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RA Digital - 05/2020

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266 Referendarteil:

266 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 05/2020 Begründung bei öffentlicher Bekanntgabe einer Allgemeinverfügung nicht erforderlich Materielle Rechtmäßigkeit Straßen(um)benennung als Selbstverwaltungsangelegenheit VGH Mannheim, Urteil vom 12.5.1980, I 3964/78, juris Rn 22; Urteil vom 22.7.1991, 1 S 1258/90, juris Rn 37 Faktisch keine Tatbestandsvoraussetzungen Vorgaben für die Ermessensausübung/Verhältnismäßigkeit Legitime Zwecke einer Straßenbenennung: • Ordnungs- und Erschließungsfunktion • Pflege örtlicher Tradition • Ehrung verdienter Personen Betonung des Entscheidungsspielraums der Verwaltung Subsumtion „Gemessen hieran“ ist eine typische Formulierung, um von der Darlegung der abstrakten rechtlichen Maßstäbe in die Subsumtion „einzusteigen“. Kein Ermessensausfall Vgl. VG Hannover, Urteil vom 3.3.2011, 10 A 6277/09, juris Rn 31 Kein Ermessensfehlgebrauch Kein Verstoß gegen Art. 3 I GG Ein Verstoß gegen sonstige Verfahrens- und Formvorschriften ist ebenfalls nicht ersichtlich. Insbesondere bedurfte der angefochtene Gemeinderatsbeschluss keiner Begründung, da er öffentlich bekanntgegeben wurde (vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 5 LVwVfG). Die Entscheidung zur Umbenennung der Lexerstraße hält auch in materieller Hinsicht einer nach § 114 Satz 1 VwGO begrenzten gerichtlichen Überprüfung stand. Die Entscheidung ob, wann und wie eine Gemeindestraße umbenannt werden soll, ist eine Selbstverwaltungsangelegenheit (vgl. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 71 Abs. 1 Satz 2 LV), bei deren Wahrnehmung der Gemeinde eine weitgehende Gestaltungsfreiheit zukommt, die lediglich durch den Zweck der Aufgabenzuweisung und durch die aus dem Rechtsstaatsprinzip sowie besonderen gesetzlichen Bestimmungen folgenden Grenzen jeder Verwaltungstätigkeit beschränkt wird. Zweck der Straßenbenennung ist es in erster Linie, im Verkehr der Bürger untereinander und zwischen Bürgern und Behörden das Auffinden von Wohngebäuden, Betrieben, öffentlichen Einrichtungen und Amtsgebäuden zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Neben dieser im Vordergrund stehenden Ordnungs- und Erschließungsfunktion von Straßennamen können auch die Pflege örtlicher Tradition und die Ehrung verdienter Bürger oder anderer Personen legitime Zwecke einer Straßenbenennung sein. Bei der Verfolgung dieser Zwecke hat die Gemeinde unter Beachtung der Grundsätze der Erforderlichkeit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit die für die Umbenennung sprechenden Gründe mit dem Interesse der Betroffenen an der Beibehaltung des bisherigen Straßennamens abzuwägen. Es handelt sich dabei um eine Ermessensentscheidung, die einer nur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. § 40 LVwVfG, § 114 Satz 1 VwGO); wobei das Gericht in Ansehung des Gewaltenteilungsgrundsatzes (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) insbesondere nicht sein Ermessen an die Stelle des Ermessens der Behörde setzen kann und darf. Jura Intensiv Gemessen hieran ist der angefochtene Gemeinderatsbeschluss nicht ermessensfehlerhaft. Der Gemeinderat hat von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht und die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen, insbesondere auch die des Klägers, hinreichend berücksichtigt. Es ist kein Ermessensausfall darin zu erkennen, dass die Beklagte eine Expertenkommission mit der Überprüfung und Bewertung der Freiburger Straßennamen beauftragt hat. Denn die Beklagte hat den Abschlussbericht der Kommission ihrer Entscheidung nur zugrunde gelegt, ohne sich hieran aber gebunden zu sehen. [...] Die Beklagte hat somit eigenes Ermessen ausgeübt. Es ist auch kein Ermessensfehlgebrauch zu erkennen, insbesondere kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungs- oder den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG wegen der „zeitlichen Streckung“ der Beschlussfassungen über die zwölf umzubenennenden Straßen scheidet bereits aus den von der Beklagten Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 05/2020 Referendarteil: Öffentliches Recht 267 dargelegten Gründen aus. Insoweit wird – zur Vermeidung von Wiederholungen – auf die überzeugenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug genommen (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO). Hinzu kommt, dass die Entscheidung, ob eine Straße umbenannt werden soll, eine vor allem politische ist und als solche allenfalls einer gerichtlichen Willkürkontrolle unterworfen sein kann. Die gerügte Aufspaltung in zwölf Einzelbeschlüsse erfolgte aber nicht willkürlich, sondern ist sachlich dadurch zu erklären, dass jeder Umbenennungsentscheidung ein umfangreicher Anhörungsprozess vorgeschaltet wurde, der nicht unerheblich viel Zeit und Ressourcen der Beklagten in Anspruch genommen hat. [...] Der angefochtene Beschluss ist auch verhältnismäßig. Denn er dient einem legitimen Zweck und ist zu dessen Erreichung sowohl erforderlich als auch angemessen. Der sachliche Grund für die Umbenennung der Lexerstraße besteht darin, die mit dem Straßennamen verbundene Ehrung der Person Erich Lexer rückgängig zu machen. Die Rechtsprechung anerkennt ein legitimes Umbenennungsinteresse nicht erst dann, wenn sich der Namensgeber einer Straße im Nachhinein als „unwürdig“ erweist, sondern schon dann, wenn die Gemeinde nicht in eine fortdauernde öffentliche Diskussion um das Geschichtsbild der betreffenden Person hineingezogen werden will. Auf die inhaltliche Richtigkeit der Vorwürfe und Kritik, die an dem bisherigen Namensgeber geäußert werden, kommt es danach nicht an. Vielmehr begründet schon der Umstand, dass öffentliche Kontroversen um den bisherigen Namensgeber ausgetragen werden, ein legitimes Umbenennungsinteresse. So liegt der Fall hier. Die Beklagte sah sich wiederkehrenden Beschwerden aus der Bürgerschaft im Hinblick auf konkrete Straßenbenennungen gegenüber. Dabei stand Erich Lexer sozialdarwinistisch-rassehygienischem Gedankengut nahe und war als Klinikleiter für die Zwangssterilisierung von mehr als 1.000 Menschen verantwortlich. Folglich ist die Beklagte aus sachlich nachvollziehbaren Gründen, denen der Kläger insoweit auch nichts entgegengesetzt hat, und damit willkürfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass Erich Lexer als Namensgeber untragbar sei. Jura Intensiv Die Umbenennung der Lexerstraße war zur Erreichung des legitimen Ziels der Beklagten, die Ehrung Erich Lexers rückgängig zu machen, auch erforderlich. Der Beklagten stand kein milderes und gleich wirksames Mittel zur Verfügung. Sie musste insbesondere nicht dem Wunsch von Anwohnern, von einer Umbenennung abzusehen und stattdessen ein ergänzendes Hinweisschild aufzustellen, entsprechen. Denn die mit dem Straßennamen weiterhin verbundene Ehrung Erich Lexers wäre damit nicht vollständig rückgängig gemacht worden. Zudem geht die Entscheidung der Beklagten für eine Umbenennung bzw. gegen ein bloßes Hinweisschild auf ein von der Kommission entwickeltes und von der Beklagten übernommenes, kohärentes Kategorisierungssystem zurück, das sehr genau nach dem Grad des vorwerfbaren Verhaltens differenziert. Wäre die Beklagte nun bei der Lexerstraße ohne sachlichen Grund von ihrem eigenen System abgewichen, wäre vielmehr dies mit Blick auf das Willkürverbot problematisch gewesen. Die Bezugnahme auf die Begründung des angegriffenen Bescheids ist zwar zulässig und in der Praxis auch nicht unüblich. In der Klausur sollte hiervon jedoch kein Gebrauch gemacht werden. Vgl. VG Hannover, Urteil vom 3.3.2011, 10 A 6277/09, juris Rn 69 Kein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Legitimer Zweck Darlegung der allgemeinen Grundsätze VGH München, Urteil vom 2.3.2010, 8 BV 08.3320, juris Rn 42; OVG Münster, Beschluss vom 29.10.2007, 15 B 1517/07, juris Rn 19 Beachte: Vorwürfe gegen den Namensgeber einer Straße müssen nicht berechtigt sein. Subsumtion Erforderlichkeit Hinweisschild nicht gleich effektiv wie Umbenennung © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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