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RA Digital - 06/2020

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322 Referendarteil:

322 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 06/2020 ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE Dieser Einleitungssatz ist nach einem Verweisungsbeschluss üblich. Da es für den Fall des Obsiegens wichtig ist, dass sich der vollstreckbare Inhalt eindeutig aus dem Tenor ergibt, hätte die entsprechende Klarstellung im Antrag zu 1. aufgenommen werden sollen. Hier sollte zusätzlich der Hinweis erfolgen, dass es sich um einen Kommunalverfassungsstreit handelt, gestützt auf das Organrecht der Klägerin aus § 35 I HGO (ähnliche Vorschriften zur ungestörten Mandatsausübung gibt es in den Gemeindeordnungen der übrigen Länder). § 35 I HGO: „Die Gemeindevertreter üben ihre Tätigkeit nach ihrer freien, nur durch die Rücksicht auf das Gemeinwohl bestimmten Überzeugung aus und sind an Aufträge und Wünsche der Wähler nicht gebunden.“ § 60 I HGO: „Die Gemeindevertretung regelt ihre inneren Angelegenheiten, wie die Aufrechterhaltung der Ordnung. [...] durch eine Geschäftsordnung. Die Geschäftsordnung kann für Zuwiderhandlungen gegen ihre Bestimmungen Geldbußen bis zum Betrage von fünfzig Euro, bei mehrmals wiederholten Zuwiderhandlungen, [...] den Ausschluss auf Zeit, längstens für drei Monate, vorsehen. Über diese Maßnahmen entscheidet die Gemeindevertretung.“ „Die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit für das vorliegende Klageverfahren ergibt sich aus dem gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG für das Verwaltungsgericht Gießen bindenden Verweisungsbeschluss des Landgerichts C-Stadt vom 24.05.2018. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat nach gerichtlichem Hinweis klargestellt, dass der Unterlassungsklageantrag dahingehend zu verstehen sei, dass sich der Antrag auf die Anrede der Klägerin durch die Beklagte sowohl innerhalb als auch außerhalb von Sitzungen der A.-Stadtverordnetenversammlung beziehe. Die so verstandene Klage hat keinen Erfolg. Soweit die Klägerin die Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerung durch die Beklagte im Rahmen von Sitzungen der A.-Stadtverordnetenversammlung begehrt, ist die als Leistungsklage statthafte Klage bereits unzulässig. Der Klägerin mangelt es insoweit am Rechtsschutzbedürfnis. Zur Ahndung von Äußerungen von Gemeindevertretern gegenüber anderen Gemeindevertretern in einer Sitzung der Gemeindevertretung sieht das hessische Kommunalverfassungsrecht in § 60 HGO sowie den entsprechenden Regelungen in der Geschäftsordnung der jeweiligen Gemeindevertretung (hier: §§ 41 ff. der Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung A-Stadt vom 24.10.1991 in der Fassung der 4. Änderung vom 25.06.2009 – GO StaVO) ein eigenständiges internes Verfahren vor, in dem überprüft werden kann, ob Äußerungen eines Gemeindevertreters sitzungsordnungsrechtlich relevant und möglicherweise zu sanktionieren sind, und das vor Erhebung einer Ehrschutzklage erfolglos durchzuführen ist. Äußerungen, die die persönliche Ehre eines Gemeindevertreters tangieren, beeinträchtigen das aus § 35 HGO folgende Recht dieses Gemeindevertreters auf (ungestörte) Mandatsausübung. Derartige Äußerungen können nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles und unter Abwägung mit dem organschaftlichen Äußerungsrecht des anderen Stadtverordneten, welches wiederum aus dessen Recht auf Mandatsausübung herrührt, ein Verstoß gegen die „Ordnung“ bzw. ein „ungebührliches Verhalten“ im Sinne von § 60 HGO bzw. § 41 f. GO StaVO darstellen. Wird der Vorsitzende der Gemeindevertretung – wie vorliegend – nicht von selbst sitzungsordnungsrechtlich tätig, kann ein Gemeindevertreter, der sich durch die Äußerung eines anderen Gemeindevertreters in seinen Organrechten verletzt sieht, das nach der Geschäftsordnung der jeweiligen Gemeindevertretung vorgesehene sitzungsordnungsrechtliche Verfahren durch einen entsprechenden Antrag beim Vorsitzenden der Gemeindevertretung initiieren. Erst wenn dieses Verfahren erfolglos durchführt worden ist – etwa dadurch, dass der Vorsitzende der Gemeindevertretung entsprechende Maßnahmen ablehnt –, kann der Gemeindevertreter um verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz nachsuchen. Eine andere Sichtweise würde dazu führen, dass die kommunalverfassungsrechtlichen Regelungen zur Aufrechterhaltung der Sitzungsordnung umgangen werden könnten. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 06/2020 Referendarteil: Öffentliches Recht 323 Dies wäre aber mit der in § 60 Abs. 1 HGO gesetzlich ausdrücklich angeordneten Berechtigung bzw. Verpflichtung der Gemeindevertretung zur autonomen Regelung ihrer inneren Angelegenheiten nicht vereinbar. Vorliegend wurde das in der Geschäftsordnung der A.-Stadtverordnetenversammlung vorgesehene sitzungsordnungsrechtliche Verfahren nicht erfolglos durchgeführt. Nachdem der Stadtverordnetenvorsteher in der Sitzung der A.-Stadtverordnetenversammlung am 28.09.2016 im Zuge der streitgegenständlichen Äußerung der Beklagten von sich aus keine sitzungsordnungsrechtlichen Maßnahmen veranlasst hatte, hätte die Klägerin die Möglichkeit gehabt, dem Stadtverordnetenvorsteher gegenüber die Verhängung einer derartigen Maßnahme zu beantragen. Dies hat die Klägerin jedoch nicht getan. Demgemäß ist es ihr nunmehr verwehrt, unter Umgehung des in der Geschäftsordnung geregelten Verfahrens direkt verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz zu suchen. Die Kammer lässt im Übrigen ausdrücklich offen, ob für den Fall, dass das sitzungsordnungsrechtliche Verfahren erfolglos abgeschlossen wäre, das vorliegend geltend gemachte Unterlassungsbegehren gegenüber der Beklagten überhaupt rechtlich gangbar wäre. So wäre etwa denkbar, dass etwaige Ansprüche vorrangig gegenüber dem Vorsitzenden der Gemeindevertretung bzw. Stadtverordnetenversammlung geltend zu machen sind. Soweit die Klägerin die Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerung durch die Beklagte außerhalb von Sitzungen der A.-Stadtverordnetenversammlung begehrt, ist die als Leistungsklage statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage unbegründet. Die Klägerin hat insoweit keinen Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerung aus § 1004 BGB. Zwar würde eine entsprechende Äußerung der Beklagten gegenüber der Klägerin außerhalb der Stadtverordnetenversammlung die Klägerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG beeinträchtigen. Gleichwohl mangelt es diesbezüglich an der erforderlichen Beeinträchtigungsgefahr, hier in Form einer Erstbegehungsgefahr. Im vorliegenden Fall bedarf es zwar nicht einer Wiederholungsgefahr, die aufgrund der Äußerung der Beklagten innerhalb der Sitzung der A.-Stadtverordnetenversammlung am 28.09.2016 indiziert wäre. Denn bei der in dieser Sitzung getätigten Äußerung wurde gerade nicht in das – ihr als natürliche Person zustehende – allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, sondern in ihr – als Organ zustehende – Recht auf Mandatsausübung eingegriffen. Allerdings vermag das Gericht die erforderliche Erstbegehungsgefahr nicht zu erkennen. Jura Intensiv Erstbegehungsgefahr besteht, wenn eine erste Verletzungshandlung ernsthaft und greifbar zu befürchten ist, bzw. als unmittelbar bevorstehend droht; die Behauptung einer bloßen Möglichkeit des Eingriffs reicht nicht aus, selbst wenn die Übernahme einer vertraglichen Unterlassungsverpflichtung abgelehnt wurde. Zwar mag aufgrund der Äußerung der Beklagten in der Sitzung der A.-Stadtverordnetenversammlung am 28.09.2016 eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dass sie die Äußerung auch außerhalb von Sitzungen gegenüber der Klägerin tätigt. Ernsthaft zu befürchten ist dies indes nicht. In der mündlichen Vgl. zu einem verfassungsrechtlichen Organstreitverfahren BVerfG, Beschluss vom 17.9.2019, 2 BvE 2/18, juris Subsumtion Hierbei handelt es sich um einen zivilrechtlichen Anspruch, über den das Verwaltungsgericht nach dem bindenden Verweisungsbeschluss gemäß § 17 II 1 GVG auch zu befinden hat! Da die Frage, ob die Äußerung eine Ehrverletzung darstellt, hier nicht entscheidungserheblich ist, weil der Anspruch an der Erstbegehungsgefahr scheitert, hätte sie auch offen gelassen werden können. Differenzierung zwischen der Stellung der Klägerin als natürliche Person und als Mandatsträgerin. Definition „Erstbegehungsgefahr“ vgl. Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 1004 Rn. 95 m.w.N. Subsumtion © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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