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RA Digital - 06/2017

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316 Öffentliches Recht

316 Öffentliches Recht RA 06/2017 Legitimes Ziel: Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von staatlicher Finanzierung Das ist eine besondere Voraussetzung innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung i.R.d. Art. 3 I GG. Unzulässiges Differenzierungskriterium, da Verstoß gegen Art. 3 III 1 GG Zulässige Durchbrechung des Art. 3 III 1 GG erst, wenn eine Partei gem. Art. 21 II GG oder eine Vereinigung gem. Art. 9 II GG verboten wurde. Diese Normen sind eine abschließende Konkretisierung der „wehrhaften Demokratie“. BVerfG, RA 2017, 85 Klarstellung, dass sich durch das NPD-Urteil des BVerfG nichts geändert hat. Im Einklang mit den Ausführungen des VGH Kassel wird hier auf Art. 3 I GG abgestellt. Genauer wäre es aber, Art. 3 III 1 GG zu zitieren. Unterscheide ganz genau zwischen der Partei und der Fraktion. Mittels Streichung von Fraktionszuschüssen kann eine verfassungsfeindliche Partei nicht bekämpft werden, weil sie von diesen Zuschüssen ohnehin nichts hat. Ziel der von der Antragsgegnerin durch die Satzungsänderung bewirkten Ungleichbehandlung ist es, Parteien und Vereinigungen, deren politisches Konzept erkennbar auf die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung gerichtet ist („erkennbar verfassungsfeindlich“), nicht durch finanzielle Zuwendungen der Stadt (Gemeinde), die Teil des von diesen Gruppierungen bekämpften Staates ist, zu begünstigen. Dieses für sich genommen nicht zu beanstandende Ziel […].“ Dieses legitime Ziel darf die Antragsgegnerin nicht mittels eines unzulässigen Differenzierungskriteriums verfolgen. „Die Ungleichbehandlung knüpft zielgerichtet an eine erkennbare Verfassungsfeindlichkeit von Parteien bzw. Vereinigungen […] an und setzt sich damit in Widerspruch zu Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, wonach u. a. niemand wegen seiner politischen Anschauungen benachteiligt werden darf. Das Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG wird nach geltender Verfassungslage und einfachgesetzlichem Recht auch nicht durch die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für eine wehrhafte Demokratie wegen einer erkennbaren Verfassungsfeindlichkeit einer politischen Anschauung ohne weiteres aufgehoben. Eine verfassungsrechtlich zulässige Durchbrechung des Diskriminierungsverbots wegen politischer Anschauungen nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG zu Lasten einer Partei bzw. Vereinigung ist erst dann gegeben, wenn die erkennbare Verfassungsfeindlichkeit zu einem Parteienverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG bzw. einem Vereinigungsverbot nach Art. 9 Abs. 2 GG geführt hat. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 - hat im Hinblick auf die Verfassungsfeindlichkeit einer Partei an diesem Befund nichts geändert. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr klargestellt, dass Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm ausschließlich die Feststellung der Verfassungswidrigkeit als Rechtsfolge vorsieht. Bis zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei durch das Bundesverfassungsgericht und dem damit einhergehenden Verbot der Partei ist auch deren erkennbare Verfassungsfeindlichkeit (weiterhin) kein zulässiges Differenzierungskriterium, das unter Durchbrechung des Diskriminierungsverbots des Art. 3 Abs. 3 GG eine Ungleichbehandlung rechtfertigt.“ Jura Intensiv Demnach verstößt die Satzungsänderung schon wegen der Verwendung eines unzulässigen Differenzierungskriteriums gegen Art. 3 I GG. Sie könnte darüber hinaus aber auch ungeeignet sein. „[…] der durch Satzungsänderung herbeigeführte (Zuwendungs-) Ausschluss betrifft sowohl nach seinem Adressaten als auch nach seiner tatsächlichen Wirkung die dem staatlichen Bereich zuzurechnenden Fraktionen und nicht die dem gesellschaftlichen Bereich zuzuordnenden Parteien und Wählergruppen. Auch wenn die Fraktionen Bindeglieder zwischen den Parteien/Vereinigungen im gesellschaftlichen Bereich und der Stadtverordnetenversammlung im staatlichen Bereich sind, so sind sie doch rechtlich Gliederungen der Vertretungskörperschaft. […] Die in Rede stehenden Fraktionszuschüsse sind demgemäß zweckgebundene Zuwendungen. Sie dienen ausschließlich dazu, den sich Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 06/2017 Öffentliches Recht 317 aus der Fraktionstätigkeit ergebenden Finanzierungsbedarf für die Fraktionsgeschäftsführung, d. h. für die Bündelung und Koordinierung der Arbeit in der Stadtverordnetenversammlung und in Ausschüssen, ganz oder teilweise zu decken. Für eine Finanzierung oder sonstige Unterstützung der „hinter“ den Fraktionen stehenden Parteien oder Wählervereinigungen im gesellschaftlichen Bereich haben sie auch vor der Satzungsänderung gerade nicht zur Verfügung gestanden.“ Folglich kann die Antragsgegnerin das von ihr selbst formulierte Ziel durch die Satzungsänderung nicht erreichen, sodass die Satzungsänderung ungeeignet ist. Schließlich kann sie auch noch unangemessen sein. „Dies folgt zum einen daraus, dass der Gesichtspunkt der politischen Anschauung […] für eine Zuteilung von Fraktionszuwendungen kein sachgerechtes Merkmal ist. Denn anders als Kriterien, die sich an dem tatsächlichen oder dem erwartbaren Bedarf für die Geschäftsführung einer Fraktion orientieren, ist dieser Gesichtspunkt für die Bestimmung des durch die Fraktionszuwendungen nach deren Zweckbestimmung ganz oder teilweise zu deckenden Bedarfs ohne jede Bedeutung. Zum anderen gilt auch in diesem Zusammenhang, dass selbst eine „erkennbar verfassungsfeindliche“ politische Auffassung von gewählten Stadtverordneten Konsequenzen für deren Mandatsausübung erst nach dem Verbot der Partei oder Wählergruppe haben darf, der sie angehören.“ Mithin verstößt die Satzungsänderung unter mehreren Gesichtspunkten gegen Art. 3 I GG, steht also nicht im Einklang mit höherrangigem Recht. Damit ist der Normenkontrollantrag zulässig und begründet, hat also Erfolg. FAZIT Die Entscheidung orientiert sich zwar an der Rechtslage in Hessen, kann aber ohne Weiteres im Rahmen einer Klausur auf andere Bundesländer übertragen werden. Die Examensrelevanz der (eher seltenen) prüfungstauglichen Gerichtsentscheidungen zu Art. 3 GG ist erst jüngst wieder in einem Examenstermin bestätigt worden. Neben den inhaltlichen Ausführungen zu Art. 3 GG ist ein weiterer Schwerpunkt der Entscheidung die Klarstellung, dass allein die vom BVerfG in seiner Entscheidung vom 17.1.2017 (2 BvB 1/13) attestierte Verfassungsfeindlichkeit der NPD solange nicht zu einer Diskriminierung dieser Partei berechtigt, wie sie nicht verboten ist oder im Wege einer Verfassungsänderung eine Schlechterstellung bei der staatlichen Parteienfinanzierung erlaubt wird. Genau aus diesem Grund streben der Bundesrat und der Bundestag aktuell eine Änderung des Art. 21 GG an. Prozessual weist der Fall einige weitere kleinere Schwierigkeiten auf, die es in einer Klausur zu beachten gilt (kein Kommunalverfassungsstreit, obwohl Antragsteller(in) eine Fraktion sowie deren Mitglieder sind; Antragsbefugnis der einzelnen Fraktionsmitglieder; Streitgenossenschaft). Materiell-rechtlich sei daran erinnert, dass § 47 VwGO ein objektives Beanstandungsverfahren ist, sodass nach dem „Überspringen der Zulässigkeitshürde“ das angegriffene Gesetz nicht nur an den subjektiven Rechten der Antragsteller zu messen ist. Jura Intensiv Unzulässiges Differenzierungskriterium führt letztlich zwingend auch zur Unangemessenheit der Satzungsänderung. NRW und Berlin, 1. Examen, Termin April 2017, 2. Klausur (orientiert an BVerfG, Beschluss vom 19.7.2016, 2 BvR 470/08, RA 10/2017 sowie dargestellt in der JI App „Examenstipps“ und in den länderspezifischen Crashkursskripten) BT-Drs. 18/12100 und 18/12357: Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der staatlichen Parteienfinanzierung sowie Streichung steuerlicher Begünstigungen © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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