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RA Digital - 06/2020

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306 Nebengebiete RA 06/2020 Die Lehre vom Betriebsrisiko ist anzuwenden, falls aus beiderseits unverschuldeten betrieblich-technischen oder zwingenden rechtlichen Gründen die Erbringung der Arbeitsleistung unmöglich ist und hierfür keine einzel- oder kollektivvertragliche Regelung vorliegt. § 615 S. 3 BGB regelt das Betriebsrisiko seit der Schuldrechtsreform auch gesetzlich. Hierbei ist streitig, ob es sich um eine Rechtsgrundoder bloß um eine Rechtsfolgenverweisung handelt. Entscheidet sich der Arbeitgeber selbst – ohne behördliche Anordnung – aufgrund der Umstände, den Betrieb ganz oder teilweise einzustellen, so behält der Arbeitnehmer den Lohnanspruch (s.o.). Das sind z.B. die Fälle von Hochzeit, Beerdigung oder die kurzzeitige Pflege von nahen Angehörigen oder Kindern. Nicht hingegen Bahnstreiks oder Schneechaos, weil dies nicht in der Person des Arbeitnehmers liegt. BEHÖRDLICHE SCHLIESSUNG DES BETRIEBES Wird der Betrieb z.B. auf der Grundlage des § 28 I 1 und 2 IfSG geschlossen, weil in Bezug auf den gesamten Betrieb oder Gruppen von Arbeitnehmern des Betriebes ein Infektionsrisiko besteht, stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber nach der Schließung des Betriebes den Arbeitslohn an die Arbeitnehmer weiterzahlen muss. Fraglich ist, ob ein Fall des Betriebsrisikos gem. § 615 S. 3 BGB vorliegt. Nach der Rechtsprechung trägt der Arbeitgeber dann das Betriebsrisiko infolge behördlicher Maßnahmen, wenn das Risiko der behördlichen Maßnahme im Betrieb durch dessen besondere Art (ErfK- Preis, § 615 BGB Rn 132 [zu Sicherheitsmaßnahmen am Flughafen]) angelegt gewesen war. Entscheidend ist also, ob die Eigenart des Betriebes es mit sich bringt, dass dieser von einer behördlichen Maßnahme in besonderer Weise betroffen ist. Dies ist z.B. zu bejahen bei einem Tanzlokal, das aufgrund einer Staatstrauer für einen Tag geschlossen wird, weil dieses Risiko im Betrieb angelegt ist. Die allgemeinen Gefahrenlagen etwa durch Kriege, Unruhen und Terroranschläge stellen jedenfalls keine besonderen Risiken der Betriebsart dar. Sie beeinträchtigen nicht die Funktionsfähigkeit des Betriebes als solches. Das gilt grundsätzlich auch für Epidemien (HWK-Krause, § 615 BGB Rn 116). Ob dieser wohl zutreffenden rechtlichen Ableitung von den Gerichten gefolgt werden wird, ist jedoch keineswegs sicher. Die Betriebsrisikolehre wird von vielen sehr weitgehend zu Lasten der Arbeitgeber interpretiert; in der Corona-Krise der sichere Weg, noch mehr Arbeitsplätze zu vernichten. § 616 SATZ 1 BGB BEI BEHÖRDLICHEN VERBOTEN Nach § 616 Satz 1 BGB wird der Arbeitnehmer des Anspruchs auf die Arbeitsvergütung „nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird.“ § 616 BGB betrifft also Umstände, die in der persönlichen Sphäre des Arbeitnehmers liegen. Bestehen die objektiven Leistungshindernisse zur selben Zeit für eine Vielzahl von Arbeitnehmern gleichzeitig, so kommt § 616 Satz 1 BGB zu Gunsten der Arbeitnehmer nicht zur Anwendung. Solche objektiven Leistungshindernisse sind beispielsweise Epidemien (HWK-Krause, § 616 BGB Rn 35, 17). Jura Intensiv Übertragen auf „Corona“ bedeutet dies, dass bei auf einzelne Mitarbeiter bezogenen Tätigkeitsverboten der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 616 BGB für eine verhältnismäßig nicht geringe Zeit bestehen bleibt. Geht die Anordnung von Beginn an über eine Zeitspanne von 5 Tagen hinaus, besteht der Anspruch nicht (s.u.). Bei mehreren betroffenen Arbeitnehmern scheidet der Anspruch aus. Liegt hingegen eine „allgemeine Untersagung des Geschäftsbetriebs“ durch die Behörden vor, handelt es sich um eine nicht auf den einzelnen Arbeitnehmer beziehbaren, sondern objektiven Verhinderungsgrund. In diesem Fall besteht kein Anspruch nach § 616 BGB auf Vergütungszahlung für den Arbeitnehmer, sondern der Entschädigungsanspruch gegen den Staat nach § 56 Abs. 1 IfSG ist vorrangig. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 06/2020 Nebengebiete 307 § 616 SATZ 1 BGB UND KINDERBETREUUNG Fraglich ist, ob der Arbeitgeber wegen notwendiger Kinderbetreuung nach § 616 BGB zur Entgeltfortzahlung für eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ verpflichtet ist. Der maximale Zeitraum beträgt fünf Tage (MK-Henssler, § 616 Rn 68; Staudinger/Oetker, § 616 BGB Rn 104; HWK-Krause, § 616 Rn 42). § 616 BGB wird dabei so verstanden, dass ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nur besteht, wenn (und nicht „soweit“) der Arbeitnehmer nur vorübergehend verhindert ist (HWK-Krause, § 616 BGB Rn 37; Palandt-Weidenkaff, § 616 Rn 9). Wird z.B. die Schließung des Kindergartens sogleich z.B. für zwei Wochen erklärt, besteht von vorneherein kein Anspruch nach § 616 BGB, ohne dass es auf die anderen Voraussetzungen der Norm ankommt. Damit scheidet § 616 S. 1 BGB in der aktuellen Corona-Krise aus, weil alle hier relevanten Schließungen von Betreuungseinrichtungen von Anfang an auf über 5 Tage angelegt waren. ERKRANKUNG DES ARBEITNEHMERS Ist der Arbeitnehmer also am Corona-Virus erkrankt und ist zugleich von den Behörden nach § 31 Satz 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) ein Beschäftigungsverbot angeordnet worden, konkurriert der Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 3 EFZG mit dessen Entschädigungsanspruch infolge des Beschäftigungsverbotes nach § 56 I IfSG. Danach wird derjenige, wer als Ausscheider einer Infektion, als Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne des § 31 Satz 2 IfSG einem Verbot der Ausübung seiner Arbeitstätigkeit unterliegt, vom Staat entschädigt. Er erhält in Höhe seines Verdienstausfalles für die Dauer von sechs Wochen eine Entschädigung, die dem Arbeitsentgelt gem. § 14 SGB IV entspricht (§ 56 II und III IfSG). Der Arbeitgeber tritt in Vorleistung, ist also Auszahlstelle für den Staat (§ 56 V 1 IfSG). Die ausgezahlten Beträge werden dem Arbeitgeber auf Antrag von der zuständigen Behörde (dies sind z.B. in NRW die Bezirksregierungen) erstattet (§ 56 V 2 IfSG). Die Erstattung erfolgt aber nur auf Antrag des Arbeitgebers bzw. des Arbeitnehmers, falls der Arbeitgeber nicht in Vorleistung getreten ist (§ 56 V 3 IfSG). Wegen der öffentlich-rechtlichen Zwangswirkung geht das infektionsschutzrechtliche Beschäftigungsverbot der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vor. Dies ist der vorrangige Hinderungsgrund (MK-Müller-Glöge, § 3 EFZG Rn 10; Schaub/Linck, § 98 Rn 20a). Jura Intensiv Wenn der Kindergarten (oder die Schule) coronabedingt vorübergehend schließt, müssen die Eltern die Betreuung des Kindes selbst organisieren. Dies ist jedenfalls kein Fall, in dem ein Entschädigungsanspruch gem. IfSG in Betracht kommt. Voraussetzung für die Entgeltfortzahlung gem. § 3 EFZG ist u.a., dass die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung und damit für den Verlust des Entgeltanspruchs ist (sog. Monokausalität). Hätte der Arbeitnehmer auch ohne die Erkrankung keinen Entgeltanspruch, so kann ihm die Erkrankung nicht zu einem solchen Anspruch verhelfen. FAZIT Die aktuelle Corona-Krise ist gut geeignet, um altbekannte Rechtsfragen (Betriebs-, Wege und Wirtschaftsrisiko) in einem neuen Gewand zu prüfen. Prüflinge sollten hier fit sein. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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