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RA Digital - 07/2021

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362 Nebengebiete

362 Nebengebiete RA 07/2021 LÖSUNG Zunächst legt das BAG dar, dass auch Ansprüche aus Vorsatzhaftung von der Ausschlussklausel erfasst werden. [54] aa) Zwar hat der Senat in seinem Urteil vom 20.6.2013 (8 AZR 280/12, Rn 21) ausgeführt, im Hinblick auf die klare Gesetzeslage nach § 202 I BGB sei regelmäßig davon auszugehen, dass die Vertragspartner mit Ausschlussklauseln in AGB, die alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfassen, keine Fälle anders als das Gesetz und unter Verstoß gegen die gesetzliche Verbotsnorm iSd § 134 BGB regeln wollten. Vertragsklauseln, die nur in außergewöhnlichen, von den Vertragspartnern bei Vertragsabschluss nicht für regelungsbedürftig gehaltenen Fällen gegen das Gesetz verstoßen, seien wirksam. Eine am Sinn und Zweck solcher Klauseln orientierte Auslegung ergebe, dass derartige Ausnahmefälle von der Klausel gar nicht erfasst werden sollen (vgl. auch BAG v. 28.9.2005 – 5 AZR 52/05, BAGE 116, 66 = NZA 2006, 149 [zu II 4]; v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, BAGE 115, 19 = NZA 2005, 1111 [zu IV 6]). Die Argumente, mit denen das Gericht seine Entscheidung begründet, lagen auch bislang schon auf dem Tisch. Unklar ist, was das BAG zu dieser überraschenden Neubewertung bewegt hat. Etwas mehr Konstanz in der Rechtsprechung würde in der Praxis auch zu mehr Rechtssicherheit führen. Es bringt „dem Bürger“ wenig, sich an Rspr. zu halten, wenn er stets (ohne maßgebend neue Gründe!) mit deren Änderung rechnen muss. [53] a) Entgegen der Annahme des LAG werden Schadensersatzansprüche wegen vorsätzlicher Vertragsverletzung und vorsätzlicher unerlaubter Handlung von der Ausschlussklausel in § 13 des Arbeitsvertrags erfasst. (...) [55] bb) An dieser Rechtsprechung hält der Senat allerdings nicht fest. Vielmehr werden von einer pauschalen Ausschlussklausel in AGB oder vorformulierten Vertragsbedingungen iSv § 310 III Nr. 2 BGB (...) wonach ausnahmslos alle Ansprüche verfallen, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, wenn sie nicht innerhalb bestimmter Fristen vom Anspruchsinhaber geltend gemacht und eingeklagt werden, auch Ansprüche wegen einer vorsätzlichen Vertragsverletzung und einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung erfasst (...). [59] (a) Der Wortlaut dieser Ausschlussklausel, wonach pauschal und ausnahmslos „alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben“ verfallen können, bezieht auch Ansprüche wegen einer vorsätzlichen Vertragsverletzung und einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung mit ein. Erfasst sind nach dieser Vertragsbestimmung nämlich alle Ansprüche, welche die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsbeziehung gegeneinander haben (...), wobei maßgeblich für die Einordnung nicht die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage, sondern der Entstehungsbereich des Anspruchs ist (...). Zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis zählen nicht nur vertragliche Erfüllungsansprüche, sondern auch vertragliche Schadensersatzansprüche und Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung (...), unabhängig davon, ob sie auf ein bloß fahrlässiges oder auf ein vorsätzliches Verhalten des Schädigers zurückzuführen sind. Jura Intensiv [60] (b) Etwas anderes folgt nicht aus dem Umstand, dass nach § 202 I BGB die Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden kann, dass diese Bestimmung nicht nur Vereinbarungen über die Verjährung, sondern auch über Ausschlussfristen erfasst und dass eine Klausel, die gegen § 202 I BGB verstößt, nach § 134 BGB nichtig ist (...). Es kann bei einer pauschalen Verfallklausel in AGB, von der nach ihrem Wortlaut ausnahmslos alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfasst werden, gerade nicht davon ausgegangen werden, dass die Parteien solche Ansprüche nicht einbeziehen wollten, die zur Nichtigkeit bzw. zur Unwirksamkeit der Verfallklausel führen. Andernfalls würde den Parteien – entgegen dem unmissverständlichen Wortlaut der Klausel – generell der Wille unterstellt, sich mit ihren Regelungen stets im Rahmen dessen zu halten, was nach den geltenden Gesetzen zulässig ist. (…) Nach § 306 I BGB bleibt der Vertrag, sofern AGB ganz oder teilweise nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam sind, – abweichend von § 139 BGB – im Übrigen wirksam. Das bedeutet, dass (nur) die nach den §§ 307 ff. BGB unwirksamen oder gegen sonstige Verbote verstoßenden Bedingungen – unter Aufrechterhaltung des Vertrags im Übrigen – entfallen. Zudem bestimmt § 306 II BGB, dass sich der Inhalt des Vertrags, sofern AGB ganz oder teilweise nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 07/2021 Nebengebiete 363 sind, nach den gesetzlichen Vorschriften richtet. (...). Eine Auslegung einer pauschalen Verfallklausel in AGB, von der nach ihrem eindeutigen Wortlaut ausnahmslos alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfasst werden, dahin, dass sie Schadensersatzansprüche wegen vorsätzlicher Vertragsverletzungen und vorsätzlicher unerlaubter Handlungen nicht erfasst, wäre eine geltungserhaltende Auslegung, die in ihren Auswirkungen einer geltungserhaltenden Reduktion gleichkäme. Klingt es also bisher so, als würde die Arbeitnehmerin den Prozess gewinnen, kommt nun die „überraschende“ Wendung: [68] cc) Die Bekl. als Verwenderin muss die Klausel nicht nach den Grundsätzen über die personale Teilunwirksamkeit von AGB gleichwohl gegen sich gelten lassen. Dies gilt unabhängig davon, ob in dem Verstoß gegen § 202 I BGB zudem eine unangemessene Benachteiligung iSv § 307 I 1 BGB liegt (...) und ob die Klausel darüber hinaus gegebenenfalls aus anderen Gründen nach den §§ 307–309 BGB unwirksam ist. [69] (1) Zwar könnte sich die Bekl. als Verwenderin von AGB nach den Grundsätzen über die personale Teilunwirksamkeit von AGB auf eine sich aus einem Verstoß gegen §§ 307–309 BGB ergebende Unwirksamkeit von § 13 des Arbeitsvertrags vom 22.12.2010 nicht berufen. Die Inhaltskontrolle schafft lediglich einen Ausgleich für die einseitige Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch den Klauselverwender, sie dient aber nicht seinem Schutz vor den von ihm selbst eingeführten Formularbestimmungen. (...) [70] (2) Die Grundsätze der personalen Teilunwirksamkeit finden jedoch in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem eine Klausel wegen eines Verstoßes gegen § 202 I BGB nach § 134 BGB nichtig ist, keine Anwendung. (...) [72] (b) Die in § 276 III BGB und in § 202 I BGB getroffenen Bestimmungen bezwecken nicht allein den Schutz des Vertragspartners des Verwenders, sondern verbieten entsprechende Haftungsbeschränkungen schlechthin ohne Rücksicht darauf, auf welche Weise und auf wessen Initiative hin eine entsprechende Vereinbarung getroffen wird. Das Verbot nach § 276 III, § 202 I BGB ist umfassend und soll auch denjenigen, der eine hiervon abweichende Bedingung in den Vertrag einbringt, schützen. Damit unterscheiden sich die Regelungen in § 276 III BGB und § 202 I BGB zudem von den Bestimmungen des zwingenden Arbeitsrechts, die typischerweise nur einseitig zwingend sind, weil sie dem Schutz des Arbeitnehmers als strukturell grundsätzlich unterlegener Vertragspartei dienen. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit § 276 III BGB, der (...) erst durch § 202 I BGB seine volle Wirksamkeit entfaltet, zum Ausdruck gebracht, dass es für die Rechtsordnung nicht erträglich wäre und sie es deshalb nicht hinnimmt, wenn sich ein Gläubiger von vornherein der Willkür des Vertragspartners ausliefern würde (Staudinger/Caspers, 2019, BGB § 276 Rn. 121; MüKoBGB/Grundmann, 8. Aufl., BGB § 276 Rn. 182). Jura Intensiv Eine für beide Vertragsteile geltende Formularklausel, die gegenüber dem Vertragspartner des Verwenders zu einer unangemessenen Benachteiligung im Sinne von § 307 I 1 BGB führt, bleibt gegenüber dem Verwender wirksam (so genannte personale Teilunwirksamkeit); vgl. hierzu etwa BAG v. 28.9.2017, 8 AZR 67/15, Rn 42; BGH v. 5.5.2015, XI ZR 214/14, Rn 22. Deshalb kommt es auch für den Anspruch des Klauselverwenders (hier des Arbeitgebers) nicht darauf an, dass die Fristen in der Ausschlussfrist zu kurz bemessen sind (vgl. nur BAG v. 12.3.2008, 10 AZR 152/07). Dies wäre nur beachtlich, wenn ein Anspruch der Arbeitnehmerin an dieser Stelle drohen würde zu scheitern. [73] (c) Nach diesen grundlegenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen kann sich auch der Verwender einer in AGB im Voraus vereinbarten Erleichterung der Haftung wegen Vorsatzes auf die Nichtigkeit © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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