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RA Digital - 07/2018

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346 Zivilrecht

346 Zivilrecht RA 07/2018 LÖSUNG In einer Klausur müsste vorab auch der vertragliche Schadensersatzanspruch aus §§ 630a, 280 I BGB geprüft werden. Dies wurde hier aus Platzgründen unterlassen. Bei der Arzthaftung ist zwischen einem nicht vorwerfbaren Diagnoseirrtum, einem vorwerfbaren Diagnosefehler und einem groben Diagnosefehler zu unterscheiden. Diagnoseirrtum Befunderhebungsfehler A. K gegen B gem. § 823 I BGB i.V.m. § 249 II 1 BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung von 2.333,50 € gem. § 823 I BGB i.V.m. § 249 II 1 BGB haben. I. Rechtsgutverletzung Dazu muss eine Rechtsgutverletzung i.S.d. § 823 I BGB vorliegen. In Betracht kommt hier eine Verletzung der Gesundheit. Darunter versteht man jede medizinisch erhebliche Störung der körperlichen, geistigen oder seelischen Lebensvorgänge. Durch die verzögerte Heilbehandlung erlitt K eine Hüftkopfnekrose. Dadurch wurden ihre körperlichen Lebensvorgänge erheblich gestört, sodass eine Gesundheitsverletzung zu bejahen ist. II. Verletzungshandlung Weiterhin müsste B eine Verletzungshandlung begangen haben. Zu prüfen ist, ob B bei der Behandlung der K am 27.08.2015 ein Befunderhebungsfehler unterlaufen ist. „[9] Grds. ist das Nichterkennen einer erkennbaren Erkrankung und der für sie kennzeichnenden Symptome als Behandlungsfehler zu werten. Irrtümer bei der Diagnosestellung, die in der Praxis nicht selten vorkommen, sind jedoch oft nicht Folge eines vorwerfbaren Versehens eines Arztes. Die Symptome einer Erkrankung sind nämlich nicht immer eindeutig, sondern können auf die verschiedensten Ursachen hinweisen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung vielfacher technischer Hilfsmittel, die zur Gewinnung von zutreffenden Untersuchungsergebnissen eingesetzt werden. Diagnoseirrtümer, die objektiv auf eine Fehlinterpretation der Befunde zurückzuführen sind, können deshalb nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet werden. Die Wertung einer objektiv unrichtigen Diagnose als Behandlungsfehler setzt deshalb eine vorwerfbare Fehlinterpretation erhobener Befunde voraus. Bei einer objektiv fehlerhaften Diagnose sind somit drei Gruppen zu unterscheiden. Es kann sich um einen nicht vorwerfbaren Diagnoseirrtum handeln, der keinerlei Haftung begründet. Dieser liegt vor, wenn ein Arzt - gemessen an dem Facharztstandard seines Fachbereichs - die gebotenen Befunde erhoben und vertretbar gedeutet hat. Ist die Diagnose dagegen nicht bzw. nicht mehr vertretbar, liegt ein vorwerfbarer Diagnosefehler i.S.e. einfachen Behandlungsfehlers vor. Ein grober Diagnosefehler ist gegeben, wenn die Diagnose nicht nur unvertretbar, sondern schlechterdings unverständlich ist. [10] Ein Diagnoseirrtum liegt danach vor, wenn der Arzt erhobene oder sonst vorliegende Befunde falsch interpretiert und deshalb nicht die aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs gebotenen - therapeutischen oder diagnostischen - Maßnahmen ergreift. Ein Befunderhebungsfehler ist dagegen in Abgrenzung zum Diagnoseirrtum gegeben, wenn die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen wurde. Ein Diagnoseirrtum wird jedoch nicht bereits dadurch zu einem Befunderhebungsfehler, dass bei objektiv zutreffender Diagnosestellung noch weitere Befunde zu erheben gewesen wären. Ein Diagnoseirrtum setzt aber voraus, dass der Arzt die medizinisch notwendigen Befunde überhaupt erhoben hat, um sich eine ausreichende Basis für die Einordnung der Krankheitssymptome zu verschaffen. Hat dagegen Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 07/2018 Zivilrecht 347 die unrichtige diagnostische Einstufung einer Erkrankung ihren Grund bereits darin, dass der Arzt die nach dem medizinischen Standard gebotenen Untersuchungen erst gar nicht veranlasst hat - er mithin aufgrund unzureichender Untersuchungen vorschnell zu einer Diagnose gelangt, ohne diese durch die medizinisch gebotenen Befunderhebungen abzuklären - dann ist dem Arzt ein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen. Denn bei einer solchen Sachlage geht es im Kern nicht um die Fehlinterpretation von Befunden, sondern um deren Nichterhebung. Danach kann ein Befunderhebungsfehler insbesondere auch dann vorliegen, wenn mehrere Krankheitsbilder in Betracht kommen, so dass durch - unterbliebene - differentialdiagnostische Untersuchungsmaßnahmen weiterer Aufschluss gewonnen werden kann. Ferner kann sich nach einer Erstdiagnose ein Befunderhebungsfehler auch dann ergeben, wenn eine darauf gegründete Therapie keine Wirkung zeigt oder sich weitere Krankheitserscheinungen zeigen, die für die diagnostizierte Erkrankung untypisch sind. [11] Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt hier ein Befunderhebungsfehler vor. Denn B hat es unterlassen, hinreichend der Frage nachzugehen, ob bei K die Differenzialdiagnose einer septischen Arthritis zu stellen war und die dann gebotenen Befunde rechtzeitig vollständig zu erheben bzw. die Einweisung in eine Klinik zur weiteren Befunderhebung zu veranlassen. Die - wie hier - nicht rechtzeitige Befunderhebung stellt einen Befunderhebungsfehler dar. Der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass bei aufgetretenem hohem Fieber um die 39°C und der Gabe von fiebersenkenden Mitteln wie Nurofen und dennoch bestehenden heftigen Ruheschmerzen eine kurzfristige Wiedervorstellung der K noch am Nachmittag des 07.10.2013 zur weiteren Befunderhebung und Abklärung, ob bei nicht hinreichend klarem Krankheitsbild die gegenüber dem Hüftschnupfen mögliche erheblich schwere Krankheit in Gestalt einer septischen Arthritis geboten war.“ Eine Verletzungshandlung des B in Form eines Befunderhebungsfehlers liegt damit vor. Jura Intensiv III. Haftungsbegründende Kausalität Allerdings muss zwischen der Rechtsgutsverletzung und der Verletzungshandlung auch ein Ursachen- und Zurechnungszusammenhang bestehen (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Grds. ist jede Verletzungshandlung ursächlich, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele. „[25] Der beweispflichtigen K gelingt nicht unmittelbar der Nachweis der Kausalität. [26] Denn nach den Ausführungen des S bleibt es sehr spekulativ, ob eine stationäre Einweisung am 27.08.2015 die Prognose verbessert hätte. [27] Dennoch ist davon auszugehen, dass der Behandlungsfehler für die verzögerte Heilung einschließlich der aufgetretenen Hüftkopfnekrose und ihre Folgen kausal war, denn wegen eines sog. fiktiven groben Behandlungsfehlers obliegt es B nachzuweisen, dass der eingetretene Gesundheitsschaden nicht auf dem Behandlungsfehler beruht. Das Gericht ordnete das Verhalten des beklagten Arztes als einen schwerwiegenden Befunderhebungsfehler ein, weil die Befunderhebung nicht rechtzeitig erfolgte. Wer kennt das nicht: Nach Gabe der fiebersenkenden Mittel wird der Patient vom sorgfältigen Arzt bei anhaltenden Schmerzen erneut untersucht. Äquivalente Kausalität K gelingt kein unmittelbarer Kausalitätsbeweis. Entscheidend: Ob eine Einweisung die Situation verbessert hätte, ist spekulativ. Wegen des Behandlungsfehlers kann den Arzt die Beweislastumkehr treffen. Für die vertragliche Haftung nach §§ 630a, 280 I BGB wurde dies in § 630h V 2 BGB sogar ausdrücklich normiert. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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