Aufrufe
vor 6 Jahren

RA Digital - 06/2017

  • Text
  • Jura
  • Intensiv
  • Inhaltsverzeichnis
  • Verlags
  • Urteil
  • Stgb
  • Recht
  • Entscheidung
  • Anspruch
  • Vaterschaft
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

314 Öffentliches Recht

314 Öffentliches Recht RA 06/2017 In den Bundesländern, die § 47 I Nr. 2 VwGO nicht umgesetzt haben (z.B. NRW) ist nur eine inzidente Kontrolle der Satzung möglich, indem ein Antrag auf Entschädigungszahlung gestellt und nach dessen Ablehnung Klage beim zuständigen VG erhoben wird. § 47 II 1 VwGO statuiert im Wesentlichen die gleichen Anforderungen wie § 42 II VwGO. Antragsbefugnis der Fraktion unproblematisch: Art. 3 I GG Problem: Antragsbefugnis der einzelnen Fraktionsmitglieder Folgt aus dem freien Mandat (§ 35 I HGO) in seiner Ausprägung als Gleichheitssatz. Gemeinden und Städte sind Gebietskörperschaften, s. z.B. Art. 1 BayGO, § 1 IV GemO BW; § 1 II HGO, § 1 II GO NRW, § 1 III SächsGemO Kopp/Schenke, VwGO, § 61 Rn 9, § 62 Rn 14 II. Statthaftigkeit des Antrags Da die Entschädigungssatzung zu den im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften gehört, ist der Normenkontrollantrag gem. § 47 I Nr. 2 VwGO i.V.m. § 15 HessAGVwGO statthaft. III. Antragsbefugnis Die Antragsteller müssen gem. § 47 II 1 VwGO geltend machen können, durch die umstrittene Satzungsänderung oder ihre Anwendung in Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. „Für die Antragsbefugnis wird hiernach von einem Antragsteller die konkrete und substantiierte Darlegung der Möglichkeit verlangt, dass die angegriffene Norm an einem für ihre Rechtsgültigkeit beachtlichen Fehler leidet und der Antragsteller dadurch in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt wird bzw. verletzt werden wird. Die Antragstellerin zu 1) ist antragsbefugt. Denn sie wird unmittelbar durch die streitgegenständliche Regelung […] von Fraktionszuwendungen ausgeschlossen und dadurch möglicherweise in einem aus einem Gleichheitssatz herzuleitenden Teilhaberecht verletzt. Neben der Antragstellerin zu 1) sind auch die Antragsteller zu 2) bis 5) als Stadtverordnete (Gemeindevertreter) antragsbefugt. Werden bestimmte Fraktionen von Fraktionszuwendungen für ihre Geschäftsführung ausgenommen, während andere Fraktionen diese Zuwendungen weiter erhalten, so ist nicht auszuschließen, dass dies nachteilige Auswirkungen auf die Wahrnehmung des freien Mandats der Stadtverordneten in den von dem Ausschluss betroffenen Fraktionen hat, und diese Stadtverordneten dadurch in ihrem durch formale Gleichheit charakterisierten freien Mandat beeinträchtigt werden.“ Demnach sind die Antragsteller antragsbefugt. IV. Antragsgegnerin Antragsgegnerin ist gem. § 47 II 2 VwGO die Stadt Büdingen als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Jura Intensiv V. Beteiligungs- und Prozessfähigkeit Die Beteiligungs- und Prozessfähigkeit folgt für die Antragstellerin zu 1) (Fraktion) aus §§ 61 Nr. 2, 62 III VwGO und für die Antragsteller zu 2) bis 5) aus §§ 61 Nr. 1 1. Fall, 62 I Nr. 1 VwGO. Für die Stadt Büdingen als Antragsgegnerin ergibt sich die Beteiligungs- und Prozessfähigkeit aus §§ 61 Nr. 1 2. Fall, 62 III VwGO. VI. Antragsfrist Die in § 47 II 1 VwGO normierte Antragsfrist von einem Jahr ist gewahrt. Somit ist der Normenkontrollantrag zulässig. Sollten die Voraussetzungen der §§ 59, 60 ZPO nicht vorliegen, nimmt das Gericht eine Verfahrenstrennung gem. § 93 S. 2 VwGO vor, weshalb § 64 VwGO keine Zulässigkeitsvoraussetzung ist. B. Streitgenossenschaft Angesichts der Mehrzahl an Klägern liegt eine Streitgenossenschaft vor, die als einfache Streitgenossenschaft gem. § 64 VwGO i.V.m. §§ 59, 60 ZPO zulässig ist. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 06/2017 Öffentliches Recht 315 C. Objektive Klagehäufung Da mit einer Streitgenossenschaft eine Mehrzahl an Prozessrechtsverhältnissen verbunden ist, führt jede Streitgenossenschaft zugleich zu einer objektiven Klagehäufung, sodass die Voraussetzungen des § 44 VwGO erfüllt sein müssen, was hier der Fall ist. D. Begründetheit des Antrags Der Normenkontrollantrag ist begründet, wenn die Änderung der Entschädigungssatzung gegen höherrangiges Recht verstößt. Dabei wird die Satzungsänderung generell auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft (sog. objektives Beanstandungsverfahren). Rechtsgrundlage für die Änderung der Entschädigungssatzung ist § 36a IV 1 i.V.m. § 5 I 1 HGO. In formeller Hinsicht begegnet die Satzungsänderung keinen rechtlichen Bedenken. Materiell-rechtlich ist jedoch fraglich, ob sie mit Art. 3 I GG im Einklang steht. I. Ungleichbehandlung Ein Verstoß gegen Art. 3 I GG setzt zunächst eine Ungleichbehandlung voraus. Eine solche liegt vor, wenn wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird. Das ist der Fall, wenn eine Personengruppe oder Situation rechtlich anders behandelt wird als eine vergleichbare andere Personengruppe oder Situation. „Fraktionen haben [nach § 36a IV 1 HGO] zwar keinen originären Leistungsanspruch auf Gewährung finanzieller Zuwendungen zur Fraktionsgeschäftsführung, aber für den Fall, dass - wie hier - Zuwendungen von der Gemeinde gewährt werden, einen abgeleiteten (derivativen) Leistungsanspruch auf eine dem allgemeinen Gleichheitssatz genügende Teilhabe.“ Folglich wird die Antragstellerin zu 1) im Verhältnis zu den anderen Fraktionen ungleich behandelt, indem sie keine finanziellen Zuwendungen der Stadt erhält. Jura Intensiv II. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung Die Ungleichbehandlung könnte gerechtfertigt sein. Das GG verbietet nur die grundlose Ungleichbehandlung, will aber nicht eine absolute Gleichheit erzwingen. Ansonsten wäre Art. 3 II, III GG, der eine Ungleichbehandlung nur aus bestimmten Gründen verbietet, überflüssig. Gerechtfertigt ist die Ungleichbehandlung, wenn für sie ein sachlicher Grund besteht. „Die sachliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung zweier vergleichbarer Sachverhalte (Sachverhaltsgruppen oder Personengruppen) - hier von Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin - setzt zunächst voraus, dass mit der Ungleichbehandlung ein legitimes Ziel verfolgt wird. Darüber hinaus darf das Differenzierungskriterium, an das die zur Zielerreichung vorgenommene Ungleichbehandlung anknüpft, nicht unzulässig sein. Schließlich erfordert die sachliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung ein angemessenes Verhältnis zwischen Differenzierungsziel und Differenzierungskriterium, d. h. die Gründe für die Differenzierung müssen von solchem Gewicht sein, dass das Interesse der von den nachteiligen Folgen der Ungleichbehandlung Betroffenen hinter diesen Gründen zurückzustehen hat. Kopp/Schenke, VwGO, § 64 Rn 4 mwN. Die Mehrzahl an Prozessrechtsverhältnissen folgt daraus, dass jeder Antragsteller für sich die Stadt verklagt und damit auch ein eigenständiges Begehren verfolgt. Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn 112; Schübel-Pfister, JuS 2017, 416, 421 § 5 I 1 HGO: „Die Gemeinden können die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft durch Satzung regeln, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist.“ § 36a IV 1 HGO: „Die Gemeinde kann den Fraktionen Mittel aus ihrem Haushalt zu den sächlichen und personellen Aufwendungen für die Geschäftsführung gewähren.“ Merke: Art. 3 I GG vermittelt keinen Anspruch auf erstmalige Gewährung einer staatlichen Leistung. Wenn aber der Staat eine Leistung gewährt, muss er alle Betroffenen gleich behandeln. Da es sich um ein obj. Beanstandungsverfahren handelt, muss auf die Antragsteller zu 2) bis 5) nicht eingegangen werden. Keine bloße Willkürprüfung, sondern Verhältnismäßigkeitsprüfung, weil eine Ungleichbehandlung von Personen erfolgt. Der VGH geht darauf nicht näher ein, was in einer Klausur aber geboten ist (Stichworte: Willkürprüfung und „neue Formel“) (vgl. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn 493). © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats