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RA Digital - 05/2021

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260 Öffentliches Recht

260 Öffentliches Recht RA 05/2021 Subsumtion Nicht abschließender Charakter des § 28a I IfSG - taugliches Gegenargument? Nein, soweit ein Regelbeispiel des § 28a I IfSG einschlägig ist, ist es abschließend. Ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 28 I 1 IfSG ist nur außerhalb des Anwendungsbereichs der Regelbeispiele des § 28a I IfSG möglich. welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können, so dass sich die Normunterworfenen mit ihrem Verhalten darauf einstellen können (Vorhersehbarkeitsgebot). Mit diesen Vorgaben des Parlamentsvorbehalts in seiner Ausprägung durch Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ist die Verordnungsermächtigung des § 32 Satz 1 IfSG vorliegend lediglich dann kompatibel, wenn der Verordnungsgeber im sachlichen Anwendungsbereich des Regelbeispiels des § 28a Abs. 1 Nr. 9 IfSG nicht auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zurückgreifen darf. Wäre ein solcher Rückgriff des Verordnungsgebers auf die Generalklausel zulässig, würde gegen die drei letztgenannten Grundsätze verstoßen. Der Selbstentscheidungsvorbehalt würde verletzt, weil nicht der Gesetzgeber, sondern der Verordnungsgeber die Grenze der Regelungsbefugnis im Hinblick auf Alkoholverbote eigenständig festlegen würde. Während der Gesetzgeber die Alkoholverbote im Rahmen des § 28a Abs. 1 Nr. 9 IfSG nur an bestimmten Plätzen des öffentlichen Raums als notwendige Schutzmaßnahme ansieht, würde der Verordnungsgeber diese Verbote eigenmächtig auf den gesamten öffentlichen Raum im Rahmen des Geltungsbereichs einer Verordnung ausdehnen. Die Programmsetzungspflicht würde unterlaufen, weil sich der Verordnungsgeber über das vom Gesetzgeber vorgegebene Programm der örtlich begrenzten Alkoholverbote hinwegsetzen würde. Schließlich verstieße der Verordnungsgeber gegen das Vorhersehbarkeitsgebot, weil aufgrund des eindeutigen Wortlauts der gesetzlichen Ermächtigung des § 32 Satz 1 i.V.m. § 28a Abs. 1 Nr. 9 IfSG nicht vorhersehbar wäre, dass eine auf der Grundlage des § 32 Satz 1 erlassene Verordnung ein flächendeckendes Alkoholkonsumverbot im öffentlichen Raum beinhalten könnte.“ Diesen Überlegungen könnte aber eventuell entgegengehalten werden, dass § 28a I IfSG ausweislich seines Wortlauts („insbesondere“) nicht abschließend ist. „Zwar ist der Katalog der Regelbeispiele des § 28a Abs. 1 IfSG […] nicht als abschließend anzusehen, soweit es um Maßnahmen außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs der Regelbeispiele geht. Denn insoweit besteht keine gesetzgeberische Entscheidung, an die der Verordnungsgeber gebunden ist, und die den Rückgriff auf die Generalklausel versperrt. Vielmehr verbleibt es in den vom Gesetzgeber nicht geregelten Lebenssachverhalten bei der Anwendbarkeit der offenen Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, um den Infektionsschutzbehörden bzw. über den Verweis in § 32 Satz 1 IfSG dem Verordnungsgeber ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen zu eröffnen. Maßgeblicher Grund dafür ist, dass sich die Fülle der Schutzmaßnahmen, die bei einem Ausbruch einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht von vornherein übersehen lässt. Jedoch gilt diese Begründung für den nichtabschließenden Charakter der Regelbeispiele nicht in den Fällen, in denen ein Lebenssachverhalt – wie vorliegend das Verbot, Alkohol im öffentlichen Raum zu konsumieren – in den sachlichen Anwendungsbereich eines der in § 28a Abs. 1 IfSG genannten Regelbeispiele fällt. Denn in diesen Fällen war dem Gesetzgeber bei Erlass der Regelbeispiele im November 2020 sowohl die ausgebrochene Krankheit (COVID-19) als auch die konkrete Schutzmaßnahme bekannt und er hat sie bewusst in sein Regelungsprogramm aufgenommen. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 05/2021 Öffentliches Recht 261 Im Fall des § 28a Abs. 1 Nr. 9 IfSG hat der Gesetzgeber die Schutzmaßnahme des Verbots, Alkohol im öffentlichen Raum zu konsumieren, bewusst räumlich einschränkend normiert. Diese gesetzgeberische Wertung darf der Verordnungsgeber nicht unter Rückgriff auf die offene Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG unterlaufen. Wenn sich in der Praxis zeigen sollte, dass die räumliche Einschränkung des § 28a Abs. 1 Nr. 9 IfSG einen effektiven Infektionsschutz erheblich beeinträchtigt, müsste der Gesetzgeber aktiv werden und die Verordnungsermächtigung anpassen. Wegen des Gesetzesvorbehalts in der Ausprägung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ist dem Verordnungsgeber eine solche eigenmächtige Korrektur im sachlichen Anwendungsbereich der Regelbeispiele verwehrt. […] Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin hat der Bundesgesetzgeber bei Erlass des § 28a Abs. 1 Nr. 9 IfSG die besonderen Verhältnisse in Stadtstaaten, die ein räumlich weitergehendes Alkoholkonsumverbot erforderlich machen könnten, nicht übersehen. Vielmehr hat sich der Bundesgesetzgeber im Rahmen der Einführung des § 28a IfSG ausdrücklich mit der Situation der Stadtstaaten auseinandergesetzt und angeordnet, dass die Länder Berlin und die Freie und Hansestadt Hamburg gemäß § 28a Abs. 3 Satz 3 IfSG als kreisfreie Städte im Sinne des § 28a Abs. 3 Satz 2 IfSG anzusehen sind.“ Möglicherweise lässt sich aber noch einwenden, dass die Eingriffsintensität des Alkoholkonsumverbots im öffentlichen Raum nicht besonders hoch ist, insbesondere im Verhältnis zu anderen in § 28a I IfSG normierten Regelbeispielen. „[…] unerheblich, weil sich der Gesetzgeber mit der Maßnahme des Alkoholkonsumverbots explizit bei Erlass des Regelbeispiels des § 28a Abs. 1 Nr. 9 IfSG auseinandergesetzt und sich für ein räumlich begrenztes Verbot entschieden hat. Ob der Gesetzgeber ein flächendeckendes Alkoholkonsumverbot im öffentlichen Raum hätte treffen dürfen – wofür angesichts der recht geringen Eingriffsintensität und der übrigen Regelbeispiele, die Infektionsschutzmaßnahmen mit sehr hoher Eingriffsintensität zulassen, einiges spricht – ist irrelevant. Jedenfalls durfte der Verordnungsgeber nicht von der expliziten gesetzgeberischen Entscheidung des § 28a Abs. 1 Nr. 9 IfSG abweichen und eigenmächtig ein örtlich unbegrenztes Alkoholkonsumverbot vorsehen.“ Jura Intensiv Räumliche Ausdehnung des Alkoholkonsumverbots ist Sache des Parlamentsgesetzgebers. Besondere Situation in Stadtstaaten wie Hamburg führt zu keinem anderen Ergebnis. Geringe Eingriffsintensität ändert an abschließender Wirkung nichts. Differenziere strikt zwischen dem, was rechtlich möglich wäre, und dem, was momentan rechtlich möglich ist. Demnach handelt es sich bei § 28a I Nr. 9 IfSG um eine im Verhältnis zu § 28 I 1 IfSG abschließende Spezialregelung. II. Ergebnis Das streitgegenständliche Alkoholkonsumverbot ist bereits mangels einschlägiger Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. FAZIT Die examensrelevante Kernaussage der Entscheidung lautet: Wenn ein Regelbeispiel des § 28a I IfSG sachlich einschlägig ist, scheidet ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 28 I 1 IfSG aus - auch (und gerade) wenn die Voraussetzungen des Regelbeispiels nicht erfüllt sind. Darüber hinaus zeigt der Beschluss des OVG Hamburg sehr schön auf, welche Anforderungen aus Art. 80 I 2 GG abzuleiten sind, der wiederum lediglich eine Ausprägung des Vorbehalts des Gesetzes ist. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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