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RA Digital - 05/2022

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230 Zivilrecht

230 Zivilrecht RA 05/2022 Geschäftsgrundlage: Die Parteien gingen davon aus, dass die Nutzung der Räumlichkeiten frei von durch eine Pandemie verursachten, hoheitlichen Beschränkungen möglich sein sollte. Hätten sie dies vorhergesehen, hätten sie passende Vorsorge im Vertrag getroffen. gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens kommen würde, durch die die beabsichtigte Nutzung der Mieträume eingeschränkt wird. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte kann zudem davon ausgegangen werden, dass die Parteien den Mietvertrag mit einem anderen Inhalt abgeschlossen hätten, wenn sie bei Vertragsschluss die Möglichkeit einer Pandemie und die damit verbundene Gefahr, dass aufgrund hoheitlicher Beschränkungen die Hochzeitsfeier nicht stattfinden kann, vorausgesehen hätten. Denn es ist anzunehmen, dass redliche Mietvertragsparteien für diesen Fall das damit verbundene wirtschaftliche Risiko nicht einseitig zu Lasten des Mieters geregelt, sondern in dem Vertrag für diesen Fall eine Möglichkeit zur Anpassung vorgesehen hätten (...). Folglich liegt eine Störung der Geschäftsgrundlage vor. Störung: Die vorgesehene Nutzung der Räume wird hoheitlich untersagt. Dies ist eine Zweckvereitelung. Anerkannte Fallgruppen schwerwiegender Störungen der Geschäftsgrundlage bei Überschreiten der Opfergrenze sind: • Äquivalenzstörungen • Nachträgliche, übermäßige Leistungserschwerungen • Zweckverfehlungen • Zweckvereitelungen • offener Kalkulationsirrtum (h.M.) • gemeinsamer Eigenschaftsirrtum (str.) Risikoverteilung: Der Mieter trägt grundsätzlich das Verwendungsrisiko. Pandemien gehören aber nicht zum Verwendungsrisiko, sondern gehören zum allgemeinen Lebensrisiko, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung nicht erfasst ist. IV. Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag (normatives Element) Nur schwerwiegende Störungen können unter Berücksichtigung der Risikoverteilung und nach einer Einzelfallbetrachtung zu einer Vertragsanpassung führen. Eine schwerwiegende Störung liegt in der o.g. Zweckvereitelung (s.o.). Fraglich ist jedoch, ob es die Risikoverteilung und die Einzelfallabwägung erlaubt, den Vertrag wie von den K gewünscht anzupassen. [32] Im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter trägt grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache. Kann ein Mieter eine konkrete Veranstaltung, für die er Räumlichkeiten gemietet hat, aufgrund hoheitlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht durchführen, geht dies jedoch über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus (...). Die Gebrauchsbeschränkung an der Mietsache ist in diesem Fall Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, für die keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden kann. Durch die COVID-19-Pandemie hat sich letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung ohne eine entsprechende vertragliche Regelung nicht erfasst wird. Diese Systemkrise mit ihren weitreichenden Folgen hat vielmehr zu einer Störung der großen Geschäftsgrundlage geführt. Das damit verbundene Risiko kann regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden (...). [33] Auch wenn die mit einem pandemiebedingten Veranstaltungsverbot verbundene Gebrauchsbeeinträchtigung der Mietsache nicht allein dem Verwendungsrisiko des Mieters zugeordnet werden kann, bedeutet dies aber nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung des Vertrags hinsichtlich der Miete verlangen. [34] Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf auch in diesem Fall einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (§ 313 Abs. 1 BGB). Dabei kann eine Anpassung nur insoweit verlangt werden, als dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Das Gericht muss daher nach § 313 Abs. 1 BGB diejenigen Rechtsfolgen Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 05/2022 Zivilrecht 231 wählen, die den Parteien unter Berücksichtigung der Risikoverteilung zumutbar sind (...) und durch die eine interessengerechte Verteilung des verwirklichten Risikos bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung hergestellt wird (...). Die Anpassung darf in die Vereinbarung der Parteien nicht weiter eingreifen, als es durch die veränderten Umstände geboten ist (...). [35] Die Anwendung der Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage führt nur ausnahmsweise zur völligen Beseitigung des Vertragsverhältnisses; in aller Regel ist der Vertrag aufrechtzuerhalten und lediglich in einer den berechtigten Interessen beider Parteien Rechnung tragenden Form der veränderten Sachlage anzupassen (...). Deshalb ist nicht nur bei der Prüfung des normativen Tatbestandsmerkmals des § 313 Abs. 1 BGB, sondern auch bei der Frage, welche Form der Vertragsanpassung im konkreten Fall angemessen ist, von besonderer Bedeutung, welche Regelung die Parteien gewählt hätten, wenn sie das Ereignis, das zur Störung der Geschäftsgrundlage geführt hat, bei Vertragsschluss bedacht hätten (...). Unzumutbar ist eine Vertragsanpassung dann, wenn sie gegenüber dem ursprünglichen Vertrag zu einer Mehrbelastung einer Partei führen würde, der diese nicht wenigstens hypothetisch bei Vertragsschluss zugestimmt hätte, wenn sie die Grundlagenstörung vorausgesehen hätte (...). Hier ist zu berücksichtigen, dass B den K erfolglos Ausweichtermine angeboten hat. [41] Rechtsfehlerhaft ist dagegen, dass das Berufungsgericht nicht ausreichend in den Blick genommen hat, ob sich der Anspruch der Kläger nach § 313 Abs. 1 BGB auf Vertragsanpassung auf die von der Beklagten angebotene Verlegung der Hochzeitsfeier beschränkt, weil bereits dadurch eine interessengerechte Verteilung des Pandemierisikos bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung hergestellt werden kann. Das Berufungsgericht hat zwar eine Verlegung der Feier für nicht interessengerecht gehalten, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung aufgrund der anhaltenden COVID-19-Pandemie nicht absehbar sei, ob eine Veranstaltung mit 70 Personen in nächster Zeit durchgeführt werden könne, und es deshalb den Klägern nicht zugemutet werden könne, erneut eine Hochzeitsfeier zu planen, die letztlich wieder abgesagt werden müsse. Dabei hat es jedoch nicht angemessen berücksichtigt, dass die Beklagte den Klägern bereits am 26. März 2020 eine Vielzahl von Ausweichterminen, auch für das Jahr 2021, angeboten hat, die den Klägern eine langfristige Planung auch unter Berücksichtigung der weiteren Entwicklung des Pandemiegeschehens ermöglicht hätte. Dieses Angebot zu einer kostenlosen Umbuchung des Termins hat die Beklagte am 25. April 2020 wiederholt. Die Kläger waren jedoch zu weiteren Verhandlungen mit der Beklagten über eine angemessene Vertragsanpassung nicht bereit und haben das Angebot auf Verlegung des Termins pauschal abgelehnt. Dies zeigt, dass die Kläger an einer interessengerechten Lösung nicht interessiert waren, sondern allein eine Aufhebung des Mietvertrags erreichen und damit das Risiko der Absage der Feier einseitig auf die Beklagte verlagern wollten. Jura Intensiv Es muss eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen werden. Bei den Einzelfallbetrachtungen dürfen neben so genannten Zweckbindungen auch das Verhalten sowie das Verschulden jeder Partei in die Einzelfallabwägung miteinbezogen werden. Die Vertragsanpassung des § 313 I BGB geht dem Rücktrittsrecht aus § 313 III 1 BGB sowie dem Kündigungsrecht aus § 313 III 2 BGB grundsätzlich vor. Hier liegt die Grenze der Zumutbarkeit bei einer Vertragsanpassung. Der BGH berücksichtigt das Verhalten der K und kommt zu dem Schluss, dass es maßgeblich zum Ausfall der Feier und damit zur vollständigen Vereitelung des Zwecks des Vertrages beigetragen hat, während sich B sehr kooperativ gezeigt hat. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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