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RA Digital - 06/2022

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300 Referendarteil:

300 Referendarteil: Zivilrecht RA 06/2022 Das Ermittlungsverfahren sowie das Zwischenverfahren waren abgeschlossen. Dies ist für den Grad der erforderlichen Wahrscheinlichkeit der Wahrheit der Vorwürfe relevant. BGH, Urteil vom 18.05.2000, III ZR 180/99; BGH, Beschluss vom 29.11.2018, StB 34/18 Hätten B1 und B2 davon ausgehen können, dass der StA wesentliche Umstände nicht bekannt waren, wäre dies bei der Berichterstattung zu berücksichtigen gewesen. Die fehlende Möglichkeit zur Stellungnahme des K war der Grund für die Rechtswidrigkeit der Berichterstattung. Offensichtlich war die eingeräumte „Stundenfrist“ für eine Stellungnahme nicht auf eine ernsthafte Einlassung des K ausgerichtet, sondern sollte nur der rechtlichen „Absicherung“ dienen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass auf die gewünschte Fristverlängerung seitens des K nicht reagiert wurde. Die Rechtswidrigkeit der Berichterstattung und die damit verbundene Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers führt lediglich dann zu einem Zahlungsanspruch, wenn der Eingriff schwerwiegend und die Beeinträchtigung nicht anders kompensiert werden kann. Dies erfordert stets eine Gesamtschau der Umstände. Die Frage, ob eine schwerwiegende Beeinträchtigung vorliegt, kann nur unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls vorgenommen werden. Gemessen an diesen Maßstäben war die Berichterstattung unzulässig. Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des K und die Bedeutung seines Verhaltens für die Öffentlichkeit standen nicht außer Verhältnis. [34] Die Berichterstattungen stützten sich auf Angaben der mutmaßlich geschädigten Frau L. zu den Umständen der Darlehensgewährung. Ein Termin für die Hauptverhandlung in einem Strafverfahren stand bevor. (…) Im Streitfall waren (…) bereits Anklage erhoben und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht eröffnet worden. Das setzt nach § 170 Abs. 1, § 203 StPO voraus, dass der Beschuldigte aus Sicht der Staatsanwaltschaft und des Gerichts einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint, also eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Verurteilung besteht. [35] (…) Es sind keine Umstände festgestellt oder ersichtlich, aus denen sich ergibt, dass die Beklagten Zweifel daran haben mussten, dass Staatsanwaltschaft und Gericht Umstande, die Einfluss auf die strafrechtliche Bewertung haben könnten, nicht gekannt hätten. Es fehlte aber an einer für die Zulässigkeit der Verdachtsberichterstattung erforderlichen ausreichenden Möglichkeit des K zur Stellungnahme. [41] Es kann dahinstehen, ob die am 8. Februar 2019 gesetzte Stellungnahmefrist von unter fünf Stunden angesichts der erst am 20. Februar 2019 stattfindenden Hauptverhandlung zu kurz bemessen war. Es hätten B1 und B2 [41] (…) zumindest auf die bereits nach eineinhalb Stunden eingegangene Bitte des Klägers um Fristverlängerung reagieren müssen. Sie hätten ihm mitteilen müssen, dass die Frist nicht verlängert wird und gegebenenfalls bis wann nach Fristablauf seine Stellungnahme noch berücksichtigt werden kann. Da die Beklagten dem Kläger (…) nicht mitgeteilt hatten, dass eine Veröffentlichung eines Artikels bereits für den 10. Februar 2019 vorgesehen war, war für ihn nicht erkennbar, dass die von ihm erbetene Fristverlängerung bis 12. Februar 2019 von vornherein nicht aussichtsreich war. Jura Intensiv Die Rechtswidrigkeit der Berichterstattung führt aber nicht zu einem Zahlungsanspruch des K. Die weiter erforderlichen Voraussetzungen für einen solchen Anspruch sind nicht gegeben. Hierzu muss die schuldhafte Rechtsverletzung einen schwerwiegenden Eingriff darstellen, dessen Beeinträchtigung nicht anders als durch eine finanzielle Kompensation aufgefangen werden kann. [44] (…) Ob eine so schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, dass die Zahlung einer Geldentschädigung erforderlich ist, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. (…) Die Zubilligung einer Geldentschädigung kommt auch in Betracht, wenn das Persönlichkeitsrecht durch eine nicht erweislich wahre rufschädigende Tatsachenbehauptung verletzt wird. In diesem Fall ist aber bei der Gewichtung der Schwere des Eingriffs die offen bleibende Möglichkeit mit zu berücksichtigen, dass die inkriminierte Behauptung wahr sein kann. Außerdem ist der besonderen Funktion der Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzung Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 06/2022 Referendarteil: Zivilrecht 301 Rechnung zu tragen, die sowohl in einer Genugtuung des Verletzten für den erlittenen Eingriff besteht als auch ihre sachliche Berechtigung in dem Gedanken findet, dass das Persönlichkeitsrecht gegenüber erheblichen Beeinträchtigungen anderenfalls ohne ausreichenden Schutz bliebe. Gemessen hieran ist der Zahlungsanspruch zu verneinen. Die Zulässigkeit der Berichterstattung scheitert lediglich an der fehlenden Möglichkeit zur Stellungnahme des K. Die Einstellung des Verfahrens erfolgte lediglich gem. § 153 II StPO, sodass der strafrechtliche Vorwurf berechtigt gewesen sein konnte. Außerdem betrifft die Berichterstattung keinen Eingriff in die Privat- oder gar Intimsphäre des K, sondern allenfalls eine [49] (…) Beeinträchtigung des sozialen Achtungsanspruchs des Klägers (…). Es hat berücksichtigt, dass der Vorwurf der Berichterstattungen nicht gegen die Grundlagen der Persönlichkeit des Klägers gerichtet und nicht geeignet ist, ihn gesellschaftlich zu vernichten. Eine nachhaltige und fortdauernde Beeinträchtigung durch die Berichterstattungen trägt K nicht vor. Zudem gilt, [51] (…) dass mit der strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserkärung des Beklagten zu 1 und der einstweiligen Unterlassungsverfügung und Abschlusserklärung der Beklagten zu 2 unter den Umständen des Streitfalls dem Präventionsgedanken Genüge getan ist, da sich der Kläger vor einer erneuten Berichterstattung effektiv mithilfe der Unterlassungstitel schützen kann. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 I 1, 709 ZPO. FAZIT Bekannt sein muss, dass eine Berichterstattung über ein laufendes Strafverfahren nicht per se unzulässig ist. Aufklärungsmöglichkeiten seitens des Journalisten sind zu nutzen und dem Betroffenen ist eine realistische Möglichkeit zu geben, sich zum Thema zu äußern. Die Frage nach der Zulässigkeit der Berichterstattung ist strikt von der Frage nach einem Zahlungsanspruch aufgrund einer ggf. rechtswidrigen Berichterstattung zu trennen. Nicht jede unzulässige Berichterstattung führt zu Zahlungsansprüchen. Hierzu muss der Eingriff schwerwiegend sein. Die Beeinträchtigung darf zudem nicht anders kompensiert werden können. Jura Intensiv BGH, Urteil vom 17.12.2013, VI ZR 211/12; BGH, Urteil vom 15.09.2015, VI ZR 175/14 Differenzierung zwischen Intim-, Privat- und Sozialsphäre (hier Achtungsanspruch genannt) Blumige, aber anschauliche Formulierung Ein Zahlungsanspruch ist auch unter Präventionsgedanken nicht geboten. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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