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RA Digital - 06/2021

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310 Öffentliches Recht

310 Öffentliches Recht RA 06/2021 mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten. Die Schonung künftiger Freiheit verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten. Konkret erfordert dies, dass frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert werden, die für die erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung bieten und diesen ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln. 5. Der Gesetzgeber muss die erforderlichen Regelungen zur Größe der für bestimmte Zeiträume insgesamt zugelassenen Emissionsmengen selbst treffen. Eine schlichte Parlamentsbeteiligung durch Zustimmung des Bundestags zu Verordnungen der Bundesregierung kann ein Gesetzgebungsverfahren bei der Regelung zulässiger Emissionsmengen nicht ersetzen, weil hier gerade die besondere Öffentlichkeitsfunktion des Gesetzgebungsverfahrens Grund für die Notwendigkeit gesetzlicher Regelung ist. […] Differenzierung: Einschränkungen der Emissionen bis 2030 und ab 2031 Schutzgewähranspruch aus Art. 2 II 1 GG Schutzgewähranspruch aus Art. 14 I 1 GG Mögliche Verletzung der Schutzpflichten LÖSUNG Die Verfassungsbeschwerden haben Erfolg, soweit sie zulässig und begründet sind. A. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden I. Zuständigkeit des BVerfG Die Zuständigkeit des BVerfG ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 I BVerfGG. II. Beschwerdefähigkeit Die Beschwerdeführenden müssen beschwerdefähig sein. Beschwerdefähig ist gem. Art. 93 I Nr. 4a GG jedermann, d.h. zumindest jede natürliche Person. Somit sind die Beschwerdeführenden beschwerdefähig. III. Prozessfähigkeit Die Beschwerdeführenden sind prozessfähig. Das gilt auch für die minderjährigen Beschwerdeführenden, die gesetzlich vertreten sind. IV. Beschwerdegegenstand Gem. Art. 93 I Nr. 4a GG muss sich die Verfassungsbeschwerde gegen einen Akt öffentlicher Gewalt richten. Darunter ist jedes Verhalten der Legislative, Exekutive und Judikative zu verstehen, vgl. §§ 93 I, III, 95 II, III BVerfGG. Die angegriffenen Bestimmungen des KSG stellen einen Akt der Legislative dar und sind somit ein tauglicher Beschwerdegegenstand. V. Beschwerdebefugnis Gem. Art. 93 I Nr. 4a GG müssen die Beschwerdeführenden beschwerdebefugt sein. Das bedeutet, nach ihrem substanziierten Vorbringen muss die Möglichkeit bestehen, dass sie durch den angegriffenen Beschwerdegegenstand in einem ihrer Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt sind. Darüber hinaus müssen sie auch selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein. Jura Intensiv 1. Regelungen bis 2030 Die Beschwerdeführenden könnten einerseits durch die Regelungen über die bis 2030 zulässigen Treibhausgasemissionen in ihren Grundrechten verletzt sein. „[99] Die Beschwerdeführenden könnten in ihrem grundrechtlichen Anspruch auf Schutz aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt sein. Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schließt den Schutz vor Beeinträchtigungen durch Umweltbelastungen ein. Das gilt auch für Gefahren, die der Klimawandel für das menschliche Leben und die Gesundheit verursacht. […] [100] Soweit die Beschwerdeführenden Eigentümer der nach ihren Darlegungen vom Klimawandel bedrohten Grundstücke sind, kommt außerdem eine Verletzung der Schutzpflicht des Gesetzgebers für das Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG in Betracht. [102] Mit den grundrechtlichen Schutzpflichten unvereinbar sein könnten § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2. Der Gesetzgeber könnte mit diesen Vorgaben bis zum Jahr 2030 zu große Mengen an CO2-Emissionen zugelassen haben, was zum weiteren Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 06/2021 Öffentliches Recht 311 Klimawandel beitragen und damit die Gesundheit, zum Teil sogar das Leben, und das Eigentum der Beschwerdeführenden gefährden würde. [108] Die Beschwerdeführenden sind durch die Regelungen über die bis 2030 zulässigen Treibhausgasemissionen […] gegenwärtig in eigenen Grundrechten betroffen. Die durch anthropogene Treibhausgasemissionen verursachte Erderwärmung ist nach heutigem Stand zu weiten Teilen unumkehrbar, und es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Klimawandel noch zu Lebzeiten der Beschwerdeführenden so voranschreitet, dass deren durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechte beeinträchtigt werden. Der Möglichkeit eines Verfassungsverstoßes kann hier nicht mit dem Hinweis entgegnet werden, das Risiko eines künftigen Schadens stelle nicht schon gegenwärtig einen Schaden und mithin keine Grundrechtsverletzung dar. Auch Regelungen, die erst im Laufe ihrer Vollziehung zu einer nicht unerheblichen Grundrechtsgefährdung führen, können selbst schon mit dem Grundgesetz in Widerspruch geraten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der einmal in Gang gesetzte Verlauf nicht mehr korrigierbar ist.“ Weiterhin sind die Beschwerdeführenden auch selbst und unmittelbar betroffen. Darüber hinaus können sie sich möglicherweise auch auf Art. 20a GG berufen. „[112] Art. 20a GG enthält […] keine subjektiven Rechte. […] So steht Art. 20a GG außerhalb des Grundrechtsteils der Verfassung. Auch in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, der die mit der Verfassungsbeschwerde als verletzt rügbaren Rechte aufzählt, wird Art. 20a GG nicht genannt.“ 2. Regelungen ab 2031 Darüber hinaus könnten die ab dem Jahr 2031 drohenden Beschränkungen, die notwendig sind, um die Klimaschutzziele doch noch zu erreichen, die Beschwerdebefugnis begründen. Jura Intensiv „[117] Die Beschwerdeführenden könnten in ihren Freiheitsrechten verletzt sein, weil das Klimaschutzgesetz erhebliche Anteile der durch Art. 20a GG gebotenen Treibhausgasminderungslasten auf Zeiträume nach 2030 verschiebt. Weitere Reduktionslasten könnten dann so kurzfristig zu erbringen sein, dass dies (auch) ihnen enorme Anstrengungen abverlangte und ihre grundrechtlich geschützte Freiheit umfassend bedrohte. […] Freiheit ist vom Grundgesetz vollständig durch spezielle Grundrechte, jedenfalls aber durch die in Art. 2 Abs. 1 GG als dem grundlegenden Freiheitsrecht verbürgte allgemeine Handlungsfreiheit geschützt. […] [130] Die beschriebene Gefahr künftiger Freiheitsbeschränkungen begründet gegenwärtig eine Grundrechtsbetroffenheit, weil diese Gefahr im aktuellen Recht angelegt ist. Freiheitsausübungen, die direkt oder indirekt mit CO2-Emissionen verbunden sind, sind nach 2030 gerade dadurch bedroht, dass § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 Treibhausgasemissionen bis 2030 in einem möglicherweise zu hohen Umfang zulassen. Soweit damit das CO2-Restbudget aufgezehrt wird, ist dies unumkehrbar, weil CO2-Emissionen der Erdatmosphäre nach heutigem Stand nicht in großem Umfang wieder entnommen werden können. […] Problem: Gegenwärtige Betroffenheit, da es um zukünftige Klimaentwicklungen geht Klimawandel findet bereits heute statt und ist ohne Gegenmaßnahmen nicht mehr korrigierbar Begründet auch Art. 20a GG die Beschwerdebefugnis? Nein Arg.: Systematische Stellung und Wortlaut des Art. 93 I Nr. 4b GG Konsequenz: Umweltverbände als „Anwälte der Natur“ sind nicht beschwerdebefugt (vgl. Rn 136 f. der Entscheidung). Drohende „Vollbremsung“ ab 2031 Verlagerung der Lasten in die Zukunft könnte Art. 2 I GG bzw. spezielle Freiheitsgrundrechte verletzen. Gegenwärtige Betroffenheit CO2-Verbrauch ist unumkehrbar, es wird quasi jetzt schon ein zur großer Schluck aus der „CO2-Flasche“ genommen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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