beruht, denn keine der beiden Urkunden ist von der E und dem Notar unterschrieben worden, vgl. § 13 I 1, III 1 BeurkG. II. Handschriftlich verfasster Notizzettel Möglicherweise ergibt sich die Erbenstellung der A jedoch aus dem handschriftlich verfassten Notizzettel gem. § 2247 BGB. „[19] Der handschriftlich beschriebene Zettel erfüllt im Grundsatz die zwingenden formellen Erfordernisse des § 2247 BGB; insbesondere kann ein Testament durchaus auch auf einem „Notizzettel“ errichtet werden. Hier fehlt zwar eine Ortsangabe, insoweit bestimmt § 2247 II BGB aber nur, dass der Erblasser in der Erklärung angeben „soll“, an welchem Ort er sie niedergeschrieben hat. Fehlt die Ortsangabe, führt dies nur dann zur Unwirksamkeit, wenn sich gerade hieraus Zweifel an der Gültigkeit des Testaments ergeben, § 2247 V 2 BGB. Solche Zweifel – die etwa bei im Ausland errichteten Testamenten diskutiert werden – sind hier nicht erkennbar. [20] Die fehlende Gültigkeit ergibt sich hier aber daraus, dass der Zeitpunkt der Errichtung des ggf. in dem Zettel liegenden Testaments nicht sicher feststellbar ist und es deshalb möglich ist, dass es zeitlich vor dem gemeinschaftlichen privatschriftlichen Testament vom 28.03.2001 errichtet worden ist. [21] Gem. § 2247 II BGB soll der Erblasser in der Erklärung angeben, zu welcher Zeit (Tag, Monat und Jahr) er sie niedergeschrieben hat. Enthält ein eigenhändig errichtetes Testament keine Angabe über die Zeit der Errichtung und ergeben sich hieraus Zweifel über seine Gültigkeit, so ist das Testament gem. § 2247 V 1 BGB nur dann als gültig anzusehen, wenn sich die notwendigen Feststellungen über die Zeit der Errichtung anderweitig treffen lassen. Der genaue Errichtungszeitpunkt ist nur dann von Bedeutung, wenn ab einem bestimmten Zeitpunkt Testierfähigkeit des Erblassers nicht mehr vorlag oder wenn es beim Vorliegen mehrerer Testamente darauf ankommt, welches das spätere Testament ist. Letzteres ist hier der Fall: [22] Es ist möglich, dass die Erblasserin den nicht datierten Notizzettel zeitlich bereits vor dem gemeinschaftlichen Testament vom 28.03.2001 verfasst hat. Ein gegen eines solche zeitliche Reihenfolge sprechendes Indiz – das allein aber nicht durchgriffe – könnte allenfalls die Formulierung „mein Haus“ sein: Sofern das von der Erblasserin gemeinte Haus vor dem Tod des Ehemannes im Eigentum beider Ehegatten gestanden hätte, könnte die Formulierung „mein Haus“ darauf hindeuten, dass sie zu einem Zeitpunkt nach dem Tod des Ehemannes gewählt worden ist, in dessen Folge die Erblasserin Alleineigentümerin des Hauses geworden ist. Eine zwingende zeitliche Reihenfolge ergibt sich daraus aber nicht, denn es ist Jura Intensiv Die beiden Testamentsentwürfe stellen mangels Unterschrift der E und Notar N keine ordentlichen Testamente dar. Notizzettel als eigenhändiges Testament gem. § 2247 BGB Soll-Vorschrift § 2247 V 2 BGB Zweifel an der Gültigkeit Vorliegend kann der Errichtungszeitpunkt des Notizzettels nicht sicher festgestellt werden. Es ist nicht vollständig auszuschließen, dass er bereits vor dem gemeinschaftlichen Testament der E und ihrem Ehemann erstellt worden ist. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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