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RA Digital - 07/2016

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362 Nebengebiete

362 Nebengebiete RA 07/2016 Pflichtfachstudenten müssen die Normpyramide im Arbeitsrecht kennen. Hierzu gehört auch § 77 III BetrVG. Dazu die folgenden Passagen aus dem Berufungsurteil: Tarifüblich gem. § 77 III BetrVG ist eine Regelung, wenn der Regelungsgegenstand in der Vergangenheit in einem einschlägigen Tarifvertrag enthalten war und die Tarifvertragsparteien über ihn Verhandlungen führen. Bloße zeitliche Geltungslücken zwischen einem abgelaufenen und einem zu erwartenden Tarifvertrag führen nicht zum Wegfall der Sperrwirkung. Keine Tarifüblichkeit liegt allerdings vor, wenn es in der Vergangenheit noch keinen einschlägigen Tarifvertrag gab und die Tarifvertragsparteien lediglich beabsichtigen, die Angelegenheit künftig tariflich zu regeln. Das gilt selbst dann, wenn sie bereits Tarifverhandlungen aufgenommen haben (BAG, 1 AZR 417/12 Rn 19). Zum anderen würde auch dann der Betriebsvereinbarung nicht die Wirksamkeit zu versagen sein, wenn eine tarifliche Regelung allgemein üblich wäre, sie aber für den Betrieb keine Bindungswirkung erzeugte. Würde § 77 III BetrVG Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats schon dann entfallen lassen, wenn die mitbestimmungspflichtige Angelegenheit nur „üblicherweise“ durch Tarifvertrag geregelt ist, so könnte der durch § 87 I BetrVG bezweckte Schutz der Arbeitnehmer – sofern nicht eine gesetzliche Regelung besteht – weder durch eine tarifliche Regelung noch durch eine mitbestimmte Regelung bewirkt werden. Die in § 87 I BetrVG – hier in § 87 I 1 Nr. 4 BetrVG – geregelten Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats würden, soweit sie materielle Arbeitsbedingungen betreffen, weitgehend leerlaufen und nur dort bedeutsam sein, wo eine tarifliche Regelung von materiellen Arbeitsbedingungen nicht einmal üblich ist. Mitbestimmungsrechte sind aber nicht auf solche Randbereiche beschränkt, sondern sollen grundsätzlich in allen Betrieben zum Tragen kommen. Schon von daher erscheint es nicht gerechtfertigt, dass eine lediglich übliche tarifliche Regelung einer Angelegenheit Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats ausschließen soll, wenn eben diese Angelegenheit nach § 87 I BetrVG mitbestimmungspflichtig ist (BAG, 1 ABR 18/85 zu II 4b aa der Gründe). 1. Verstoß gegen § 77 III BetrVG Die Betriebsvereinbarung dürfte nicht gegen § 77 III BetrVG, die sog. Regelungssperre, verstoßen. Hiernach dürfen Arbeitsentgelte, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Vorliegend ist eine Tarifüblichkeit nicht gegeben. 2. Verstoß gegen Fälligkeitsregelung des § 4 ArbV Schließlich dürfte die von der Beklagten ab 01.01.2015 praktizierte Zwölftelung auch nicht gegen die Fälligkeitsbestimmungen in § 4 des Arbeitsvertrages verstoßen, die als möglicherweise günstigere Regelungen denen der Betriebsvereinbarung vorgehen könnten. Bei den in Rede stehenden Bestimmungen des § 4 des Arbeitsvertrages handelt es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 I BGB. § 4 des Arbeitsvertrags ist insoweit betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet. Die Regelung weist als allgemeine Geschäftsbedingung einen kollektiven Bezug jedenfalls insoweit auf, als in ihr u. a. die Zeit der Auszahlung der Sonderzahlungen geregelt werden (§ 87 I 1 Nr. 4 BetrVG). Da Allgemeine Geschäftsbedingungen ebenso wie Bestimmungen in einer Betriebsvereinbarung auf eine Vereinheitlichung der Regelungsgegenstände gerichtet sind, kann aus Sicht eines verständigen und redlichen Arbeitnehmers nicht zweifelhaft sein, dass es sich bei den vom Arbeitgeber insoweit gestellten Arbeitsbedingungen um solche handelt, die einer Änderung durch Betriebsvereinbarung zugänglich sind (vgl. BAG, 1 AZR 417/12 Rn 60). Die Beklagte durfte aufgrund der Betriebsvereinbarung daher die beiden Sonderzahlungen zwölfteln, ohne gegen den mit der Klägerin geschlossenen Arbeitsvertrag zu verstoßen. II. Anrechenbarkeit der Sonderzahlungen Fraglich ist, ob die Sonderzahlungen auf den Mindestlohn angerechnet werden können. Jura Intensiv Gem. § 1 I MiLoG hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns. Es handelt sich somit um eine Geldsummenschuld. Bei der Anrechnung von Leistungen ist darauf abzustellen, ob die vom Arbeitgeber erbrachte Leistung ihrem Zweck nach die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers entgelten soll. 1. Sonderzahlung Urlaubsgeld Bei einer als Urlaubsgeld bezeichneten Sonderzahlung des Arbeitgebers ist daher darauf abzustellen, ob das Urlaubsgeld dazu dient, erhöhte Urlaubsaufwendungen zumindest teilweise abzudecken. Dann ist es keine weitere Gegenleistung für die erbrachte normale Arbeitsleistung, sondern auf die Wiederherstellung und den Erhalt der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers gerichtet. In diesem Fall ist das Urlaubsgeld nicht auf den Mindestlohn anrechenbar. Allein die Bezeichnung einer Leistung als Urlaubsgeld, die in vielen Fällen ohnehin nicht mit Bedacht gewählt ist, rechtfertigt es indes nicht, einen zwingenden Sachzusammenhang der Sonderzahlung zum Erholungsurlaub anzunehmen, denn den Vertragsparteien steht es frei, die Bezeichnung auch Inhaltsverzeichnis

RA 07/2016 Nebengebiete 363 für nichturlaubsakzessorische Sonderzahlungen zu verwenden. Deshalb ist anhand der Leistungsvoraussetzungen zu ermessen, ob das Urlaubsgeld von den Regelungen zum Urlaub abhängig ist oder bloß eine saisonale Sonderleistung darstellt (vgl. BAG, 9 AZR 522/09 Rn 24). Entscheidend ist vorliegend, dass das in § 4 des Arbeitsvertrags geregelte Urlaubsgeld nicht an die tatsächliche Urlaubsnahme geknüpft ist. Die arbeitgeberseitige Verpflichtung zur Leistung dieser Sonderzahlung ist außerdem auch nicht an weitere Voraussetzungen geknüpft, als an die Dauer des Bestands des Arbeitsvertrages im jeweiligen Jahr und die Vergütungspflicht des Arbeitgebers. Das Urlaubsgeld wird entsprechend dem Anteil der erbrachten jährlichen Arbeitszeit gezahlt. Diesem Ziel diente auch die Regelung der Überzahlung für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis nicht das gesamte Kalenderjahr bestanden hat oder Zeiten ohne Entgelt vorlagen; es wird damit nicht etwa die „Betriebstreue“ des Arbeitnehmers honoriert, wie es umgekehrt etwa der Fall wäre, wenn eine Wartezeit vereinbart worden wäre oder wenn als Voraussetzung für das Behalten einer Zahlung vereinbart worden wäre, dass das Arbeitsverhältnis über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus (ungekündigt) fortbestünde. Das in § 4 geregelte Urlaubsgeld stellt sich damit hier als „saisonale Sonderleistung“ dar, und damit grundsätzlich als auf den Mindestlohn anrechenbares Arbeitsentgelt. 2. Sonderzahlung Weihnachtsgeld Auch die weitere, in § 4 des Vertrages unterschiedlich als „Zuwendung“, „Weihnachtsgeld“, „Sonderzuwendung (Weihnachtsgeld)“, „Sonderzuwendung“ bezeichnete Zahlung ist nach den vorstehenden Ausführungen hier auf den Mindestlohn anrechenbar. Entscheidend ist auch insoweit der sich aus den Leistungsvoraussetzungen erschließende Zweck der Leistung, nicht dessen – hier ohnehin uneinheitliche – Bezeichnung. Auch die Sonderzuwendung ist hier allein an die Dauer des Bestands des Arbeitsverhältnisses in dem jeweiligen Jahr geknüpft und an die Vergütung für Arbeitsleistung. Es ist insbesondere keine Wartezeit und keine Rückzahlung der Sonderzahlung vereinbart worden für den Fall, dass ein bestimmter Zeitpunkt des (ungekündigten) Fortbestands des Arbeitsverhältnisses nicht erreicht wird, auch wird kein bestimmtes Erschwernis durch diese Sonderzahlung kompensiert. Damit steht der Entgeltcharakter dieser Zuwendung deutlich im Vordergrund, weshalb auch dessen grundsätzliche Anrechenbarkeit auf den gesetzlichen Mindestlohn gegeben ist. Jura Intensiv Gratifikationen, die gerade keinen Entgeltcharakter haben, zeichnen sich dadurch aus, dass die Leistung nur erbracht wird, wenn der Arbeitnehmer eine bestimmte Wartezeit erfüllt hat. Typisch sind auch Rückzahlungsklauseln für den Fall, dass eine bezweckte Betriebstreue vom Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nicht erwiesen wird. Keinesfalls anrechenbar sind damit Sonderzahlungen, die besondere Aufwendungen des Arbeitnehmers kompensieren sollen, z.B. Kilometergeld (Kompensation für die Abnutzung des eigenen Fahrzeugs) oder Schmutzzulagen (Kompensation für die Verschmutzung der eigenen Kleidung). III. Ergebnis Hinsichtlich der beanspruchten Differenzzahlungen auf den jeweiligen Monatslohn ist die Klage unbegründet. Soweit der Klägerin der gesetzliche Mindestlohn zusteht, ist der Anspruch durch Erfüllung erloschen (§ 362 I BGB). Die Klägerin beansprucht ab Januar 2015 einen erhöhten Grundlohn von 1.473,33 € brutto. Dieser ist erfüllt. Denn neben dem bisherigen Monatslohn von 1.391,36 € brutto hat die Beklagte der Klägerin monatlich ein Zwölftel des Urlaubsgeldes i.H.v. monatlich 57,97 € und ein Zwölftel des Weihnachtsgelds i.H.v. weiteren 57,97 € monatlich gezahlt, also insgesamt 1.507,30 €. Da der klägerseits geforderte Betrag von monatlich 1.473,33 € damit immer überschritten ist, ist die Klage unbegründet. Inhaltsverzeichnis

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