Aufrufe
vor 1 Jahr

RA Digital - 06/2022

  • Text
  • Verlagjuraintensivde
  • Stvo
  • Recht
  • Stgb
  • Anspruch
  • Ifsg
  • Urteil
  • Verlags
  • Inhaltsverzeichnis
  • Jura
  • Intensiv
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

294 Zivilrecht

294 Zivilrecht RA 06/2022 Problem: Inhalt eines Notwegerechts Einordnung: Sachenrecht OLG Schleswig, Urteil vom 01.04.2022 1 U 71/21 LEITSATZ 1. Der Eigentümer eines Grundstücks, das an keine Stelle eine Verbindung zu einem öffentlichen Weg hat, kann von einem Nachbarn die Einräumung eines Notwegerechts verlangen, das auch ein Fahrrecht mit Kraftfahrzeugen umfasst. In diesem Fall dürfen auch Kraftfahrzeuge auf dem gefangenen Grundstück abgestellt werden. 2. (…) Den Leitsatz 2., der einen nicht relevanten Nebenaspekt betrifft, haben wir weggelassen. Das OLG bezeichnet die Grundstücke im Urteil als Xn, Xm, Xo. EINLEITUNG Rechtsfragen zum Notwegerecht behandelten die Urteile des OLG Koblenz in der RA 04/2020, 176 ff. sowie des BGH in der RA 05/2020, 324. In den damaligen Fällen ging es vor allem um die Frage, ob dem Grunde nach ein Notwegerecht besteht. In der vorliegenden Entscheidung des OLG Schleswig steht die Frage im Raum, ob es die Nutzung durch Kraftfahrzeuge umfasst. SACHVERHALT Die K sind Eigentümer der Grundstücke Xn (K1) und Xm (K2 und K3), die jeweils keine Verbindung zu einer öffentlichen Straße aufweisen. Die Zufahrt erfolgte jahrelang über das Grundstück Xo. Ein Wegerecht ist im Grundbuch nicht eingetragen. Der B ist Eigentümer des Grundstücks Xo. Es ist mit einem Mehrfamilienhaus mit vier Wohneinheiten bebaut, die B vermietet hat. Hinter dem Haus liegen Parkplätze, die jedenfalls von zwei Mietparteien genutzt werden. Die Zuwegung zu den Grundstücken der K und zu den Parkplätzen befindet sich zwischen dem Gebäude und der Grundstücksgrenze. Sie ist nur von geringer Breite und wird in der Höhe durch den Dachüberstand begrenzt. Im Jahr 2020 hat B einen Klapppfahl an der Grenze zwischen seinem Grundstück und dem Grundstück der K1 aufgestellt, um die Zufahrt mit Kraftfahrzeugen zu den Grundstücken der K zu verhindern. Die Nutzung der Zuwegung zu Fuß oder mit dem Rad wird von ihm nicht behindert. Die K verlangen von B die Duldung des Befahrens seines Grundstücks mit Kraftfahrzeugen sowie die Entfernung des Klapppfahls und ein Unterlassen des Blockierens der Zufahrt zu den Grundstücken. B weigert sich und verweist auf ausreichende Stellplätze für die Fahrzeuge der K auf der Straße X. Die Hauseingänge der von ihm vermieteten Wohneinheiten mündeten direkt auf die Zufahrt, so dass es eine Unfallgefahr, insbesondere für Kinder gebe, wenn dort Fahrzeuge vorbeiführen. Außerdem habe nur K1 dort ihren festen Wohnsitz, während K2 und K3 ihre Liegenschaft nur als Ferienwohnung nutzten. Die K meinen, dass eine Nutzung des Weges auf dem Grundstück Xo mit Kraftfahrzeugen zumindest mit einer Geschwindigkeit von 5 km/h möglich sein muss. Zu Recht? Jura Intensiv LÖSUNG B hat nichts gegen die Nutzung seines Grundstücks durch Fußgänger oder Fahrradfahrer, befürchtet aber Nachteile für seine Mieter, weshalb hier der Inhalt des Notweges im Raum steht. A. Anspruch der K gegen B auf Einräumung eines Notwegerechts gem. § 917 BGB Die K könnten einen Anspruch gegen B auf Einräumung eines Notwegerechts gem. § 917 BGB haben, das auch das Befahren des Grundstücks mit Kraftfahrzeugen umfasst. I. Keine andere Verbindung mit einem öffentlichen Weg. Die Grundstücke der K weisen keine andere Verbindung zu einem öffentlichen Weg auf, als den Weg, der über das Grundstück des B führt. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 06/2022 Zivilrecht 295 II. Inhalt des Notwegerechts Fraglich ist aber, ob unter einem Notwegerecht das Recht zu verstehen ist, den Weg des Nachbarn mit einem Kraftfahrzeug zu befahren. § 917 BGB spricht von einer „ordnungsgemäßen“ Benutzung des Weges. Zu prüfen ist, ob darunter zwingend das Befahren mit Kraftfahrzeugen zu verstehen ist. [21] Für die Nutzung der Grundstücke der Kläger ist die Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen erforderlich. [22] Es reicht nicht, dass ein Grundstück zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreicht werden kann. Zur ordnungsgemäßen Benutzung eines Wohngrundstücks ist es in der Regel erforderlich, dass die Nutzer es mit dem eigenen Kraftfahrzeug anfahren und Fahrzeuge etwa zur Ver- und Entsorgung es erreichen können (...). Es ist zumindest erforderlich, dass der Nutzer des Gebäudes von der anfahrbaren Stelle des Grundstücks aus den Eingangsbereich auch mit sperrigen Gegenständen in zumutbarer Weise erreichen kann (..). [23] Danach ist es erforderlich, das Notwegerecht auch für die Benutzung mit Kraftfahrzeugen zu gewähren. Denn die Kläger können ihre Grundstücke an keiner der Grundstücksgrenzen von einem öffentlichen Weg aus erreichen. Dass die Kläger nunmehr seit 2020 ihre Grundstücke - notgedrungen - ohne die Möglichkeit nutzen, sie mit einem PKW anfahren zu können, ändert an dem Bedürfnis der Anfahrbarkeit nichts [24] Es gehört zu der üblichen Nutzung eines Wohngrundstücks, dass die Nutzer es mit Kraftfahrzeugen anfahren. Das ist notwendig zum Transport etwa umfangreichen Gepäcks, sperriger Gegenstände oder größerer Einkäufe. [25] Die Kläger sind nicht darauf zu verweisen, diese umfangreichen Transportgüter an der Einfahrt zum Grundstück des Beklagten auf Handkarren oder ähnliches umzuladen, um dann zu Fuß ihre Grundstücke zu erreichen. Zum einen ist nicht gesichert, dass sie stets Stellplätze in der Nähe der Einfahrt finden, sodass sie im Einzelfall deutlich größere Distanzen zu überwinden hätten als nur den Weg über das Grundstück des Beklagten. Zum anderen gilt das Notwegerecht für die gesamte Zeit der Nutzung durch die Kläger. Es ist daher auch zu berücksichtigen, dass Transporte umfangreicher Güter etwa mit Handkarren den Klägern mit zunehmenden Alter schwerer fallen können. [26] Es ist keine Einschränkung für Fahrten zu machen, nach denen die Kläger ihre Fahrzeuge auf ihren Grundstücken abstellen. [27] Zwar dient die Einräumung des Notwegerechts nicht der bloßen Bequemlichkeit. Es kann nicht zu dem Zweck verlangt werden, Fahrzeuge auf dem eigenen Grundstück abstellen zu können, wenn in der Umgebung hinreichend Parkraum zu finden ist. Allerdings ist das für Grundstücke entschieden worden, die jedenfalls an einer Stelle mit Kraftfahrzeugen angefahren werden konnten (...). [28] Soweit enger auch für das Abstellen von Fahrzeugen auf gefangenen Grundstücken so entschieden worden ist (..), findet das in den dort zitierten Entscheidungen keine Stütze. Diesen Entscheidungen war gemein, dass die Grundstücke der Anspruchsteller an irgendeiner Stelle von einem öffentlichen Weg aus angefahren und nur die Abstellplätze nicht erreicht werden konnten. In der Tat ist dann nicht erkennbar, dass die Voraussetzungen eines Notwegerechts vorliegen, nur um ein Kraftfahrzeug auf einem sonst nicht zugänglichen Weg auf anderen Teilen des Grundstücks abstellen zu können. Jura Intensiv Siehe auch OLG Koblenz, RA 04/2020, 176 Notwendigkeit, sperrige Güter oder große Einkäufe zu transportieren Steigende Bedürfnisse mit zunehmendem Alter Hier können die Grundstücke überhaupt nicht von einem öffentlichen Weg aus erreicht werden, ohne das Grundstück des B zu befahren. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats