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RA Digital - 06/2016

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310 Öffentliches Recht

310 Öffentliches Recht RA 06/2016 Die Antragstellerin ist der Ansicht, die Einfügung des § 126a GO BT sei verfassungswidrig, da die gewählte Lösung wegen der größtenteils mangelnden Zuweisung spezifischer Oppositionsfraktionsrechte verfassungsrechtlich unzureichend sei. Auch und gerade eine „Kleine Opposition“ benötige einklagbare effektive Mitwirkungs- und Kontrollrechte gegenüber der Regierung und der sie tragenden Parlamentsmehrheit. Haben die Anträge Erfolg? LÖSUNG Die Anträge haben Erfolg, soweit sie zulässig und begründet sind. A. Zulässigkeit der Anträge Die Anträge sind zulässig, wenn sie die maßgeblichen Voraussetzungen des Art. 93 I Nr. 1 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG erfüllen. Voraussetzung: Rechtserhebliches Verhalten des Antragsgegners Bereits hier muss eine Differenzierung zwischen den einzelnen Anträgen erfolgen. Vom BVerfG noch nicht entschieden (vgl. BVerfGE 120, 82, 97). Ablehnung eines Gesetzentwurfs = qualifiziertes Unterlassen = tauglicher Antragsgegenstand I. Zuständigkeit des BVerfG Da sich mit dem Bundestag ein oberstes Bundesorgane und mit der Antragstellerin ein Teil dieses obersten Bundesorgans um Rechtspositionen aus dem GG streiten, ist gem. Art. 93 I Nr. 1 GG das BVerfG zuständig und nicht ein Landesverfassungsgericht. II. Beteiligungsfähigkeit Die Beteiligungsfähigkeit im Organstreitverfahren folgt aus Art. 93 I Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG. Die Antragstellerin ist als Fraktion Teil des Verfassungsorgans Bundestag. Sie ist in der GO BT mit einer Reihe von Rechten ausgestattet, z.B. §§ 4 S. 2, 6 I, 42, 44, 56, 57, 71, 76 GO BT. Folglich ist sie beteiligungsfähig. Der Bundestag ist als oberstes Bundesorgan ebenfalls beteiligungsfähig. III. Antragsgegenstand Antragsgegenstand ist im Organstreitverfahren gem. § 64 I BVerfGG eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners. Da nach § 64 I BVerfGG eine Rechtsverletzung möglich sein muss, können nur Maßnahmen oder Unterlassungen angegriffen werden, die Rechtswirkungen haben. Hinsichtlich der Einfügung des § 126a in die GO BT ist diese Anforderung erfüllt. Bzgl. der Ablehnung der streitgegenständlichen Gesetzentwürfe ist zwar grundsätzlich fraglich, ob eine bloße Untätigkeit des Gesetzgebers im Wege des Organstreitverfahrens angreifbar ist. Jura Intensiv „[60] […] Da die nach inhaltlicher Befassung erfolgende Ablehnung des Gesetzentwurfs als qualifizierte Unterlassung dem als Maßnahme zu wertenden Erlass eines Gesetzes gleichsteht, stellt sie einen zulässigen Angriffsgegenstand im Organstreitverfahren dar.“ Es liegen demnach taugliche Antragsgegenstände vor. Auch hier: Genaue Differenzierung zwischen den einzelnen Anträgen. Unproblematisch: Geltendmachung eigener Rechte IV. Antragsbefugnis Gem. § 64 I BVerfGG muss die Möglichkeit einer Rechtsverletzung bzw. -gefährdung bestehen. Diese Rechtsposition muss sich aus dem GG ergeben. Da die Beteiligten im Organstreitverfahren nicht als natürliche Personen auftreten, können sie nicht die Verletzung ihrer Grundrechte, sondern nur einen Verstoß gegen die ihnen übertragenen Organrechte geltend machen. Soweit sich die Antragstellerin auf eigene Rechte als Fraktion beruft, ist eine Verletzung von Organrechten aus Art. 38 I GG nicht ausgeschlossen, Inhaltsverzeichnis

RA 06/2016 Öffentliches Recht 311 „[64] […] indem ihr durch Einfügung des § 126a GO-BT nicht Rechte in einem Umfang eingeräumt worden sind, wie sie von Verfassungs wegen geboten gewesen wären.“ Soweit die Antragstellerin Rechte des Bundestages geltend macht, handelt es sich um einen Fall der Prozessstandschaft. Diese ist gem. § 64 I BVerfGG ausnahmsweise zulässig und für Fraktionen als organisierte parlamentarische Minderheit auch allgemein anerkannt. Problem: Prozessstandschaft „[67] Dem steht nicht entgegen, dass es sich im vorliegenden Organstreit beim Deutschen Bundestag zugleich um den Antragsgegner handelt. Die prozessstandschaftliche Geltendmachung der Rechte des Bundestages ist nicht allein dann möglich, wenn dieser die angegriffene Maßnahme oder Unterlassung gebilligt hat, sondern auch dann, wenn es sich beim Bundestag um den Antragsgegner handelt. Die in § 64 Abs. 1 BVerfGG vorgesehene Prozessstandschaft stellt den Organstreit in die Wirklichkeit des politischen Kräftespiels, in der sich Gewaltenteilung über die klassische Gegenüberstellung der geschlossenen Gewaltträger hinaus in erster Linie in der Einrichtung von Minderheitenrechten verwirklicht. Daher liegen Sinn und Zweck der Prozessstandschaft darin, der Parlamentsminderheit die Befugnis zur Geltendmachung der Rechte des Bundestages nicht nur dann zu erhalten, wenn dieser seine Rechte, vor allem im Verhältnis zu der von ihm getragenen Bundesregierung, nicht wahrnehmen will, sondern auch dann, wenn die Parlamentsminderheit Rechte des Bundestages gegen die die Bundesregierung politisch stützende Parlamentsmehrheit geltend macht. [68] Die Antragstellerin beruft sich auf einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip […], namentlich gegen die Gebote effektiver Ausübung der Opposition und wirksamer parlamentarischer Kontrolle von Regierung und Parlamentsmehrheit. [69] Bei dem vorliegend prozessstandschaftlich geltend gemachten Recht des Bundestages handelt es sich um parlamentarische Kontrollrechte, welche strukturell maßgeblich von Ausübungsmöglichkeiten durch die parlamentarische Opposition abhängig sind. Effektivität und Intensität der vom Bundestag ausgeübten Kontrolle hängen im parlamentarischen Regierungssystem von der Reichweite der parlamentarischen Minderheitenrechte und ihrer Ausgestaltung im Hinblick auf Instrumente der Kontrolle von Regierung und regierungstragender Mehrheit ab. Die parlamentarische Kontrolle ist umso effektiver, je stärker die der parlamentarischen Opposition zur Verfügung stehenden Minderheitenrechte sind. Es erscheint daher nicht als von vornherein ausgeschlossen, dass der Antragsgegner seine Kontrollrechte durch die Nichtannahme der Gesetzentwürfe […] verletzt hat.“ Jura Intensiv Ganz wichtig: Organrechte können im Wege der Prozessstandschaft auch gegen das Organ selbst geltend gemacht werden (std. Respr., vgl. BVerfGE 123, 267, 338 f.). Die Gegenauffassung sieht darin einen unzulässigen Insichprozess, weil der Antragsteller eine Selbstschädigung eines obersten Bundesorgans rügt (Jarass/Pieroth, GG, Art. 93 Rn 11 mwN.; Sachs, GG, Art. 93 Rn 47). Entscheidend für das BVerfG: Opposition soll Rechte des Bundestages auch gegenüber der Parlamentsmehrheit verteidigen können. Evtl. verletztes Organrecht des Bundestages: Effektive Kontrolle der Regierung und der Parlamentsmehrheit. Verlangt effektive Oppositionsrechte, die durch Ablehnung der Gesetzentwürfe evtl. verletzt wurden. Somit ist die Antragstellerin antragsbefugt. V. Form und Frist Die Anträge wurden form- und fristgerecht gestellt (§§ 23 I, 64 II, III BVerfGG). VI. Rechtsschutzbedürfnis Die Antragstellerin muss schließlich das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis aufweisen. Daran könnte es bzgl. der Regelung des § 126a GO BT fehlen, solange sich die Parlamentsmehrheit an die dort normierten Regeln halte. Rechtsschutzbedürfnis ist im Organstreitverfahren häufig problematisch. Inhaltsverzeichnis

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