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RA Digital - 06/2019

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290 Zivilrecht

290 Zivilrecht RA 06/2019 Problem: Haftungsverteilung beim Fahrradunfall Einordnung: Deliktsrecht, Straßenverkehrsrecht OLG Hamm, Urteil vom 11.01.2019 9 U 81/18 LEITSATZ 1. Die Benutzung des für diese Fahrtrichtung nicht freigegebenen Radwegs auf der gegenüberliegenden linken Straßenseite, begründet ein anspruchsminderndes Mit- bzw. Eigenverschulden wegen Verstoßes gegen § 2 Absatz 4 S. 2 StVO, welches sich der Geschädigte nach § 9 StVG, § 254 Absatz 1 BGB entgegenhalten lassen muss. 2. Die vorzunehmende Haftungsverteilung gegenüber einem aus einem Grundstück auf die Straße einfahrenden Kraftfahrer rechtfertigt eine Haftung von 1/3 zu 2/3 zu Gunsten der Radfahrerin. Aus Platzgründen haben wir den Fall auf eine Anspruchsrichtung verkürzt, nämlich auf den Anspruch K gegen H. H hat das Fahrzeug nicht selbst geführt. Dies tat F (Beklagter zu 1). Dessen Haftung würde sich sowohl nach § 18 I StVG als auch nach § 823 BGB richten. Gegen die Versicherung V (Beklagte zu 3) richtet sich der Direktanspruch aus § 115 I 1 Nr. 1 VVG. Gem. § 115 I 4, 113 VVG, § 1 PflichtversG haften alle Beklagten als Gesamtschuldner. Aus Platzgründen wird ein Anspruch der K gegen H aus § 831 I BGB nicht angeprüft. EINLEITUNG Sind am Verkehrsunfall Kraftfahrzeuge und Fahrräder beteiligt, treffen bei der Ermittlung der Haftungsquoten unterschiedliche Begründungen einer zivilrechtlichen Haftung aufeinander. Während es bei der Haftung des Kfz-Halters darauf ankommt, inwieweit sich die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs verwirklicht hat, begründet beim Fahrradfahrer sein Verschulden die Haftung und mindert sein Mitverschulden seine Ansprüche. SACHVERHALT K befuhr mit ihrem Fahrrad den Radweg der I-Straße stadteinwärts entgegen der zugelassenen Fahrtrichtung. F (Beklagter zu 1) beabsichtigte aus der Einfahrt des Hauses Nr. …, in dem H (Beklagte zu 2) ihren Firmensitz hat, mit dem bei der V (Beklagte zu 3) krafthaftpflichtversicherten Kraftfahrzeug der H auf die I-Straße einzubiegen. Hierbei kam es zur Kollision mit K, die frontal von dem anfahrenden Fahrzeug erfasst worden ist. K begehrt aus § 7 I StVG von H Schadensersatz wegen erlittener Sachschäden an seinem Fahrrad sowie ein angemessenes Schmerzensgeld. Diese wendet ein, es müsse berücksichtigt werden, dass K selbst gegen die StVO verstoßen habe. Zu Recht? PRÜFUNGSSCHEMA Jura Intensiv A. Anspruch K gegen H aus § 7 I StVG B. Ergebnis LÖSUNG A. Anspruch K gegen H aus § 7 I StVG Gezeigt werden soll, wie sich die Haftung verteilt, wenn das Mitverschulden der K und die durch das Verschulden des F erhöhte Betriebsgefahr berücksichtigt werden. Die Anspruchsentstehung sowie die Ersatzfähigkeit geltend gemachter Schäden wiesen keinerlei Schwierigkeiten auf, weshalb die Darstellung sehr knapp erfolgt. I. Anspruch entstanden K könnte gegen H einen Anspruch gegen H aus § 7 I StVG haben. Indem K Körperverletzungen erlitt und sein Fahrrad beschädigt wurde, wurde eine fremde Sache beschädigt und wurden mithin von § 7 I StVG geschützte Rechtsgüter verletzt. H ist Halter eines Kraftfahrzeugs. Indem sich der Unfall während der Fahrt im Straßenverkehr ereignete, hat sich die Betriebsgefahr des Kfz im Kausalverlauf realisiert. Die Schäden aufgrund der Körperverletzung sind gem. § 11 StVG ersatzfähig, § 11 S. 2 StVG gewährt ein angemessenes Schmerzensgeld. Die Sachschäden sind gem. § 16 StVG i.V.m. § 249 II 1 BGB ersatzfähig. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 06/2019 Zivilrecht 291 II. Anspruch ausgeschlossen oder gemindert 1. Ausschluss wegen höherer Gewalt gem. § 7 II StVG Ein Ausschluss wegen höherer Gewalt kommt gem. § 7 II StVG nur in Betracht, wenn der Unfall durch ein von außen auf den Straßenverkehr einwirkendes Ereignis verursacht wurde, das nicht wegen seiner Häufigkeit hinzunehmen ist und selbst von einem Idealfahrer bei Anwendung äußerster Sorgfalt nicht mit zumutbaren, wirtschaftlich erträglichen Mitteln hätte abgewendet werden können. Der Unfall ereignete sich nicht aufgrund eines verkehrsfremden Ereignisses, weshalb die Haftung nicht gem. § 7 II StVG ausgeschlossen ist. 2. Ausschluss wegen Unabwendbarkeit gem. § 17 III StVG Auf einen Ausschluss gem. § 17 III StVG kann sich H bei einem Unfall unter Beteiligung eines nicht motorisierten Verkehrsteilnehmers nicht berufen. 3. Anspruchsminderung wegen Mitverschuldens gem. §§ 9 StVG, 25 I BGB Der Anspruch kann sich aber gem. § 9 StVG i.V.m. § 254 I BGB gemindert haben. Dies wäre der Fall, wenn aufgrund eines Mit-, bzw. eines Eigenverschuldens die Betriebsgefahr des Kfz vollständig oder teilweise zurücktreten würde. Hierbei ist einerseits zu berücksichtigen, ob sich die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der H durch einen Verstoß des F gegen die StVO erhöht hat und andererseits, ob K schuldhaft gegen ein Ge- oder Verbot der StVO verstoßen hat. [11] Für die Frage der Haftungsquote kommt es maßgeblich auf die gem. §§ 9 StVG, 254 BGB vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge an, bei der jeweils zu Lasten einer Seite nur unstreitige bzw. bewiesene Umstände berücksichtigt werden können (…) Sowohl auf Seiten der Klägerin, als auch auf Beklagtenseite ist ein sich ursächlich auswirkendes Verschulden in die Abwägung einzustellen. [12] Der Bekl. zu 1 hat fahrlässig gegen die erhöhten Sorgfaltspflichten nach § 10 S. 1 StVO verstoßen, wonach jede Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bei der Ausfahrt aus einem Grundstück auszuschließen ist. „Anderer Verkehrsteilnehmer“ ist jede Person, die sich selbst verkehrserheblich verhält, d. h. körperlich und unmittelbar auf den Ablauf eines Verkehrsvorgangs einwirkt. Darunter fällt zwar „primär“ und „insbes.“, aber nicht nur der fließende Durchgangsverkehr auf der Straße, sondern auch derjenige, der auf der anderen Straßenseite selbst ein Fahrmanöver durchführt, um vom Fahrbahnrand anzufahren Diese Sorgfalt ist daher auch gegenüber einem Radfahrer zu beachten, der den Radweg entgegen § 2 Absatz 4 S. 2 StVO entgegen der Fahrtrichtung benutzt. Ebenso bleibt ein solcher Radfahrer gegenüber einem aus einer untergeordneten Straße einbiegenden Verkehrsteilnehmer vorfahrtsberechtigt. Jura Intensiv [13] Die Kl. hat gegen § 1 Absatz 2 StVO verstoßen, weil sie entgegen § 2 Absatz 4 S. 2 StVO den Radweg auf der gegenüberliegenden linken Straßenseite benutzt hat, obwohl dieser für ihre Fahrtrichtung nicht freigegeben war, und sich in Fahrtrichtung der Kl. auf der rechten Fahrbahn ein Radweg befand. Das muss sich die Kl. als anspruchsminderndes Mit- bzw. Eigenverschulden nach § 9 StVG, § 254 Absatz 1 BGB entgegenhalten lassen. Definition der höheren Gewalt i.S.d. § 7 II StVG Kein verkehrsfremdes Ereignis Keine Anwendbarkeit des § 17 III StVG H haftet für die konkrete Realisierung der Betriebsgefahr im Kausalverlauf. Diese kann durch ein schuldhaftes Verhalten des F (Beklagter zu 1) gesteigert worden sein. Grundsätze zur Bildung der Haftungsquote bei Klage eines unmotorisierten Teilnehmers gegen den Halter eines Kfz Definition, wer „anderer Verkehrsteilnehmer“ ist, BGH, Urteil vom 25.11.1959, 4 StR 424/59 Primär: BGH, Urteil vom 15.12.2015, BGH, ZR 6/15 Insbesondere: BGH, Urteil vom 25.4.1985, BGH, III ZR 53/84 und BGH, Urteil vom 15.5.2018, VI ZR 231/17 Wichtig: Der Radfahrer, der von rechts kommt, bleibt vorfahrtsberechtigt: BGH, Urteil vom 15.07.1986, 4 StR 192/86; OLG Hamm, Urteil vom 04.08.2017, 9 U 173/16. Verstoß der K gegen § 2 IV 2 StVO © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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