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RA Digital - 07/2021

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372 Öffentliches Recht

372 Öffentliches Recht RA 07/2021 Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs Hier kommt es ganz auf die Umstände des konkreten Einzelfalls an, insbesondere auf eine zu erwartende Staubildung und die damit verbundene Unfallgefahr. Gegenteilige Entscheidungen haben daher beispielweise folgende Gerichte getroffen: OVG Lüneburg, Beschluss vom 4.6.2021, 11 ME 126/21; OVG Münster, Beschluss vom 3.11.2017, 15 B 1370/17, RA 2018, 33, 35f. Rechtsstaat sind strenge Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen sind in diesem Zusammenhang nicht ausreichend. Stattdessen müssen gesicherte Erkenntnisse vorliegen, dass es bei Durchführung der konkreten Versammlung jederzeit zu einem Schaden für das zu schützende Rechtsgut kommen kann. Hier könnte die geplante Demonstration zu erheblichen Verkehrsbehinderungen und damit zu einer Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs als Element des Schutzgutes der öffentlichen Sicherheit führen. „Bei der Abwägung der Interessen des Versammlungsanmelders an der gewünschten Nutzung der Autobahnen und der Beeinträchtigung der durch erforderliche Straßensperrungen und Umleitungen betroffenen Allgemeinheit fällt zugunsten des Antragstellers ins Gewicht, dass das Versammlungsthema […] einen unmittelbaren Bezug zum Versammlungsort aufweist. Der Antragsteller hat dabei einen Versammlungsort und eine Versammlungszeit gewählt, die die Interessen anderer Verkehrsteilnehmer berücksichtigt und möglichst schont. Die Versammlung soll die Autobahnen nur in einer Fahrrichtung nutzen, und zwar vor allem die Bundesautobahn A 7 in südlicher Richtung sowie die Bundesautobahn A 66 in einem kurzen Bereich in westlicher Richtung. Eine Vollsperrung der betroffenen Autobahnabschnitte in beide Fahrtrichtungen ist […] nicht erforderlich. […] Der Antragsteller hat […] einen Autobahnabschnitt gewählt, für den mit der Bundesstraße B 27 eine leistungsfähige Bedarfsumleitung zur Verfügung steht. […] Dass sich auf der B 27 ein Unfall ereignen könnte, der auch zur Sperrung dieser Straße zwänge, so dass sich der Umleitungsverkehr auf das innerstädtische Straßennetz der Stadt Fulda verlagern würde, stellt einen irregulären Ausnahmefall dar, der die Versammlungseinschränkung nicht rechtfertigt. […] Den Bedenken gegen die Durchfahrtsmöglichkeit für Rettungsfahrzeuge hat der Antragsteller durch seine Erklärung Rechnung getragen, dass die Fahrradversammlung nur über eine Fahrspur der mehrspurigen Richtungsfahrbahn verlaufen soll, so dass Rettungsfahrzeuge neben den Fahrradfahrern passieren könnten. Die Versammlungszeit am Sonntagvormittag ist schließlich so gewählt, dass mit einem eher geringen Verkehrsaufkommen auf den Autobahnen zu rechnen ist. Dies gilt ungeachtet der Diskrepanzen über die Prognose der zu erwartenden Fahrzeugzahlen und unter Berücksichtigung des „langen“ Wochenendes durch den Feiertag am Donnerstag, den 3. Juni 2021 (Fronleichnam) in einigen Bundesländern sowie der Auswirkungen der Corona-Pandemie und der Entspannung der Pandemielage. Auch wenn von Ausflugsverkehr auf den Autobahnen auszugehen ist, handelt es sich doch um eine im Vergleich zu Werktagen eher verkehrsschwache Zeit. […]“ Jura Intensiv Demnach fehlt es an einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, sodass die Verfügung rechtswidrig ist. FAZIT Examensrelevant an dem Beschluss ist zum einen die Feststellung, dass auch Autobahnen geeignete Orte für eine Versammlung sein können, die Wahl dieses Versammlungsortes also vom Schutzbereich des Art. 8 I GG umfasst ist. Zum anderen sind die vom Gericht aufgelisteten Kriterien für eine Abwägung der Interessen der Versammlungsteilnehmer mit denjenigen der anderen Verkehrsteilnehmer wichtig. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 07/2021 Referendarteil: Öffentliches Recht 373 Speziell für Referendare Problem: Versammlungsrechtliche Auflage für ein Klimacamp Einordnung: Versammlungsrecht VG Bremen, Beschluss vom 28.04.2021 5 V 807/21 EINLEITUNG Das Verwaltungsgericht Bremen hatte im Rahmen eines Eilverfahrens über die Rechtmäßigkeit einer versammlungsrechtlichen Auflage zu befinden, mit der dem Veranstalter eines sog. Klimacamps das dauerhafte Aufstellen von Zelten, einer Bühne und sonstigen Gegenständen untersagt wurde. Hierbei hat es sich umfassend mit der Frage befasst, ob ein Protestcamp und die Einrichtung von Infrastruktureinrichtungen für die Dauermahnwache vom Schutzbereich des Art. 8 I GG umfasst ist. GRÜNDE I. „Der Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen eine versammlungsrechtliche Auflage. Er gehört einem Zusammenschluss von Personen an, der sich für eine klimagerechte Politik einsetzt. Mitte März wandte sich eine Person dieses Zusammenschlusses an das Ordnungsamt Bremen (im Folgenden: Versammlungsbehörde). Es sei ein rund um die Uhr besetztes Protestcamp neben dem Bremer Rathaus auf der Seite des Doms geplant, das erst enden solle, wenn es die Umstände erlaubten. [...] Unter dem 26.03.2021 meldeten die Organisatoren die Versammlung, die nunmehr am 23.04.2021 starten solle, erneut an. [...] Thema der Versammlung sei die Klimakrise und die Nichteinhaltung des Pariser Abkommens. Als weitere Materialien wurden Zelte, Pavillons, eine Bühne, Schlafmöglichkeiten aus Paletten, Blumen und Sitzgelegenheiten angegeben. [...] Um mehr Platz zu haben, solle die Versammlungsfläche auf den Domshof (Fläche direkt hinter dem Dom) ausgeweitet werden. [...]. Am 19.04.2021 meldeten die Organisatoren eine Auftaktversammlung für den 23.04.2021 auf dem Domshof an. Als Versammlungsleiter wurde der Antragsteller angegeben. Zugleich wurde mitgeteilt, dass das Versammlungsthema angepasst werde. Das Thema werde um den Satz „Die Klimakrise nicht verschlafen!“ ergänzt. Auf dieses „Verschlafen“ solle durch symbolische Aktionsformen hingewiesen werden, indem die Zelte die politischen Institutionen und die schlafenden Menschen die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in der Politik symbolisierten. [...]. Mit Verfügung vom 21.04.2021 bestätigte die Versammlungsbehörde die angemeldete stationäre Dauerversammlung auf dem Grasmarkt „für den Zeitraum vom 23.04.2021, 17.00 Uhr zunächst bis zum 07.05.2021 um 15.00 Uhr“. Von der Bestätigung sei die Aufstellung zweier Pavillons und Sitzgelegenheiten für insgesamt 10 Personen (Stühle, Sofas, Hocker etc.) umfasst. Zudem wurde die Auftaktkundgebung am 23.04.2021 bestätigt. Es wurden verschiedene Auflagen erlassen. Unter Ziffer 7 heißt es: „Es dürfen keine Jura Intensiv LEITSÄTZE (DER REDAKTION) 1. Es ist nicht abschließend geklärt, ob und in welchem Umfang die Einrichtung von Protestcamps und die Errichtung von Infrastruktureinrichtungen für eine Dauermahnwache unter Inanspruchnahme öffentlicher Flächen vom Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG umfasst sind, und ob hierzu auch die längerfristige Inanspruchnahme öffentlicher Anlagen gehört. 2. Die Zuordnung einer Versammlung in ihrer Gesamtheit zum Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG kann sich daraus ergeben, dass das geplante Übernachten in Zelten einen inhaltlichen Bezug zum Versammlungsthema aufweist und das Protestcamp konzeptionell so ausgelegt ist, dass eine ununterbrochene Präsenz und dauerhafte Konfrontation beabsichtigt sind. Ein Einleitungssatz ist in der Praxis üblich, aber nicht erforderlich, wenn im Rubrum eine Zusammenfassung des Streitgegenstandes erfolgt. Zustände und Beschreibungen, die die Gegenwart betreffen, werden im Indikativ Präsens wiedergegeben. Im Übrigen erfolgt die Geschichtserzählung im Indikativ Imperfekt. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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