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RA Digital - 05/2022

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258 Öffentliches Recht

258 Öffentliches Recht RA 05/2022 im Ergebnis nur in der Lage, einen Wahlvorschlag der Fraktion zu initiieren, aber nicht, einen eigenen Vorschlag zur Abstimmung stellen zu lassen. An fraktionsinternen Initiativen ist der Abgeordnete ohnehin nicht gehindert. Ein unter dem Zustimmungsvorbehalt der Fraktion stehendes „begrenztes Wahlvorschlagsrecht“ geht daher ins Leere. Gleiches gilt, soweit der Antragsteller vorschlägt, den Fraktionen ein Vetorecht gegen die Vorschläge einzelner Abgeordneter einzuräumen. Auch in diesem Fall würde das Wahlvorschlagsrecht des einzelnen Abgeordneten substantiell entleert und im Ergebnis die Entscheidung über die Einbringung eines Wahlvorschlags den Fraktionen überlassen.“ Angemessenheit Geringe Eingriffsintensität: • Es geht primär nicht um politische Entscheidung, sondern um Organisationsmaßnahme • Abgeordneter kann in seiner Fraktion für seinen favorisierten Kandidaten werben • Teilnahme am Wahlakt selbst bleibt jedem Abgeordneten erhalten Relevanz des verfolgten Ziels ist hoch Demnach ist das Vorgehen des Antragsgegners erforderlich gewesen. Es muss abschließend auch noch angemessen gewesen sein, d.h. der Nutzen der Einschränkung des Rechts des A darf nicht außer Verhältnis zur Eingriffsintensität stehen. „[118] Dabei ist zunächst in Rechnung zu stellen, dass die Wahl der Stellvertreter oder Stellvertreterinnen des Bundestagspräsidenten zumindest unmittelbar keinen Gegenstand der politischen Willensbildung im engeren Sinn, sondern eine primär innerorganisatorische Angelegenheit des Parlaments betrifft. […] [119] Hinzu kommt, dass der Ausschluss des Wahlvorschlagsrechts im Plenum nicht bedeutet, dass dem Abgeordneten bei der Wahl der Stellvertreter des Bundestagspräsidenten keine Möglichkeit mehr verbliebe, auf den Wahlvorschlag seiner Fraktion Einfluss zu nehmen. Vielmehr ist es ihm unbenommen, sich innerhalb der Fraktion für den von ihm favorisierten Vorschlag einzusetzen und darauf hinzuwirken, dass die Fraktion sich diesen zu eigen macht. […] [120] Vor allem jedoch bleibt seine Mitwirkung an der Wahl selbst erhalten. Die in Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG vorgegebene Wahl des Bundestagspräsidenten und seiner Stellvertreter gibt in Verbindung mit Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG jedem Abgeordneten das Recht, an dieser Wahl teilzunehmen. Jura Intensiv [121] Der begrenzten Beeinträchtigung der Mitwirkungsbefugnisse des einzelnen Abgeordneten durch die Ausgestaltung des Vorschlagsrechts als (Fraktions-) Gruppenrecht steht ein erhebliches Interesse des Parlaments an der Absicherung der mit der „Grundmandats“-Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 2 GO-BT verfolgten Ziele einer Einbindung der Fraktionen in die Leitungsstrukturen des Deutschen Bundestages und einer Aktivierung der damit verbundenen Abstimmungs- und Koordinationsmöglichkeiten gegenüber. […]“ Somit ist der Ausschluss des Wahlvorschlagsrechts für einzelne Abgeordnete angemessen und damit verhältnismäßig, verletzt A also nicht in seinem Recht aus Art. 38 I 2 GG. FAZIT Das Urteil hat erhebliche Examensrelevanz, weil es grundsätzliche Feststellungen zur Reichweite des Art. 38 I 2 GG im Zusammenhang mit Wahlen im Bundestag enthält. Geprüft wird Art. 38 I 2 GG im Wesentlichen wie ein Grundrecht. Hier besteht allerdings die Besonderheit, dass der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine (beschränkte) Prüfung der Anwendung der GO BT vorgeschaltet ist. Das stellt eine Besonderheit im Prüfungsaufbau dar, die man kennen sollte. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 05/2022 Öffentliches Recht 259 Problem: Besetzungsrecht bzgl. Vizepräsident des Deutschen Bundestages (AfD-Entscheidung II) Einordnung: Staatsorganisationsrecht BVerfG, Beschluss vom 22.03.2022 2 BvE 9/20 EINLEITUNG Es geht weiter mit der AfD, und zwar mit der Frage, ob die AfD-Fraktion in der vergangenen Wahlperiode einen Anspruch darauf hatte, dass ein von ihr benannter Kandidat zum Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages gewählt werden musste. SACHVERHALT In seiner konstituierenden Sitzung am 24.10.2017 beschloss der 19. Deutsche Bundestag mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE sowie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Abgeordneten der Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD), der Antragstellerin (A), die Weitergeltung des bisherigen Geschäftsordnungsrechts, hierunter auch § 2 GO BT. Dieser sieht eine Wahl des Bundestagspräsidenten und seiner Stellvertreter (Vizepräsidenten) vor, wobei jede Fraktion des Deutschen Bundestages durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten ist (sog. Grundmandat). Auf Antrag aller Fraktionen legte der Bundestag außerdem die Anzahl der Stellvertreter des Präsidenten auf sechs fest. Für alle Fraktionen - bis auf A - wurden in der konstituierenden Sitzung im ersten Wahlgang die vorgeschlagenen Abgeordneten zu Stellvertretern und Stellvertreterinnen des Bundestagspräsidenten gewählt. Der von A zur Wahl vorgeschlagene Kandidat erhielt in keinem der drei Wahlgänge die erforderliche Mehrheit. Im weiteren Verlauf der Legislaturperiode schlug A fünf weitere Abgeordnete vor, die ebenfalls in keinem der jeweils durchgeführten drei Wahlgänge die erforderliche Mehrheit erzielten. A rügt eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 38 I 2 GG sowie ihres Rechts auf effektive Opposition und eine Verletzung des Grundsatzes der Organtreue. Liegt ein solcher Verstoß vor? Jura Intensiv LEITSÄTZE 1. Die Reichweite des Mitwirkungsrechts aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG wird durch die in Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG angeordnete Wahl des Bundestagspräsidenten und seiner Stellvertreter begrenzt. Das Recht einer Fraktion aus § 2 Abs. 1 Satz 2 GO-BT, im Präsidium mit mindestens einem Vizepräsidenten vertreten zu sein, steht unter dem Vorbehalt der Wahl durch die Abgeordneten. 2. Die Wahl nach Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG ist frei. Ein Recht der Fraktionen aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG auf Steuerung und Einengung der Wahl nach Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG durch prozedurale Vorkehrungen scheidet daher aus. LÖSUNG I. Verstoß gegen Art. 38 I 2 GG Es könnte ein Verstoß gegen das in Art. 38 I 2 GG verankerte sog. freie Mandat vorliegen. Das verlangt einen Eingriff in den Schutzbereich, der nicht gerechtfertigt ist. 1. Eingriff in den Schutzbereich Es muss ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 38 I 2 GG vorliegen. Fraglich ist, ob der Schutzbereich eröffnet ist, ob also Art. 38 I 2 GG der A das grundsätzliche Recht vermittelt, einen Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages zu stellen. Prüfungsaufbau wie bei den Grundrechten, weil Art. 38 I 2 GG quasi die „Grundrechte“ der Abgeordneten beinhaltet. Problem: Eröffnung des Schutzbereichs © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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