378 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 07/2016 Kernproblem des Falles: Abgrenzung von Gemeingebrauch und Sondernutzung im Rahmen von Versammlungen. Entscheidend ist der Bezug zum Versammlungszweck (eingehend dazu Kanther, NVwZ 2001, 1239). Aufstellen von Verzehr- und Verkaufsständen Grds. nicht durch Art. 8 I GG geschützt, weil Bezug zum Versammlungszweck fehlt. Nach Darstellung der allgemeinen Maßstäbe folgt die Subsumtion des konkreten Falles: Hier waren Verzehr- und Verkaufsstände für die Versammlung nicht funktional notwendig Warenpräsentation und Imbissstände für Durchführung der Versammlung nicht funktional notwendig Achtung! Unzulässiger Gutachtenstil. Ganz wichtig in Klausuren: Umfassende Auseinandersetzung mit dem klägerischen Vorbringen. Eine „funktionale Notwendigkeit“ von kommerziellen Imbissständen dürfte nach der Argumentation des Gerichts nur schwer vorstellbar sein, da jedenfalls die Möglichkeit zur Selbstversorgung in der Regel gegeben sein dürfte. für die Durchführung der Versammlung erforderlich ist. Entgegen der Auffassung des Klägers begegnet es […] keinen Bedenken, für einzelne Ausstattungsgegenstände oder sonstige Elemente, die – funktional oder symbolisch – nicht unmittelbar dem Versammlungszweck dienen, eine ordnungsbehördliche, insbesondere straßenrechtliche Erlaubnis zu fordern. Aufgrund des hohen Ranges der Versammlungsfreiheit haben gegenläufige Rechte Dritter (z.B. Anwohner, Verkehrsteilnehmer und Gewerbetreibende) häufig zurückzutreten. Dies ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn und soweit eine durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte kollektive Meinungskundgabe und Meinungsbildung erfolgt. Tätigkeiten, die der demokratischen Meinungsbildung nicht wesensimmanent sind, sind von dem jeweils einschlägigen Freiheitsrecht geschützt und unter dessen Voraussetzungen einschränkbar. […] Das Aufstellen von Verzehr- und Verkaufsständen gehört in der Regel nicht zu den durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten und deshalb auch nach dem Versammlungsgesetz ohne Erlaubnis zulässigen Tätigkeiten. Denn solche erwerbswirtschaftlichen oder auf die Versorgung der Versammlungsteilnehmer gerichteten Betätigungen stehen grundsätzlich nicht in einem inneren Zusammenhang mit dem durch Art. 8 Abs. 1 GG garantierten Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, […]. Auch die vorliegend vom Kläger gewünschten Stände waren für die Durchführung der Versammlung nicht funktional notwendig, […]. Dies gilt unabhängig davon, ob dort Produkte mit Bezug zum Thema Hanf verkauft werden sollten oder sonstige Waren. Nach dem Veranstaltungskonzept sollte Herstellern szenenaher Produkte die Möglichkeit gegeben werden, sich zu präsentieren […]. Eine solche Präsentation von Waren ist jedoch einseitig als Verkaufsangebot angelegt, verfolgt kommerzielle Zwecke und ist für die kollektive Meinungsbildung und –äußerung nicht erforderlich. Auch Imbissstände […] waren für die Durchführung der Versammlung nicht funktional notwendig und daher nicht erlaubnisfrei zulässig. Jura Intensiv Soweit der Kläger geltend macht, eine Versorgung der Teilnehmer mit Nahrung und Getränken habe während der Dauer der Versammlung nicht auf andere Weise sichergestellt werden können, so dass die Stände zur Durchführung der Versammlung zwingend geboten gewesen seien, kann dem nicht gefolgt werden. Den Veranstaltungsteilnehmern stand es frei, eigene Verpflegung von Anfang an mitzuführen oder in unmittelbarer Nähe befindliche anderweitige Versorgungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen […]. Jedenfalls einer Eigenverpflegung mit Essen (z.B. mit mitgebrachten Broten, Müsliriegeln etc.) stehen mögliche polizeiliche Taschenkontrollen auf als Wurfgeschosse einsetzbare Gegenstände nicht entgegen. Hinsichtlich einer Versorgung mit Trinkwasser wäre eine Abgabe zum Selbstkostenpreis durch den Veranstalter denkbar […]. Stände mit einem diversifizierten Getränkeangebot sind dagegen nicht erforderlich, um die Teilnahme an der Versammlung allein physisch zu gewährleisten. Im Verlauf der Wegstrecke quer durch die Berliner Innenstadt […] stehen weiterhin zahlreiche Lebensmittelgeschäfte, Bäckereien, Imbissstände, Cafés und Restaurants zur Verfügung, die von den Versammlungsteilnehmern genutzt werden können. […] Dabei wird nicht verkannt, dass die Veranstaltung des Klägers durch Imbiss- und Verkaufsstände an Attraktivität gewinnen und Inhaltsverzeichnis
RA 07/2016 Referendarteil: Öffentliches Recht 379 möglicherweise Teilnehmer auch zu einem längeren Verweilen einladen könnte. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Gegenstände, die lediglich dem Komfort und der Bequemlichkeit der Versammlungsteilnehmer dienen, zur Meinungskundgabe aber nicht erforderlich sind, nicht dem Schutz der Versammlungsfreiheit unterfallen. Sofern der Kläger solche Gegenstände, insbesondere Verkaufsstände, nutzen möchte, steht es ihm frei, hierfür die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis […] zu beantragen. Der Beklagte konnte gemäß § 15 Abs. 1 VersammlG auch das Aufstellen und Betreiben des Standes des „Berliner Wassertisches“ untersagen, sofern nicht die erforderlichen ordnungsbehördlichen Erlaubnisse vorliegen. Zwar soll dort […] Wasser unentgeltlich angeboten werden und ist ein solches Angebot in der Regel versammlungsbezogen, weil damit typischerweise der Zweck verfolgt wird, die Teilnahme an der Veranstaltung zum Zwecke der Meinungsbildung und -kundgabe physisch zu gewährleisten […]. Hier liegt der Fall jedoch anders, weil die Ausgabe von Wasser dazu genutzt werden sollte, um auf den Bürgerentscheid zur Privatisierung der Wasserbetriebe aufmerksam zu machen und über diese Thematik zu diskutieren […]. Zweck dieses Standes sollte es damit aber nicht sein, Meinungsbildung und -kundgabe in Bezug auf das Versammlungsthema, die Legalisierung von Hanf […] zu ermöglichen. Ein hinreichender Zusammenhang mit dem Versammlungsthema kann auch nicht daraus konstruiert werden, dass zur Kultivierung der Hanfpflanze Wasser benötigt wird, denn zur Bewässerung von Hanfpflanzen sollte das Wasser vorliegend nicht verwendet werden. […] Auch aus der Tatsache, dass erfolgreiche Bürgerbeteiligung auch in der „Hanfbewegung“ ein wichtiges Thema sein mag, ergibt sich nichts anderes; denn dieser Zusammenhang ist allenfalls ein entfernter, der damit den Schutz der Versammlungsfreiheit nicht auszulösen vermag. Davon, dass ein Informations- und Diskussionsangebot zur Privatisierung der Wasserversorgung für die Durchführung einer Versammlung zur Legalisierung von Cannabis funktional notwendig sein könnte, kann keine Rede sein. […] Jura Intensiv Der Stand des „Berliner Wassertischs“ stellt auch nicht seinerseits eine Versammlung i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG dar und ist daher auch nicht aus diesem Grund erlaubnisfrei. Politische Informationsstände sind […] grundsätzlich keine Versammlungen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Stand aus Sicht eines unbeteiligten Beobachters seinem Gesamtgepräge nach auf eine kollektive Meinungskundgabe gerichtet ist und nicht lediglich zufällig des Weges kommenden Einzelpersonen ein einseitiges Informationsangebot gemacht werden soll. Vorliegend ist jedoch letzteres der Fall; der Stand des „Berliner Wassertisches“ sollte darauf abzielen, Teilnehmer der Hanfparade anzusprechen und diese auf die Anliegen der Bürgerinitiative aufmerksam zu machen. Es sollte keine gerade zur Thematik der Privatisierung der Wasserversorgung veranlasste Gruppenbildung erfolgen, da sich die versammelten Personen zu einem anderen Zweck zusammengefunden hatten. Eine Verbindung zu einem beliebigen Zweck reicht für die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 8 Abs. 1 GG jedoch nicht aus. Aufstellen eines „Wassertisches“ Ist grds. versammlungsbezogen und daher erlaubnisfreier Gemeingebrauch. Hier aber nicht, weil es nicht um Versorgung der Versammlungsteilnehmer mit Wasser geht. Auch hier: genaue Auseinandersetzung mit dem klägerischen Vorbringen. Das muss in einer Klausur Schritt für Schritt abgearbeitet werden. „Wassertisch“ keine eigenständige Versammlung. Vergleichbare, in Klausuren durchaus typische Argumentation: Nach Auflösung einer Versammlung sei „spontan“ eine neue entstanden, die ihrerseits den Schutz des Art. 8 I GG genieße. Hier gilt es ganz genau zu prüfen, ob die versammelten Personen einen anderen Zweck als die Versammlung verfolgten, die zuvor aufgelöst wurde. Inhaltsverzeichnis
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