Aufrufe
vor 4 Jahren

RA Digital - 07/2019

Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

372 Öffentliches Recht

372 Öffentliches Recht RA 07/2019 Teil-Gruppe begrenzt zu verstehen ist. Dies wird zusätzlich erneut unterstrichen durch den Schlusssatz „Migration tötet – wir retten Leben.“ Auch dies zeigt das dem Wahlwerbespot in eindeutiger Form zugrundeliegende Gruppenbild und ist bei der Gesamtwürdigung des anzunehmenden Verständnisses zu berücksichtigen. Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens i.S.v. § 130 I Nr. 2 StGB Subjektiver Tatbestand VGH Kassel, Beschluss vom 8.5.2019, 8 B 961/19 Die in dem Wahlwerbespot zum Ausdruck kommende Meinungsäußerung ist weiter auch geeignet, den öffentlichen Frieden zu gefährden. Eine solche Eignung liegt vor, wenn die Äußerung die latent vorhandene Gewaltbereitschaft gegenüber Teilen der Bevölkerung vertiefen kann. Der Werbespot ist geeignet, die Gewaltbereitschaft zu stärken und die Gewaltschwelle herabzusetzen. Dem maßgeblichen Durchschnittsbeobachter drängt sich bereits bei der Aussage, „(w)eil der Staat wegsieht oder nicht mehr in der Lage ist zu handeln, hat die NPD mit ihrer „Schutzzonen-Kampagne“ selbst die Initiative ergriffen. Wir reden nicht nur, wir sind da, wo der Bürger uns braucht“, zwangsläufig das Verständnis auf, allen nicht in die „Schutzzonen-Kampagne“ einbezogenen Personen sei jedenfalls das Recht auf körperliche Unversehrtheit abzusprechen. Gewalt und das eigenmächtige Vorgehen gegen Teile der Bevölkerung werden insoweit als legitimes Mittel propagiert. Dieses Verständnis wird verstärkt durch die eingangs des Spots zu hörenden Geräusche einer Waffe, die geladen wird, und eines Schusses. An der Erfüllung auch des subjektiven Tatbestandes des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB bestehen schließlich keine Zweifel.“ Demnach verstößt der Wahlwerbespot der NPD evident und schwerwiegend gegen § 130 I Nr. 2 StGB, sodass seine Ausstrahlung vom WDR abgelehnt werden durfte und somit ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung der NPD vorliegt. Folglich hat die NPD gegen den WDR keinen Anspruch aus § 5 I 1 ParteiG i.V.m. Art. 3 I, 21 I GG auf Ausstrahlung des Wahlwerbespots. Jura Intensiv FAZIT Der Beschluss des OVG Münster ruft verfassungsrechtliche Grundüberlegungen zu Art. 3 I, 21 I GG sowie zu Art. 5 I 1 GG in Erinnerung. Bedeutsamer für die juristischen Prüfungen dürfte aber sein, dass das OVG zeigt, wie genau streitgegenständliche Meinungsäußerungen zu untersuchen sind. Es ist ein häufiger Fehler in Klausuren, dass zwar die abstrakten verfassungsrechtlichen Vorgaben umfassend dargelegt werden, die Subsumtion des konkreten Sachverhalts dann aber viel zu kurz ausfällt. Vor diesem Hintergrund kann das Ergebnis der rechtlichen Prüfung ohne Weiteres ein anderes sein, wenn der Sachverhalt auch nur geringfügig anders gelagert ist. Das zeigt exemplarisch ein Beschluss des VGH Kassel, der sich ebenfalls mit dem Wahlwerbespot der NPD befasst, nur dass der Inhalt des Wahlwerbespots geringfügig von demjenigen abweicht, der dem OVG Münster zur Beurteilung vorlag. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 07/2019 Referendarteil: Öffentliches Recht 373 Speziell für Referendare Problem: Nutzung einer öffentlichen Grünanlage für Kinder- und Volksfest Einordnung: Zugang zu öffentlicher Einrichtung VG Berlin, Beschluss vom 18.04.2019 24 L 176.19 EINLEITUNG Das Verwaltungsgericht Berlin hatte in einem Eilverfahren zu entscheiden, ob die SPD Pankow auch am 1. Mai 2019 wieder ihr traditionelles Kinderund Volksfest im Bürgerpark Pankow abhalten darf. Ein entsprechendes Fest findet dort seit 1990 regelmäßig am 1. Mai statt. Nachdem der Bezirk die Erteilung der nach dem Grünanlagengesetz erforderlichen Genehmigung versagt hatte, verpflichtete ihn das Gericht unter Hinweis auf den durch die jahrzehntelange Verwaltungspraxis geschaffenen Vertrauenstatbestand sowie einen Verstoß gegen Art. 3 I GG, die entsprechende Genehmigung zu erteilen. GRÜNDE I. „Die Antragstellerin ist eine politische Partei. Seit 1990 führt sie regelmäßig am 1. Mai jeden Jahres ein Kinder- und Volksfest im Bürgerpark des Bezirks Pankow von Berlin durch. [...] Das Fest wird nach den Angaben der Antragstellerin von bis zu 900 Menschen besucht. Mit E-Mail vom 14. März 2017 beantragte die Antragstellerin die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 6 Abs. 5 des Grünanlagengesetzes für die Jahre 2018, 2019 und 2020. Nicht beim Verwaltungsvorgang, jedoch von der Antragstellerin vorgelegt ist eine weitere Antragsmail entsprechenden Inhaltes vom 31. März 2017, deren Erhalt der Antragsgegner mit Schreiben vom 3. April 2017, das sich ebenfalls nicht beim Verwaltungsvorgang befindet, bestätigte. Unter dem 5. Dezember 2018 erinnerte die Antragstellerin mit einer ebenfalls nicht beim Verwaltungsvorgang befindlichen E-Mail ihres Geschäftsführers an die Genehmigungserteilung für das Jahr 2019. Jura Intensiv Mit Bescheid vom 7. März 2019, der Antragstellerin zugestellt am 12. März 2019, versagte das Bezirksamt Pankow von Berlin des Antragsgegners die Erteilung der Genehmigung. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, Wege und Grünflächen könnten nur in begrenztem Umfang Lasten tragen und Belastung ohne Gefahr einer dauerhaften Beeinträchtigung oder Beschädigungen ausgesetzt werden. Durch eine Veranstaltung in der von der Antragstellerin vorgesehenen Weise werde diese Belastungsgrenze jedoch überschritten. [...] Grundsätzlich sei die Vegetation in Grünanlagen in der Lage, sich nach einer übermäßigen Belastung in gewissem Umfang selbst zu regenerieren. Die Erfahrung zeige jedoch, dass diese Fähigkeit erkennbar abnehme. [...] LEITSÄTZE (DER REDAKTION) 1. Eine jahrzehntelang geübte Verwaltungspraxis kann einen Vertrauenstatbestand schaffen, der es als ermessensfehlerhaft erscheinen lassen kann, eine erforderlich Ausnahmegenehmigung ohne Vorankündigung kurzfristig zu versagen. 2. Eine von der Behörde ausgesprochene Absichtserklärung kann der Änderung einer Verwaltungspraxis nur dann entgegengehalten werden, wenn sie die förmlichen Voraussetzungen einer Zusicherung erfüllt. Zustände und Beschreibungen, die die Gegenwart betreffen, werden im Indikativ Präsens wiedergegeben. Übrige Geschichtserzählung: Indikativ Imperfekt Hiermit stellt das Gericht klar, welchen Sachverhalt es zu Grunde legt. Zugleich dürfte der Hinweis auf den unvollständigen Verwaltungsvorgang aber auch als Rüge des Gerichts an den Antragsgegner zu verstehen sein. Da der Widerspruch hier unzweifelhaft innerhalb der Monatsfrist erhoben wurde (s.u.), ist das Zustelldatum eigentlich nicht von Bedeutung und braucht ist daher nicht zu nennen. Begründung des Bescheids: Konjunktiv Präsens © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats