290 Zivilrecht RA 06/2022 ORIENTIERUNGSSATZ 1. Vereinbaren die Parteien eines Miet- oder Pachtvertrages ein nach Zeitabschnitten bemessenes Entgelt (hier: monatlich) und beginnt das Vertragsverhältnis inmitten eines laufenden Zeitabschnitts (hier: 11. Kalendertag des Monats), so ist anzunehmen, dass für den laufenden Zeitabschnitt ein nach der noch übrigen Zeit anteilig bemessenes Entgelt geschuldet ist, sofern die sonstigen Absprachen und Umstände keine andere Deutung gebieten. 2. Ein Rechtsmangel im Sinne des § 536 Abs. 3 BGB ist anzunehmen, wenn das Recht eines Dritten einem vertragsgemäßen Gebrauch der Sache entgegensteht und dieses Recht in einer Weise geltend gemacht wird, dass es sich einschränkend auf die Möglichkeit tatsächlichen Gebrauchs auswirkt, wobei die Androhung von Besitzentziehungsmaßnahmen ausreicht. 3. Im Falle einer subjektiven rechtlichen Unmöglichkeit der Gebrauchsüberlassung wegen entgegenstehender Rechte Dritter ist ab tatsächlicher Gebrauchüberlassung die Vorschrift des § 536 Abs. 3 BGB speziell gegenüber allgemeinen Vorschriften, insbesondere gegenüber den §§ 275, 326, 119 BGB. 4. Für die über ein Rechtsgeschäft aufgenommenen Urkunden besteht die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit; es wird also vermutet, dass das, was im beurkundeten Text steht, der Vereinbarung entspricht und nur das vereinbart ist. Die Partei, die sich auf außerhalb der Urkunde liegende Umstände – sei es zum Nachweis eines vom Urkundstext abweichenden übereinstimmenden Willens der Beteiligten, sei es zum Zwecke der Deutung des Inhalts des Beurkundeten aus der Sicht des Erklärungsempfängers (§§ 133, 157 BGB) – beruft, trifft die Beweislast für deren Vorliegen. Diese Grundsätze gelten nicht nur bei formbedürftigen Rechtsgeschäften, sondern auch dann, wenn die Parteien zu Beweiszwecken ein nicht formbedürftiges Rechtsgeschäft urkundlich fixieren. Problem: Abgrenzung von Rechtsmängeln zur Unmöglichkeit im Mietrecht Einordnung: Mietrecht AG Hamburg, Urteil vom 29.04.2022 48 C 305/21 EINLEITUNG Das Urteil des AG Dortmund vom 19.06.2018, 425 C 376/18, das wir in der RA 10/2018 auf Seite 513 vorstellten, nahm Bezug auf das Urteil des BGH vom 20.07.2016, VIII ZR 263/14, in welchem der BGH die Grundsätze zur Kautionsrückzahlungspflicht im Mietrecht ausführte. Einen gesetzlichen Anspruch auf Kautionsrückzahlung kennt das BGB nicht. Er folgt aus der Kautionsabrede selbst. Dies gilt auch für Pachtverhältnisse. SACHVERHALT B ist Pächterin einer mit einer Holzhütte bebauten Kleingartenzelle eines Kleingartenvereins (e.V.). Sie schloss mit der K am 11.09.2021 eine „Private Vereinbarung“ zur Überlassung der Parzelle vom 11.09.2021 bis zum 31.12.2021 an K zur alleinigen Nutzung gegen Zahlung von „monatlich 500,- €“. In der Vereinbarung heißt es weiter auszugsweise: „Der Aufenthalt kann in Abstimmung [...] auf unbestimmte Zeit verlängert werden.“ K leistete vereinbarungsgemäß eine Kaution in Höhe von 1.000 €. Weitere Zahlungen leistete sie nicht. Am 24.09.2021 fand ein Telefonat zwischen K und dem 1. Vorsitzenden des e.V. statt. Am 29.09.2021 folgte ein Gespräch zwischen K und dem Vorstand des e.V. Am 04.10.2021 erklärte K per E-Mail der B die Kündigung des Unterpachtvertrages. Ferner erklärte sie dessen Anfechtung wegen arglistiger Täuschung mit der unbewiesenen Behauptung, B habe gewusst, dass die Überlassung der Pachtzelle verboten sei, habe aber dennoch den Vertrag abgeschlossen. Sie forderte die B zur Rückzahlung der Kaution auf. Hiergegen erklärte B die Aufrechnung mit den Entgeltforderungen für die Überlassung in Höhe von jeweils 500,- € für die Monate September und Oktober 2021. K widerspricht der Aufrechnung mit dem Vortrag, erstens habe sie die Pachtzelle nie in Besitz genommen, zweitens habe für September aufgrund einer mündlichen Nebenabrede keine Zahlungspflicht bestanden und drittens habe man ihr seitens des Vorstandes bereits im September verboten, die Pachtzelle zu betreten. B behauptet wiederum, der Vereinsvorstand habe der kurzzeitigen Nutzungsüberlassung zugestimmt. Ferner habe eine Nebenabrede mit K bestanden, wonach das Entgelt durch Ableistung von Arbeiten auf der Pachtzelle abgegolten sein sollte. Zu Recht? Jura Intensiv LÖSUNG A. Anspruch der K gegen B auf Rückzahlung der Kaution Eine gesetzliche Pflicht zur Zahlung einer Miet- oder Pachtkaution regelt das BGB nicht. K könnte jedoch gegen B einen Anspruch auf Freigabe der Kaution aus der Kautionsabrede des Mietvertrages, bzw. Pachtvertrages haben. Eine Kautionsabrede sieht vor, dass dem Mieter, der eine Mietsicherheit geleistet hat, nach Beendigung des Mietverhältnisses und Ablauf einer angemessenen Prüfungsfrist des Vermieters ein Anspruch auf Freigabe der Sicherheit zusteht. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 06/2022 Zivilrecht 291 I. Anspruch entstanden Voraussetzung hierfür wäre das Vorliegen eines Pachtvertrages gem. §§ 581, 535 BGB in den diese Abrede einbezogen worden ist. Ferner muss das Vertragsverhältnis beendet sein und darf kein Sicherungsbedürfnis des Vermieters mehr bestehen. 1. Wirksamer Vertrag mit Kautionsabrede Dem am 11.09.2021 geschlossenen Vertrag, der die benötigte Kautionsabrede enthielt, könnte die am 04.10.2021 erklärte Anfechtung entgegenstehen. Im Falle einer wirksamen Anfechtung seitens K wäre der Vertrag gem. § 142 I BGB nichtig. K hat sich auf den Anfechtungsgrund der arglistigen Täuschung gem. § 123 I 1. Alt. BGB berufen. Ein solcher würde voraussetzen, dass B mit K den Vertrag abgeschlossen hat, obwohl B wusste, dass die Überlassung der Pachtzelle zum Zweck der Unterverpachtung verboten ist, was B bestritten hat. [20] Eine für die Annahme von Arglist erforderliche Kenntnis der Beklagten davon, dass ihr die Überlassung der Pachtzelle an die Klägerin zu den vereinbarten Bedingungen aufgrund ihres Pachtvertrages mit dem Kleingartenverein untersagt war, steht nicht zur Überzeugung des Gerichts gemäß § 286 ZPO fest. [21] Insbesondere lassen die Angaben des Zeugen […] nach Würdigung durch das Gericht keinen Schluss auf das Vorliegen dieser inneren Tatsache zu. […] Folglich ist der Vertrag mangels Anfechtungsgrund nicht wegen der Anfechtungserklärung gem. § 142 I BGB nichtig. 2. Vertragsbeendigung Das Mietverhältnis war zeitlich befristet und ist durch Zeitablauf beendet worden. Ob es vorher aufgrund der Kündigung beendet wurde, ist für den Kautionsrückzahlungsanspruch nicht erheblich. Ein Sicherungsbedürfnis, das über die Sicherung eines Entgeltes hinausgeht, ist nicht ersichtlich. Folglich ist der Anspruch auf Rückzahlung des Kautionsgeldes entstanden. Jura Intensiv II. Anspruch erloschen Der Anspruch könnte gem. § 389 BGB aufgrund der seitens B erklärten Aufrechnung erloschen sein. Der Vertrag wurde unstreitig mit einer Kautionsabrede geschlossen. Fraglich ist allein, ob dieser gem. § 142 I BGB wegen der Anfechtung aufgrund einer angeblichen arglistigen Täuschung nichtig ist. Kein Anfechtungsgrund gem. § 123 I 1. Alt. BGB Ob der Vertrag durch die Kündigung oder durch Zeitablauf beendet wurde, spielt für den Kautionsrückzahlungsanspruch hier keine Rolle. Sicher ist, dass der Mietvertrag beendet wurde. Dies allein ist Grundvoraussetzung für die Kautionsrückzahlungspflicht. 1. Aufrechnungserklärung Eine Aufrechnungserklärung der B gem. § 388 BGB ist K zugegangen und damit wirksam. 2. Aufrechnungslage gem. §§ 387, 390 BGB Eine Aufrechnung setzt aber voraus, dass B eine Gegenforderung gegen K hat, welche sie zur Aufrechnung stellen konnte. In Betracht kommt der Anspruch aus §§ 581, 535 II BGB auf Zahlung der Pacht in Höhe von 500,- € pro Monat. Gegenforderung aus dem Pachtvertrag: a) Zeitraum vom 11.09.2021 bis 23.09.2021 [18] Der Beklagten steht für den Zeitraum 11. September 2021 bis einschließlich 23. September 2021, also für 13 Tage, ein Entgelt (§ 535 Abs. 2 BGB) für die Überlassung der Kleingartenparzelle in Höhe von 43,33 % (= 13/30 Tage) des vereinbarten monatlichen Entgelts von € 500,00, mithin in Höhe von € 216,67, zu. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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