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RA Digital - 06/2017

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310 Öffentliches Recht

310 Öffentliches Recht RA 06/2017 Vgl. EuGH, Urteil vom 11.6.2015, C-98/14, Rn 25f. Der EuGH handhabt dieses Merkmal stets großzügig. Sachlicher Schutzbereich Problem: Abgrenzung Niederlassungs- von Dienstleistungsfreiheit EuGH, Urteil vom 26.5.2016, C-48/15, Rn 39 Abgrenzung durch Schwerpunktbildung Anderes Ergebnis nicht vertretbar, da die Niederlassungsfreiheit eher abwegig ist und vom EuGH wohl nur geprüft wurde, weil Z sich darauf berufen hat. Definition „Dienstleistungsfreiheit“ Vgl. zu den unterschiedlichen Konstellationen: Leupold, JURA 2011, 762, 765 Beachte: Bei der negativen und der Korrespondenzdienstleistungsfreiheit hat das Definitionselement „vorübergehender Aufenthalt“ keine Bedeutung, weil es gem. Art. 57 III AEUV nur für die Konstellation der positiven Dienstleistungsfreiheit gilt. Persönlicher Schutzbereich Bereichsausnahme [56] Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, kann der Umstand, dass zu den Kunden auch Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten gehören, einen grenzüberschreitenden Aspekt darstellen, der bedeutet, dass die Bestimmungen des Vertrags, die die Verkehrsfreiheiten gewährleisten, Anwendung finden.“ Demnach ist ein grenzüberschreitender Sachverhalt gegeben. Weiterhin muss der sachliche Schutzbereich der Grundfreiheiten eröffnet sein. In Betracht kommen nach dem Vorbringen des Z die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV und die Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 56, 57 AEUV. „[58] Betrifft eine innerstaatliche Maßnahme sowohl die Niederlassungsfreiheit als auch den freien Dienstleistungsverkehr, prüft der Gerichtshof diese Maßnahme grundsätzlich nur im Hinblick auf eine dieser beiden Freiheiten, wenn sich herausstellt, […] eine der beiden Freiheiten der anderen gegenüber völlig zweitrangig ist und ihr zugeordnet werden kann. [60] Da der grenzüberschreitende Aspekt, der dazu führt, dass die die Verkehrsfreiheiten gewährleistenden Bestimmungen des Vertrags anwendbar sind, im Ortswechsel von in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaften Dienstleistungsempfängern liegt, ist die […] Frage im Hinblick auf Art. 56 AEUV zu beantworten.“ Ist Prüfungsmaßstab demnach die Dienstleistungsfreiheit, muss deren sachlicher Schutzbereich eröffnet sein. Der sachliche Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit ergibt sich aus Art. 56, 57 AEUV sowie aus der Abgrenzung zu den anderen Grundfreiheiten. Danach unterfallen der Dienstleistungsfreiheit alle selbständigen Tätigkeiten, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden und die Grenze zwischen den Mitgliedstaaten überschreiten. Der grenzüberschreitende Bezug kann auf unterschiedliche Art und Weise gegeben sein. Zum einen kann sich der Dienstleistungserbringer zum Dienstleistungsempfänger in einen anderen Mitgliedstaat begeben bzw. beide reisen in einen anderen Mitgliedstaat ein (sog. positive Dienstleistungsfreiheit). Zum anderen kann sich der Dienstleistungsempfänger zum Dienstleistungserbringer in einen anderen Mitgliedstaat begeben (sog. negative Dienstleistungsfreiheit). Schließlich ist es auch ausreichend, wenn nur die Dienstleistung selbst die mitgliedstaatlichen Grenzen überschreitet (sog. Korrespondenzdienstleistung). Die zahnärztlichen Leistungen werden von Z selbständig gegen Entgelt erbracht. Der grenzüberschreitende Bezug ergibt sich aus dem Umstand, dass Patienten aus anderen Mitgliedstaaten die Dienste des Z in Anspruch nehmen; es liegt also ein Fall der negativen Dienstleistungsfreiheit vor. Somit ist der sachliche Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit eröffnet. Jura Intensiv Als EU-Bürger, der in einem anderen Mitgliedstaat als seine ausländischen Patienten ansässig ist, wird Z auch in persönlicher Hinsicht von der Dienstleistungsfreiheit erfasst, vgl. Art. 56 I AEUV. Eine Bereichsausnahme nach Art. 62 i.V.m. Art. 51 I AEUV kommt nicht in Betracht. Folglich ist der Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit eröffnet. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 06/2017 Öffentliches Recht 311 II. Beeinträchtigung des Schutzbereichs Weiterhin muss eine Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Dienstleistungsfreiheit vorliegen. Mit dem Mitgliedstaat Belgien ist ein durch die Grundfreiheiten Verpflichteter tätig geworden. Da das Werbeverbot unterschiedslos für alle Zahnärzte gilt, liegt keine (offene oder versteckte) Diskriminierung vor. Es könnte sich jedoch um eine sonstige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit i.S.v. Art. 56 I AEUV handeln. „[61] Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind als Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit alle Maßnahmen zu verstehen, die die Ausübung dieser Freiheit untersagen, behindern oder weniger attraktiv machen. [63] Nationale Rechtsvorschriften, die jegliche Werbung für eine bestimmte Tätigkeit allgemein und ausnahmslos verbieten, sind geeignet, für die diese Tätigkeit ausübenden Personen die Möglichkeit einzuschränken, sich bei ihren potenziellen Kunden bekannt zu machen und die Dienstleistungen, die sie ihnen anbieten möchten, zu fördern.“ Somit beeinträchtigt das belgische Werbeverbot die Dienstleistungsfreiheit von Z. III. Rechtfertigung der Beeinträchtigung Die Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit könnte gerechtfertigt sein. „[65] Was die Rechtfertigung einer solchen Beschränkung anbelangt, können nationale Maßnahmen […] nur dann zugelassen werden, wenn mit ihnen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, wenn sie geeignet sind, dessen Erreichung zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist. [67] Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Schutz der Gesundheit eines der Ziele ist, die als zwingende Gründe des Allgemeininteresses angesehen werden können […]. [68] Ferner ist in Anbetracht der Bedeutung des Vertrauensverhältnisses, das zwischen dem Zahnarzt und seinem Patienten herrschen muss, anzunehmen, dass auch die Würde des Zahnarztberufs einen solchen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen kann. Jura Intensiv [69] Ein intensives Betreiben von Werbung oder die Wahl von Werbeaussagen, die aggressiv oder sogar geeignet sind, die Patienten hinsichtlich der angebotenen Versorgung irrezuführen, kann dem Schutz der Gesundheit schaden und der Würde des Zahnarztberufs abträglich sein, indem das Image des Zahnarztberufs beschädigt, das Verhältnis zwischen den Zahnärzten und ihren Patienten verändert und die Durchführung unangemessener oder unnötiger Behandlungen gefördert wird.“ Die Mitgliedstaaten haften für das Verhalten aller staatlichen Einrichtungen und Organe. Vgl. EuGH, Urteil vom 17.7.2008, C-500/06, Rn 32, Urteil vom 22.1.2015, C-463/13, Rn 45 In der Sache überträgt der EuGH hier die Grundsätze der „Dassonville- Rechtsprechung“ auf die Dienstleistungsfreiheit. Auch die „Keck- Rechtsprechung“ dürfte i.R.d. Dienstleistungsfreiheit anwendbar sein (vgl. Sauer, JuS 2017, 310, 313); sie bereitet hier jedoch keine Probleme, da eine Behinderung des Marktzugangs („OB“) vorliegt, und wird daher vom EuGH nicht erwähnt. Übertragung der Grundsätze der „Cassis-Rechtsprechung“ auf die Dienstleistungsfreiheit. In einer Klausur müsste vorab jedoch erörtert werden, ob der für Diskriminierungen geltende ausdrückliche Rechtfertigungstatbestand des Art. 62 i.V.m. Art. 52 I AEUV im Wege eines erst recht-Schlusses auch auf sonstige Beschränkungen anzuwenden ist (vgl. dazu Jestaedt, JURA 2006, 127, 129f.). Zwingende Allgemeininteressen: Schutz der Gesundheit und der Würde des Zahnarztes Das ist die eigentlich entscheidende Überlegung: der Patient soll durch die Werbung nicht zu unnötigen Behandlungen verleitet werden. Zur Verwirklichung dieser Ziele ist das umstrittene Werbeverbot geeignet. Fraglich ist jedoch dessen Erforderlichkeit. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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