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RA Digital - 05/2020

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234 Zivilrecht

234 Zivilrecht RA 05/2020 LEITSATZ 1a. Gewohnheitsrecht kann als dem Gesetz gleichwertige Rechtsquelle allgemeiner Art nur zwischen einer Vielzahl von Rechtsindividuen und in Bezug auf eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen entstehen, nicht aber beschränkt auf ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn. (Rn 9) 1b. In einem konkreten Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn kann ein Wegerecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch außerhalb des Grundbuchs nur aufgrund schuldrechtlicher Vereinbarung oder als Notwegrecht unter den Voraussetzungen des § 917 BGB entstehen. (Rn10) 2. Die i.S.v. § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB ordnungsmäßige Benutzung eines Gewerbegrundstücks kann es nach den Umständen des Einzelfalls erfordern, dass auf dem verbindungslosen Grundstücksteil Kraftfahrzeuge be- und entladen sowie gegebenenfalls auch abgestellt werden, so dass eine Zufahrt erforderlich ist; dies setzt aber in der Regel voraus, dass das Grundstück nach seinen konkreten Verhältnissen eine gewerbliche Nutzung größeren Umfangs erlaubt. (Rn 23) Wichtiger Hinweis zum Sachverhalt: Der BGH hat wegen des Hilfsantrages zum Notweg an das OLG zurückverwiesen, weil Feststellungen dazu fehlen, ob die drei Grundstücke gewerblich benutzt werden. Wir gehen in unserer Bearbeitung deshalb von einer rein privaten Nutzung der Grundstücke aus. Problem: Begründung eines Notwegerechts durch konkrete Nutzung eines Grundstücksteils Einordnung: Sachenrecht BGH, Urteil vom 24.01.2020 V ZR 155/18 EINLEITUNG In der Aprilausgabe der RA 2020 stellten wir Ihnen, liebe Leserinnen und Lesern, auf den Seiten 176 ff. ein Urteil des OLG Koblenz vor, in welchem sich eine Klägerin gegen die Benutzung ihres Grundstücks durch einen Nachbarn wandte, der es zwecks Vornahme von Bauarbeiten befahren wollte. Die Entscheidung prüfte aus der Sicht des betroffenen Eigentümers einen Anspruch aus § 1004 I BGB. Der Schwerpunkt der Entscheidungsgründe lag bei den Duldungspflichten. Die hier vorgestellte Entscheidung des BGH behandelt einen Fall aus NRW, der ein großes Medienecho fand. Geprüft wird aus der gegenteiligen Sicht. Der Schwerpunkt der Entscheidung liegt zum einen beim Begriff des Gewohnheitsrechts und zum anderen bei den Voraussetzungen der Entstehung eines Notwegerechts. Erfahrungsgemäß werden höchstrichterliche Entscheidungen aus dem Sachenrecht von den Prüfungsämtern gerne als Vorlage für Klausuren genutzt, weil sie nicht so häufig vorkommen wie etwa Entscheidungen aus dem Kaufrecht. Dies gilt umso mehr, sofern sie neue Erkenntnisse enthalten. Es ist dringend zu empfehlen, beide Entscheidungen vor dem Examenstermin gelesen zu haben. SACHVERHALT Die Kläger (K) sind die Eigentümer dreier nebeneinander an einer öffentlichen Straße liegender Grundstücke. Die Grundstücke sind mit drei aneinandergrenzenden Häusern bebaut. Im rückwärtigen Teil dieser Grundstücke befinden sich Garagen, die baurechtlich nicht genehmigt sind. Die Beklagte (B) ist Eigentümerin von Grundstücken, auf denen sich ein Weg befindet, über den die K die Garagen und die rückwärtigen Bereiche ihrer vorne über die Straße erschlossenen Grundstücke erreichen. Eine entsprechende Nutzung des Weges wurde seit Jahrzehnten durch frühere Eigentümer und nach dem Eigentumsübergang auf die B durch diese selbst geduldet. Mit Wirkung zum 31. Dezember 2016 erklärte B gegenüber den K die „Kündigung des Leihvertrages über das zu Ihren Gunsten vor über 30 Jahren bestellte, schuldrechtliche Wegerecht“. Sie kündigte an, den Weg mit Wirkung zum 1. Januar 2017 zu sperren und begann im Dezember 2016 mit dem Bau einer Toranlage. Die K verlangen von B, die Sperrung des Weges zu unterlassen. Hilfsweise berufen sie sich auf ein Notwegrecht. Zu Recht, wenn zu unterstellen ist, dass die K ihre Grundstücke nicht gewerblich nutzen? Jura Intensiv LÖSUNG A. Ansprüche der K auf Unterlassung der Sperrung des Weges Primär verlangen die K das Unterlassen der Sperrung des Weges. Fraglich ist, ob sie einen Anspruch auf Benutzung des Weges haben. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 05/2020 Zivilrecht 235 I. Anspruch aus einem Leihverhältnis gem. § 598 BGB Sofern ein wirksamer Leihvertrag zwischen den K und der B besteht, können die K die Benutzung der Hauptleistungspflicht des Vertrages gem. § 598 BGB verlangen. [18] Eine Duldungspflicht der Beklagten ergibt sich nicht aus einem zwischen den Parteien bestehenden schuldrechtlichen Verhältnis. Als solches käme allenfalls ein Leihvertrag nach § 598 BGB in Betracht, dessen Zustandekommen das Berufungsgericht indes nicht festzustellen vermochte. Im Übrigen könnte ein solcher Leihvertrag, wenn er denn auf die Kläger und die Beklagten übergegangen wäre, jederzeit gekündigt werden; er wäre daher durch die von der Beklagten im Jahre 2016 erklärte Kündigung beendet worden. BGH, Urteil vom 16.05.2014, V ZR 181/13 Ein Anspruch aus dem Leihvertrag besteht folglich nicht. II. Anspruch aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis gem. § 242 BGB Fraglich ist, ob sich ein Anspruch auf Benutzung des Weges aus einem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis gem. § 242 BGB ergibt. Aus Treu und Glauben gem. § 242 BGB folgt für Nachbarn eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, deren Auswirkungen auf den konkreten Fall man unter dem Begriff des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zusammenfasst. Die Rechte und Pflichten von Grundstücksnachbarn haben insbesondere durch die Vorschriften der § 905 ff. BGB und die Bestimmungen der Nachbarrechtsgesetze der Länder eine ins Einzelne gehende Sonderregelung erfahren. Eine solche aus Treu und Glauben abgeleitete Pflicht zur Rücksichtnahme ist mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen Sonderregelungen eine Ausnahme und kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint. Fraglich ist, ob eine solche Ausnahme hier vorliegt. Jura Intensiv [19] Ein Nutzungsrecht lässt sich auch nicht aus dem nachbarlichem Gemeinschaftsverhältnis ableiten. Dieses wird durch die Regelung des Notwegrechts in § 917 BGB spezialgesetzlich ausgestaltet; die Norm enthält im Hinblick auf die nicht durch dingliche Rechte oder schuldrechtliche Verträge begründeten Wegerechte eine abschließende Regelung. Sind ihre tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, können sie nicht mit Hilfe des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses umgangen oder erweitert werden. Nachbarrechtliches Gemeinschaftsverhältnis Zum Begriff des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses: BGH, Urteil vom 31.01.2003, V ZR 143/02 Die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme aus Treu und Glauben ist eine Ausnahme, weil die §§ 905 ff. BGB das Nachbarrecht bereits regeln. An das Vorliegen dieser Ausnahme werden hohe Anforderungen gestellt. Zu den strengen Anforderungen zum Vorliegen einer Ausnahme vgl. BGH, Urteil vom 15.11.2013, V ZR 24/13 und Urteil vom 22.11.2016, V ZR 116/15 III. Anspruch auf Unterlassung der Wegsperrung analog §§ 1004, 1027 BGB Fraglich ist, ob sich ein Anspruch der K gegen B auf Unterlassung der Wegsperrung aus §§ 1004, 1027 BGB analog ergibt. Man könnte der Meinung sein, dass aufgrund der langjährigen Duldung der Nutzung des Grundstücks als Zufahrt zu den Garagen ein Gewohnheitsrecht der K entstanden sei, das ähnlich einer Dienstbarkeit einen Anspruch auf Duldung gewähre. Dies setzt voraus, dass man, sofern eine lang andauernde tatsächliche Übung vorliegt und zugleich die Überzeugung der beteiligten Verkehrskreise besteht, durch die Einhaltung dieser Übung bestehendes Recht zu befolgen, der Meinung ist, dass Gewohnheitsrecht auch im privaten und öffentlichen Wegerecht zur Begründung von historisch entstandenen Diese Rechtsauffassung vertrat das OLG Köln in der Berufung, auf welche die hier vorgestellte Revisionsentscheidung des BGH folgt: OLG Köln, Beschluss vom 01.06. 2018, 16 U 149/17. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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