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RA Digital - 07/2016

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390 Referendarteil:

390 Referendarteil: Strafrecht RA 07/2016 Vgl. dazu ausführlich BGH, Urteil vom 30.07.2015, 2 StR 97/14 Zur Rechtsstaatswidrige Tatprovokation, vgl. EGMR, Entscheidung vom 23. Oktober 2014, 54648/09 [Furcht gegen Deutschland]. Nach Ansicht des EGMR können folgende Verhaltensweisen dafür sprechen, dass die Ermittlungsbehörden den Bereich des passiven Vorgehens verlassen haben: • das Ergreifen der Initiative beim Kontaktieren des Betroffenen, • das Erneuern des Angebots trotz anfänglicher Ablehnung, • hartnäckiges Auffordern zur Tat, • Steigern des Preises über den Durchschnitt oder Vorspiegelung von Entzugserscheinungen, um das Mitleid des Betroffenen zu erregen. „[3] Der Bundesgerichtshof nimmt eine Verletzung von Art. 6 I EMRK aufgrund polizeilicher Tatprovokation an, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch eine von einem Amtsträger geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt. Ein in diesem Sinne tatprovozierendes Verhalten ist gegeben, wenn eine polizeiliche Vertrauensperson in Richtung auf das Wecken der Tatbereitschaft oder eine Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt. Auch bei anfänglich bereits bestehendem Anfangsverdacht kann eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegen, soweit die Einwirkung im Verhältnis zum Anfangsverdacht „unvertretbar übergewichtig“ ist. Spricht eine polizeiliche Vertrauensperson eine betroffene Person lediglich ohne sonstige Einwirkung darauf an, ob diese Betäubungsmittel beschaffen könne, handelt es sich nicht um eine Tatprovokation. Ebenso fehlt es an einer Provokation, wenn die Vertrauensperson nur die offen erkennbare Bereitschaft zur Begehung oder Fortsetzung von Straftaten ausnutzt. In der Judikatur des Bundesgerichtshofes sind die Kriterien, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte an eine Art. 6 I EMRK verletzende Tatprovokation stellt, berücksichtigt. Danach liegt eine Art. 6 I EMRK verletzende polizeiliche Provokation vor, wenn sich die Ermittlungsperson nicht mehr auf eine „weitgehend passive“ Strafermittlung beschränkt hat. Der Gerichtshof prüft dabei, ob es objektive Anhaltspunkte für den Verdacht gab, dass der Täter an kriminellen Aktivitäten beteiligt oder tatgeneigt war. Dabei können nach den konkreten Umständen des Einzelfalls die erwiesene Vertrautheit mit aktuellen Preisen von Betäubungsmitteln, die Fähigkeit zu deren kurzfristiger Beschaffung und eine Gewinnbeteiligung des Täters von Bedeutung sein. Bei der Differenzierung zwischen einer rechtmäßigen Infiltrierung durch eine Ermittlungsperson und der (konventionswidrigen) Provokation einer Straftat befasst sich der Gerichtshof mit der Frage, ob Druck ausgeübt wurde, die Straftat zu begehen. Dabei hat der Gerichtshof unter anderem darauf abgestellt, ob die Ermittlungsperson von sich aus Kontakt zu dem Täter aufgenommen, ihr Angebot trotz anfänglicher Ablehnung erneuert oder den Täter mit den Marktwert übersteigenden Preisen geködert hat. Jura Intensiv Fraglich ist, ob nach den vorgenannten Grundsätzen das Verhalten der Vertrauensperson die vorgesehenen Grenzen überschritten hat. [4] b) Daran gemessen hielt sich der Einsatz der polizeilichen Vertrauensperson in den durch den Grundsatz des fairen Verfahrens und das Rechtsstaatsprinzip gezogenen Grenzen. [5] Denn nach den Feststellungen bestand im Zeitpunkt des ersten Einsatzes der Vertrauensperson der Polizei aufgrund von Hinweisen aus der Rockerszene der Verdacht, dass der Angeklagte in der von ihm mitbetriebenen Gaststätte Betäubungsmittel verkauft. Beim zweiten Treffen kamen der Angeklagte und die Vertrauensperson über das Thema Betäubungsmittel ins Gespräch. Dabei fragte der Angeklagte, ob die Vertrauensperson ihm eine Kokainprobe besorgen könne. Als die Vertrauensperson verneinte, rief dies das Misstrauen des Angeklagten hervor. Nachdem die Vertrauensperson bei einem weiteren Treffen bei dem Angeklagten angefragt hatte, Inhaltsverzeichnis

RA 07/2016 Referendarteil: Strafrecht 391 ob nicht er etwas besorgen könne, es müsse sich aber um eine größere Menge handeln, „witterte der Angeklagte ein gewinnbringendes Geschäft“ und sagte „auf Drängen“ der Vertrauensperson hin zu, in einer Woche abzuklären, ob er Amphetamin in größeren Mengen besorgen könne. Er nahm hierauf Kontakt zu dem gesondert verfolgten P auf, bei dem er in der Vergangenheit Amphetamin gekauft hatte und entfaltete in der Folge eine erhebliche Eigeninitiative, um das angestoßene Geschäft zum Abschluss zu bringen (Ankauf und Weitergabe von 100 Gramm Amphetamin als von der Vertrauensperson zunächst erbetene Probe, Beschaffung weiterer fünf Kilogramm Amphetamin von P). Auch nahm er auf die Ausgestaltung des Geschäftes einen bestimmenden Einfluss (Festlegung der Verkaufsmenge auf einmal fünf Kilogramm statt zweier Geschäfte über jeweils zweieinhalb Kilogramm). Zudem gab der Angeklagte vor, bei „Rauschgiftgeschäften immer etwas einstecken“ zu haben, was für den Fall, dass etwas schieflaufe, eine „Bleivergiftung“ zur Folge habe. [6] Mit Rücksicht auf die bestehende Verdachtslage beim Erstkontakt, der von dem Angeklagten ausgehenden Anfrage nach dem noch gefährlicheren Betäubungsmittel Kokain und der bei ihm durchgehend handlungsleitenden Gewinnorientierung kommt den weiteren Beiträgen der Vertrauensperson der Polizei nur noch eine nachgeordnete Bedeutung zu. Das festgestellte „Drängen“ der Vertrauensperson war ersichtlich nicht auf das Geschäft als solches, sondern lediglich auf dessen beschleunigte Abwicklung gerichtet…[…]“. Eine das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren (Art. 2 I i.V.m. Art. 20 III GG, Art. 6 I EMRK) verletzende Tatprovokation liegt nicht vor. Ergebnis: Das Landgericht darf A wegen Verstoßes gegen das BtMG verurteilen. FAZIT Jura Intensiv 1. Der 4. Strafsenat des BGH führt die Rechtsprechung des 2. Strafsenats des BGH zu den Voraussetzungen einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation grundsätzlich fort und orientiert sich weitestgehend an den Kriterien des EGMR zu Art. 6 I EMRK. Bei der Prüfung, ob eine Straftat auf eine konventions- bzw. rechtsstaatswidrige Provokation seitens der Ermittlungsbehörden zurückzuführen ist, sind die Art und die Intensivität der Einwirkung sowie die Frage, inwieweit der Täter bereits tatgeneigt war, entscheidend. Je aktiver über eine Vertrauensperson oder verdeckten Ermittler auf den Täter eingewirkt wird, desto eher lässt sich eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation bejahen. Hinsichtlich der Konsequenzen einer etwaigen rechtsstaatswidrigen Tatprovokation schließt sich der 4. Strafsenat der von dem 2. Strafsenat entwickelten „Verfahrenshindernislösung“ stillschweigend an. Ein etwaiges Beweisverwertungsverbot als mögliche Konsequenz wird nicht thematisiert. 2. Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse sind in strafprozessualen Assessorklausuren stets zu beachten, unabhängig davon, ob eine Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft, ein Urteilsentwurf oder ein Gutachten zu den Erfolgsaussichten einer Revision zu fertigen ist. Hohe Klausurrelevanz haben dabei vor allem das Vorliegen eines Strafantrages, Inhaltsverzeichnis

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