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RA Digital - 07/2020

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372 Öffentliches Recht

372 Öffentliches Recht RA 07/2020 oder teilweise verantwortet wird, oder wenn die Teilnahme eines Bundesministers an einer Veranstaltung ausschließlich aufgrund seines Regierungsamtes erfolgt.“ Differenzierung zwischen Interview und Veröffentlichung auf Homepage Vor diesem Hintergrund ist zwischen den Äußerungen im Interview und der Veröffentlichung des Interviews auf der Homepage des Ministeriums zu differenzieren. a) Äußerungen im Interview Wichtig: Ganz genaue Prüfung, was gesagt wurde und unter welchen Umständen es gesagt wurde. Wichtig: Allein die Verwendung der Amtsbezeichnung führt nicht zu einer amtlichen Äußerung. Fazit: Amtliche Äußerung (-) •keine Verletzung des Art. 21 I 1 GG durch das Interview „[80] Für ein Handeln in amtlicher Funktion spricht zwar, dass der Untertitel des dpa-Interviews lautet: „Ein Interview mit Bundesinnenminister Horst Seehofer zur großen Koalition (GroKo)“. Auch bezieht sich die Eingangsfrage des Interviews auf den Zuschnitt des vom Antragsgegner geführten Ministeriums. Ebenso stellen sich die unmittelbar nachfolgenden Fragen als amtsbezogen dar. […] [81] Im weiteren Verlauf des Interviews beschränkt sich der Antragsgegner indes nicht auf Aussagen in Bezug auf seine Regierungstätigkeit. […] [82] Die nach den Eingangsfragen im Interview erörterten Themen reichen in erheblichem Umfang über die Ressortzuständigkeit des Antragsgegners hinaus. Sie betreffen sowohl die Arbeit der Großen Koalition im Ganzen als auch allgemeinpolitische Fragen ohne Bezug zur Regierungsarbeit. […] [83] Insbesondere die Fragen, die der Antragsgegner zum Anlass genommen hat, die streitbefangenen Äußerungen zu tätigen, weisen keinen Ressortbezug auf. Dies gilt sowohl für den Vorhalt, seine Behauptung einer politischen Polarisierung richte sich hauptsächlich gegen die AfD, als auch für die Fragen, ob die AfD von der Flüchtlingskrise profitiert habe und ob sie seit 2015 radikaler geworden sei. [84] Diese nicht an den Bundesminister, sondern an den Parteipolitiker Horst Seehofer gerichteten Fragen werden vom Antragsgegner auch nicht unter Berufung auf seine Amtsautorität beantwortet. Vielmehr handelt es sich bei den Äußerungen um allgemeinpolitische Einschätzungen des Antragsgegners beziehungsweise um eine Kritik am Verhalten der Antragstellerin gegenüber dem Bundespräsidenten. Jura Intensiv [85] Dem steht nicht entgegen, dass in der Unterzeile der Überschrift des Interviews die Amtsbezeichnung des Antragsgegners aufgeführt ist. Die bloße Verwendung der Amtsbezeichnung ist noch kein Indiz für die Inanspruchnahme der Amtsautorität, weil staatliche Funktionsträger auch in außerdienstlichen Zusammenhängen ihre Amtsbezeichnung führen dürfen. [86] Sonstige Indizien für die Inanspruchnahme der Autorität des Ministeramtes oder der damit verbundenen Ressourcen fehlen. So ist beispielsweise nicht ersichtlich, dass bei der Führung des Interviews Amtsräume genutzt oder Staatssymbole verwendet wurden. […] [88] Insgesamt ist daher festzustellen, dass der Antragsgegner bei seinen die Antragstellerin betreffenden Interview-Äußerungen nicht in seiner Eigenschaft als Bundesminister angesprochen war und auch nicht als solcher geantwortet hat. Vielmehr hat er sich insoweit als Parteipolitiker betätigt und in dieser Eigenschaft am politischen Meinungskampf teilgenommen. Daher hat der Antragsgegner durch die Abgabe dieser Erklärungen im Interview der dpa das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG nicht verletzt.“ Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 07/2020 Öffentliches Recht 373 b) Veröffentlichung des Interviews auf der Homepage Jedoch könnte die Veröffentlichung des Interviews auf der Homepage des Innenministeriums eine amtliche Handlung gewesen sein. „[90] Mit der Veröffentlichung des Interviews auf der Internetseite des von ihm geführten Ministeriums hat der Antragsgegner auf Ressourcen zurückgegriffen, die ihm allein aufgrund seines Regierungsamtes zur Verfügung stehen. […] [92] [...] Zwar wurde bei der Veröffentlichung des Interviews auf die Primärquelle (dpa) hingewiesen und offengelegt, dass die Veröffentlichung mit deren ausdrücklicher Genehmigung erfolgte. Daher kann aus der Veröffentlichung […] nicht gefolgert werden, dass es sich um eine offizielle Mitteilung des Ministeriums handelte […]. Dies ist jedoch […] ohne Belang. Entscheidend ist allein, dass der Antragsgegner mit der Internetseite seines Ministeriums staatliche […] Ressourcen eingesetzt hat […]. Könnten die mit dem Ministeramt verbundenen Kommunikationsmöglichkeiten genutzt werden, um die vom Amtsinhaber an anderer Stelle getätigten Äußerungen unabhängig von deren Amtsbezogenheit und Inhalt zu dokumentieren und zu verbreiten, ergäben sich umfassende Möglichkeiten parteipolitischer Instrumentalisierung dieser Ressourcen. […]“ 2. Parteiergreifende Äußerung Fraglich ist, ob der Bundesinnenminister durch die Veröffentlichung des Interviews auf der Homepage des Ministeriums entgegen der ihn treffenden staatlichen Neutralitätspflicht zulasten der AfD parteiergreifend Stellung genommen hat. „[69] Der Antragsgegner erklärt in dem Interview auf den Vorhalt: „Was Sie sagen, richtet sich hauptsächlich gegen die AfD“ wörtlich:“ [wörtliche Wiedergabe der Äußerungen des Bundesinnenministers, s.o. im Sachverhalt]. [72] Diese Aussagen beinhalten eine parteiergreifende deutliche Kritik und negative Bewertungen zum Nachteil der Antragstellerin. Ihr wird unterstellt, dass sie sich ungeachtet entgegenstehender Bekenntnisse gegen den Staat stelle und insoweit ihre Maske habe fallen lassen. Zugleich wird ihr ein Radikalisierungsprozess attestiert und ihr Verhalten als „staatszersetzend“ qualifiziert, […] Jura Intensiv [73] Entgegen seiner Auffassung beschränkt sich der Antragsgegner nicht auf eine Bewertung des Verhaltens der AfD-Bundestagsfraktion in der Debatte des Deutschen Bundestages zum Bundeshaushalt 2019. Vielmehr zieht er dieses Verhalten nur beispielhaft heran, um seine Kritik an der Antragstellerin zu belegen. [78] Soweit der Antragsgegner meint, die getätigten Aussagen seien bereits deshalb nicht zu beanstanden, weil sie keinen konkreten Wahlkampfbezug gehabt hätten und lediglich ein respektvoller Umgang mit dem Bundespräsidenten angemahnt, aber keine Aufforderung zur Nichtwahl der Antragstellerin ausgesprochen worden sei, lässt er außer Betracht, dass eine Beeinflussung der politischen Willensbildung zugunsten oder zulasten einzelner Parteien nicht nur durch Wahl- oder Nichtwahlaufrufe, sondern auch durch die negative Qualifizierung des Handelns oder der Ziele einzelner Parteien erfolgen kann. […]“ Handlung in amtlicher Eigenschaft (+) Unerheblich, dass es sich um die Veröffentlichung eines Presseinterviews handelt, da ansonsten Umgehungen möglich sind. Auch hier gilt: Genaue Auseinandersetzung mit den Äußerungen im Interview Parteiergreifende Stellungnahme (+) Kritik bezieht sich nicht nur auf bestimmte Äußerungen in einer Parlamentsdebatte, sondern die AfD wird generell kritisiert. Verstoß gegen staatliche Neutralitätspflicht ist durch jede negative Bewertung einer Partei möglich. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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