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RA Digital - 06/2019

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292 Zivilrecht

292 Zivilrecht RA 06/2019 Subsumtion: K ist ein erhebliches Mitverschulden vorzuwerfen. Radfahrer, die auf dem linken Radweg fahren, müssen damit rechnen, dass sie von Kraftfahrern dort leicht übersehen werden können. Das OLG Hamm führt schulmäßig vor, wie eine Abwägung der Kausalbeiträge in der Praxis erfolgt und kommt am Ende zu einer Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3. Im Assessorexamen gehört eine Quotenbildung zur Urteilsfindung. In der ersten juristischen Prüfung wird eine korrekte Quotenbildung nicht ernsthaft erwartet. Verlangt wird aber der Nachweis des Wissens, wie eine Quote gebildet werden kann. Das Verschulden des Fahrzeugführers erhöht die Betriebsgefahr des Kfz. Dies wiegt schwerer als der Verstoß der K gegen die StVO. Deshalb kommt das Gericht zu einer Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3. Für eine Alleinhaftung ist kein Raum, weil das Verhalten der K einen schwerwiegenden Pflichtenverstoß gegen die StVO darstellt. Der Fahrzeugführer handelte nicht grob fahrlässig. Trotz der weitreichenden Folgen für K kommt es trotz erhöhter Betriebsgefahr nicht zur Alleinhaftung. K hätte bedenken müssen, dass Kraftfahrer nicht nur im Bereich einmündender untergeordneter Straßen, sondern auch bei der Ausfahrt aus einem Grundstück und dem Einbiegen auf eine Vorfahrtstraße nach rechts mit Verkehr von rechts häufig nicht rechnen. Da K verkehrswidrig den linken Radweg benutzte, hätte sie besonders vorsichtig sein müssen, um sicher zu gehen, dass F sie bemerkt hatte und das ihr zukommende Vorrecht beachten würde. [17] Im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile steht die Sorgfaltspflichtverletzung des Bekl. zu 1 wegen Verstoßes gegen § 10 S. 1 StVO im Vordergrund. Dem Verkehrsverstoß des Bekl. zu 1 ist ein erhebliches Gewicht beizumessen, denn das Ausfahren aus einem Grundstück in den öffentlichen Verkehrsraum ist nach der Straßenverkehrsordnung nur unter Beachtung der höchsten Sorgfalt erlaubt. Der Wartepflichtige ist in erster Linie dafür verantwortlich, dass Unfälle bei der Ausfahrt aus einem Grundstück vermieden werden. Er darf sich auch nicht auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der übrigen Verkehrsteilnehmer verlassen, sondern muss mit der Möglichkeit rechnen, dass diese ihrerseits gegen Verkehrsregeln verstoßen. Das Verschulden des Bekl. zu 1 wiegt daher schwerer als das Fehlverhalten der Kl., der ein – allerdings vorsätzlicher – Verstoß nach § 1 Absatz 2 StVO anzulasten ist. Die Kl. hatte keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Bekl. zu 1 sie, die sich aus der falschen Richtung mit dem Fahrrad näherte, sehen und ihr das Vorrecht gewähren werde. Ihr Verschulden ist zwar nicht gering, aber keineswegs so hoch wie die Wartepflichtverletzung des Bekl. zu 1 einzustufen. Da auf Seiten der Bekl. außerdem die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs in die Abwägung miteinzubeziehen ist, trägt nach der Wertung des Senates eine Haftungsverteilung im Verhältnis von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Bekl. der Sach- und Rechtslage angemessen Rechnung. Für die alleinige Haftung der Bekl., wie sie die Kl. mit der Berufung anstrebt, ist kein Raum. Das Verhalten der Kl. stellt sich als erheblich verkehrswidrig dar. Hierdurch hat sie die ihr als Verkehrsteilnehmerin obliegenden Pflichten verletzt, indem sie dasjenige unbeachtet gelassen hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Der objektiv grobe Pflichtverstoß der Kl. ist auch subjektiv schlechthin nicht entschuldbar. Die elementare Verkehrsregeln verletzende Fahrweise der Kl. musste sich dieser ohne Weiteres aufdrängen. Demgegenüber hat der Verkehrsverstoß des Bekl. zu 1 für die Kl. zwar weit reichende Folgen. Den Stempel der groben Fahrlässigkeit bzw. der Unverzeihlichkeit – wie es der Prozessbevollmächtigte der Kl. formuliert hat – trägt dieses Verhalten jedoch nicht. Der Bekl. zu 1 ist nicht unter bedenkenloser Zurückstellung der ihn treffenden Sorgfaltspflichten vorgegangen. Er hat sich vielmehr vorsichtig in den Straßenraum hineinzutasten versucht und zu diesem Zweck die ausdrückliche Verständigung mit einem von links auf dem Radweg herannahenden Radfahrer – dem im Ermittlungsverfahren eine schriftliche Aussage gemacht haben den Zeugen S – getroffen, der ihn auf die Straße einbiegen lassen wollte. Diese Situation verkennend hat die Kl. das Fahrzeug des Bekl. vorne passieren wollen. Jura Intensiv Der Anspruch der K gegen H ist gem. §§ 9 StVG, 254 I BGB um ein Drittel zu kürzen. B. Ergebnis K hat gegen H einen um ein Drittel gekürzten Anspruch aus § 7 I StVG auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 06/2019 Zivilrecht 293 Problem: Beseitigungsanspruch im Nachbarrecht Einordnung: Nachbarrecht, § 1004 BGB, Verjährung BGH, Urteil vom 22.02.2019 V ZR 136/18 EINLEITUNG So sehr wir Bäume benötigen und brauchen – im Nachbarrecht bilden sie eine nie versiegende Quelle an Rechtsstreitigkeiten. Im vorliegenden Fall stellten sich die Fragen, nach welcher Vorschrift des BGB ein Anspruch aus § 1004 I BGB verjährt und ob eine landesrechtliche Vorschrift eine hiervon abweichende Regelung treffen darf. SACHVERHALT Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in Baden- Württemberg. Ihre Grundstücke liegen nicht nebeneinander, sondern stoßen rechtwinklig aufeinander und umgrenzen das Grundstück eines dritten Nachbarn. Alle drei Grundstücke haben einen gemeinsamen Grenzpunkt. In der Nähe des Grenzpunkts befindet sich eine Fichte, deren Stamm nach den Feststellungen des Berufungsgerichts teilweise auf dem Grundstück der Beklagten (B) und teilweise auf dem Grundstück des dritten Nachbarn steht. Äste der Fichte ragen auf das Grundstück der Klägerin (K) herüber. Es ist davon auszugehen, dass die Beeinträchtigung nicht unerheblich ist und das Zurückschneiden auch nicht außer Verhältnis zur Beeinträchtigung steht. K verlangt von B das Zurückschneiden der Fichte dergestalt, dass Zweige und Äste nicht auf ihr Grundstück herüberragen. Es ist davon auszugehen, dass K das Herüberragen der Äste mindestens 4 Jahre lang hingenommen hat. B erhebt die Einrede der Verjährung. Zu Recht? PRÜFUNGSSCHEMA A. Ansprüche K gegen B aus § 1004 I BGB I. Anspruch entstanden II. Anspruch verjährt gem. § 214 BGB B. Ergebnis Jura Intensiv LEITSATZ Der Anspruch des Grundstückseigentümers auf Zurückschneiden herüberragender Äste aus § 1004 Absatz 1 BGB ist nicht nach § 26 Abs. 3 NRG BW unverjährbar. Er unterliegt vielmehr der regelmäßigen Verjährungsfrist nach § 199 BGB. Tipp für Referendare: Der BGH klärt im Originalurteilstext sehr ausführlich, ob die Klage deswegen unzulässig ist, weil K den dritten Nachbarn nicht in Streitgenossenschaft mitverklagt hat. Die Beklagte hatte nämlich die Ansicht vertreten, es läge ein Fall einer materiell-rechtlich notwendigen Streitgenossenschaft gem. § 62 2. Alt. ZPO vor. Der BGH erkennt hier keine notwendige Streitgenossenschaft, weil keine gemeinschaftliche Verpflichtung zum Rückschnitt des Baumes besteht. Vielmehr bestünde bei einem Grenzbaum „vertikal geteiltes Eigentum“. Jeder Eigentümer sei für den Teil des Baumes allein verkehrssicherungspflichtig, der sich jeweils auf seinem Grundstück befinde. Deshalb erachtete der BGH die Klage nur gegen B für zulässig. Anmerkung: Der Normtext von § 26 I, III NRG BW lautet: Verjährung (1) Beseitigungsansprüche nach diesem Gesetz verjähren in fünf Jahren. Sind Gehölze im Sinne des § 16 Absatz 1 Nummer 4 oder 5 betroffen, so beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre. (…) (3) Der Anspruch auf das Zurückschneiden der Hecken, auf Beseitigung herüberragender Zweige und eingedrungener Wurzeln sowie auf Verkürzung zu hoch gewachsener Gehölze ist der Verjährung nicht unterworfen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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